Völlig lautlos setzte Ich einen Fuss vor den anderen, darauf bedacht, kein Geräusch von mir zu geben, während Ich mich an Kuun heran schlich. Es war meine Art des Trainings, da er somit seine Aufmerksamkeit verbesserte und Ich an meinem Gang arbeiten konnte, auch wenn er bis jetzt keine allzu grossen Fortschritte zeigte. Er war sehr leicht abzulenken und oftmals etwas verträumt, was mich jedoch nicht im Geringsten davon abhielt, ihm eine Lektion zu verpassen. Irgendwie musste er ja lernen, und ehrlich gesagt, fand Ich es zudem äusserst unterhaltsam.
So pirschte Ich mich also durch die enge Gasse, während sein gewohnt unverständliches Gemurmel an den Wänden des verlassenen Innenhofes leise wieder hallte und bis zu mir um die Ecke wehte, vermischt mit dem Geräusch auf und ab gehender Füsse; er führte wieder einmal eines seiner Selbstgespräche. Es war eine Angewohnheit, die er sich bereits angeeignet hatte, bevor wir zum ersten Mal aufeinander trafen. Oftmals tigerte er dabei unruhig umher, wie in diesem Falle, und flüsterte und brummelte in seinen nicht vorhandenen Bart hinein, während seine Hände ihn wild gestikulierend unterstützten, bei was auch immer er gerade von sich gab. Ich hatte es nur selten geschafft, zu verstehen was er sagte, und wenn, dann bloss Bruchstücke eines Satzes, halb verschluckte Worte oder vertraut klingende Laute. Anfangs war es irritierend gewesen, da er damit aus heiterem Himmel beginnen konnte, immer wenn ihn etwas beschäftigte oder aufregte, woraufhin er es mit sich selber ausdiskutierte, manchmal ganz schön leidenschaftlich.
Doch es war weniger geworden in den letzten zwei Jahren und Ich hatte mich daran gewöhnt, so weit, dass Ich dem nur noch gelegentlich echte Beachtung schenkte. Das war eben Kuun, und es wäre mir unglaublich seltsam vorgekommen, wenn er diesen Tick eines Tage einfach abgelegt hätte. Das hastige Flüstern seiner Stimme, der dumpfe Ton seiner Füsse auf dem staubigen Boden, seine Hand die durch sein dunkles Haar fuhr — es war mir vertraut und lieb geworden, und auch wenn Ich es nie zugegeben hätte, so gab mir sein Verhalten eine gewisse Sicherheit, so wie das stetige Brodeln in einer Küche dem Koch, da es für ihn das gewohnte und stetige Zeichen dafür ist, dass alles richtig läuft.
Noch ein paar wenigen Schritten erreichte Ich das Ende der Gasse und linste vorsichtig um die Ecke, woraufhin Ich Kuun erblickte; das grüne Hemd an den Rändern zerfleddert und so staubig, dass es nur aus näherer Betrachtung als grün definiert werden konnte; die schwarze — leicht schmuddlig wirkende — Hose zur Rechten in den Schuh gesteckt, welchen man noch gerade so als Stiefel bezeichnen konnte, da er ihm bis zur Hälfte des Schienbeins reichte, während das andere Hosenbein halb raus hing und den Eindruck vermittelte, als versuche es dem Stiefel zu entkommen; die kurzen Haare zerzaust, wie von einem wilden Kampf in Mitleidenschaft gezogen und ihm nun mit den Spitzen frech in die Stirn hängend; sein unruhiger Gang, die Schultern leicht nach vorne gebeugt, die Augen in höchster Konzentration auf's Pflaster gerichtet ohne ihn wahrzunehmen, vermittelte den Eindruck, als grübelte er über eine unglaublich komplizierte Gleichung die das Schicksal der Welt bestimmen würde.
Eine plötzliche Wärme ergriff mein Herz bei diesem vertrauten Anblick; es war auf eine Weise rührend, wie angestrengt er wirkte, unempfänglich für den Rest der Welt, ganz von der Anstrengung in Anspruch genommen, zu einem Schluss oder einer Lösung zu gelangen. Und während dieser paar Sekunden, in denen Ich ihn hinter der Ecke hervor beobachtete, wurde mir unweigerlich bewusst, wie sehr Ich ihn schätzte, seine einfache, genügsame Art, sein heiteres Wesen. Mittlerweile hatte Ich mich so an seine Anwesenheit gewöhnt, dass sie mir angenehm war, sogar so sehr, dass Ich mich manchmal dabei ertappte ihn zu vermissen, wenn Ich längere Zeit ohne menschliche Gesellschaft verbrachte — und jedes mal verdrängte Ich dieses Gefühl sofort wieder, während Ich mich verärgert dafür schalt, solche Schwäche gezeigt zu haben. Denn es war schwach, solche Gefühle zu hegen. Wenn man sich an jemanden gewöhnte, ihn mochte oder ihm gar vertraute, dann war man angreifbar.
DU LIEST GERADE
Der Schatten
FanfictionIch lebte bereits seit langer Zeit in Republika. Seit meiner Geburt, um genauer zu sein. Doch mein Leben spielte sich nicht in den hohen Häusern ab. Ich war ein Kind der Strasse, wie so viele in der grossen Stadt. Das Leben, das Ich wählte, war hart...