Mit einem Seufzen verlagerte Ich mein Gewicht und entlastete damit das Bein, auf das Ich mich seit einer geschätzten halben Stunde stützte. Bis jetzt war es ruhig geblieben, keine zwielichtigen Gestalten hatten sich blicken lassen und in mir begannen sich Zweifel zu regen.
Es war nicht so, dass Ich die Geduld verlor, doch langsam fragte Ich mich, ob Ich sie heute wieder nicht erwischen würde. Natürlich, dies hier war ihr Gebiet, sie beanspruchten es seit langem für sich. Es war nur eine Frage der Zeit, bis man ihnen über den Weg lief. Doch Ich wollte sie auf frischer Tat ertappen um ihnen eine Lektion zu verpassen, die sie so bald nicht wieder vergessen würden. Es wäre nicht das Erste Mal, dass ihre Leute das unfreiwillige Vergnügen meiner Bekanntschaft gemacht hätten. Wobei Bekanntschaft etwas übertrieben war.
Es passte insofern, dass Ich ihre Gesichter kannte und manchmal auch ihre Namen. Doch dies beruhte nicht auf Gegenseitigkeit. Niemand kannte meinen wahren Namen, geschweige denn mein Gesicht. Alles was sie zu sehen bekamen, waren immer nur mein alter zerschlissener Umhang und ab und an eine Nasenspitze, wenn Ich nicht genug Acht gab. Ich hatte es lange geübt, hatte mir eingeschärft wie wichtig es war, unerkannt zu bleiben, bis es völlig normal geworden war. Es war einfacher, wenn niemand genaueres von mir wusste. Es verlieh mir eine Art Freiheit und Macht, die Ich zu schätzen gelernt hatte. Zudem war es sicherer. Das war eine der ersten Lektionen gewesen, die er mir beigebracht hatte.
„Vertraue niemandem, hast du verstanden? Du hast mehr Chancen zu überleben, wenn du dich versteckt hältst. Sei nicht mehr als ein Schatten in der Nacht.“
Einfach gesagt, doch Ich hatte lange gebraucht um es zu verinnerlichen. Schlussendlich war es mir gelungen.
Techi war der der Einzige, der – Ruckartig schwenkte mein Kopf nach rechts, als eine Gestalt, die in die kleine Strasse einbog, meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Besser gesagt, waren es zwei Gestalten. Ein hochgewachsenes Mädchen bummelte neben einem riesigen, weissen Hund – Eisbärhund, wie es mir heute bereits zum zweiten Male durch den Kopf ging – über die Strasse und Ich erkannte das Dreamteam, das nur kurze Zeit zuvor für einige Aktion gesorgt hatte. Nun, da Ich sie eingehender betrachten konnte, fiel mir ihr selbstsicherer Gang auf, der mich vermuten liess, das sie kaum hilflos war.
Wahrscheinlich eine Wasserbändigerin oder eine geübte Chi-Blockerin, nahm Ich an. Wobei ihre Kleidung eher auf ersteres hindeutete. Sie trug ein ärmelloses, blaues Top, das ihre trainierten, teils mit dunkelblauen Bandagen umhüllten, Arme betonte und um die Hüfte hatte sie sich... Ich kniff die Augen zusammen, während Ich mich vorsichtig etwas über den Rand lehnte. Es sah aus wie ein Stück braunes Fell, das ihr bis knapp bis über die Knie ging, die in, ebenfalls blauen, langen Hosen steckten. Es war auffallend viel Blau, was meinen Verdacht zu ihrer Herkunft nur bestätigte.
Ihre dunkelbraunen Haare hatte sie zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden, allerdings mit einem Wasserstamm typischen Haarschmuck, sodass er ihr zuerst hinten vom Kopf ab stand, bevor er sich der Schwerkraft hingab und locker über den Nacken des Mädchens baumelte. Das selbe blaue Schmuckstück befand sich an zwei dicken Strähnen, die beidseitig ihr Gesicht einrahmten und nun bei jeder Bewegung sachte hin und her schwankten. Das weisse Tier, welches ihr nicht von der Seite wich, hatte eine interessante Konstruktion aus Leder und Stoff auf dem Rücken, was wohl eine Art Sattel darstellen sollte.
''Ich würde mich auch so nicht auf den Rücken dieses riesigen Raubtieres wagen.´´
Und wirklich, es war riesig. Der Kopf des Mädchens befand sich auf Schulterhöhe des Eisbärhundes, weswegen sie in seinem Schatten lief, was ihr aber anscheinend nichts auszumachen schien. Ich wollte dennoch nicht in der Nähe sein, wenn sie es nicht mehr länger unter Kontrolle würde haben. Meine Augen folgten dem Weg dieses Duos misstrauisch, ihr Auftritt, sowie ihr kürzliches Verhalten, hatte mich noch argwöhnischer gemacht als sonst.
Erst da fiel mir ihr suchender Blick auf und als sie mit forschem Schritt auf die alte Dame beim Blumenladen zuging, wurde mir bewusst, das sie sich verirrt haben musste, was nicht verwunderlich war. Republica war eine sehr verzweigte Stadt, voller verwirrender Strassen und Mauern, die einen leicht die Orientierung verlieren liessen. Von den vielen Gassen, Winkeln, geheimen Tunneln und Schleichpfaden ganz zu schweigen. Auch Ich hatte als Kind mehrere Male den richtigen Weg nicht mehr gefunden.
Zum Glück lag diese Zeit lange hinter mir, die Zeit, als sich meine Füsse noch unsicher auf dem harten Asphalt bewegten und Ich mich so verloren gefühlt hatte wie nie.
Damals.
Freundlich sprach das Mädchen die Dame an, mit Sicherheit fragte sie nach dem Weg. Wo sie wohl hinwollte? Ich wusste, es ging mich nichts an, aber mit einem Mal spürte Ich Neugierde aufwallen. Vielleicht ist sie in politischer Sache hier oder ist eine Person von hohem Rang, überlegte Ich, verwarf diesen lächerlichen Gedanken allerdings gleich wieder. Nein, es war wahrscheinlicher, dass sie jemanden hier besuchte. Eine Freundin oder einen Freund, möglicherweise auch einen Verwandten.
Just in dem Moment, in dem Ich mich wieder dem anderen Treiben auf der Strasse zuwenden wollte, liess mich das Quietschen von Reifen aufspringen und gleich darauf kam mit viel Getöse ein rotes Satomobil um die Ecke gerast. Endlich.
Sie waren gekommen.
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Der Schatten
FanfictionIch lebte bereits seit langer Zeit in Republika. Seit meiner Geburt, um genauer zu sein. Doch mein Leben spielte sich nicht in den hohen Häusern ab. Ich war ein Kind der Strasse, wie so viele in der grossen Stadt. Das Leben, das Ich wählte, war hart...