Lebewohl

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Endlich, nach verfluchte Stunden, öffnete Yoongi die Fahrertüre seines Wagens. Er wusste nicht ob das eine gute oder ehr beschissene Idee war, doch was immer es war, es hatte ihn hier her gebracht. 

Er stieg aus und ging die Veranda hinauf, atmete noch einmal kurz durch, hob seine geballte Faust und bevor sein erstes Klopfen zu vernehmen war, erklang eine Stimme hinter ihm: „Hallo Yoongi Hyung." Ihm lief eine Eiseskälte über den Rücken, seine Glieder waren nah an der Grenze zu erzittern und sein Herz schlug so heftig in seiner Brust, das es fast schon schmerzte. Er drehte sich zu der Stimme um und sah ihn, endlich nach so langer Zeit, Park Jimin. Er stand da wie eine in Stein gemeißelte Statur, unzerbrechlich, unglaublich schön, unverändert und nicht gealtert.

Jimin lächelte und sagte: „Ich nehme an, du wolltest zu mir? Oder hattest du nur wieder mal den Drang eine Runde Poker mit meiner Mum zu spielen? Ich denke nicht. Sie würde dich eh wieder schlagen mit ihrem Pokerface. Und du würdest danach schmollend in dem alten Sessel sitzen, deinen Blick senken und darauf warten, dass mein Dad zu dir kommt, der dir bemitleidenswert und voller Verständnis auf die Schulter klopft und in einem Atemzug sagt: 'Ach mein Junge, ich versuch das schon seit so langer Zeit und noch nie habe ich sie schlagen können!' " 

Jimin hatte es geschafft. Durch seine Worte zauberte er das schönste Lächeln des Universums in Yoongis Gesicht. Wie sehr hatte er diesen Anblick vermisst, wie sehr hatte er seinen Hyung vermisst. 


„Du hast Recht.", antwortete Yoongi und ging die Stufen der Veranda wieder hinunter, blieb ein Stück weit vor dem Jüngeren stehen, fuhr sich mit seiner Hand durch die langen Haare und meinte: „Ich wollte zu dir. Und ich muss sagen: du siehst umwerfend aus." 

Jimin hob eine seiner Augenbrauen. „Was hast du denn erwartet? Graue Haare, tiefe Falten, dicke Augenringe?" 

„Nein, natürlich nicht, ich...", versuchte Yoongi verlegen zu erklären. 

„Lass gut sein, Hyung, ich freu mich dich zu sehen, sehr sogar. Komm, lass uns ein Stück spazieren", kam es von Jimin, der den leisen Schritten seines ehemaligen Freundes lauschte, bis er sich neben ihn gesellte.

„Goldjunge", lachte Jimin. „Ich fasse es nicht. Der Goldjunge aus Seoul. Wie hast du das wieder hinbekommen? In welchem Produzentenbett hast du geschlafen?" 

Yoongi blieb stehen. „Halt die Klappe", fauchte er, „Sag mir lieber wie es dir geht!" 

Jimin blieb stehen und scharrte mit seinem Fuß im staubigen Boden. „Warum bist du hier, Hyung? Ich kann mich noch genau daran erinnern, was du mir damals gesagt hast. Und nur nebenbei bemerkt: es war richtig von dir. Ich meine... ich... ich hätte dich damals bald... ach verdammt, es fällt mir immer noch schwer darüber zu reden." 

„Jimin", unterbrach ihn Yoongi. 

„Nein, lass mich, ich will es dir erklären, ich will es versuchen. Ich will einfach nur sagen: es tut mir leid. Ich kann das nie wieder gut machen. Ich war krank. Aber trotzdem. Ich habe dich geliebt, ich schwöre, das ich das getan habe. Und dann hätte ich dich beinahe umgebracht. Ich habe alles zerstört, nicht nur zwischen uns, auch zwischen den Membern. Also... warum bist du hier, Hyung? Ich verstehe es nicht. Warum hasst du mich nicht? Oder tust du es?  Dann fang bitte endlich an mich anzuschreien. Schlag mich, mach was du willst mit mir. Dieses mal bin ich derjenige, der nicht zurückschlagen wird. Komm schon, deine Chance Goldjunge." 

Yoongi schüttelte seinen Kopf, hielt seine Augen verständnislos geschlossen und er ging einen erneuten Schritt nach vorne. 

Jimin folgte ihm, stellte sich vor ihn. „Mach schon, na los, ich habs verdient!", kam es energisch von ihm.

Yoongi sah endlich wieder diese eindringlichen, einprägenden, glänzenden, tiefgründigen Augen und ertrank erneut, ertrank in Jimins traurigem Blick. 

Sie standen sich gegenüber, die Sonnenstrahlen wärmten sie und einige davon trafen des Jüngeren funkelnden Augen, verwandelten sie zu dem was sie eigentlich mal waren... lebensfroh. Glasklar war sein Blick, so klar wie noch nie zuvor. 

„Ich wollte einfach nur wissen wie es dir geht... ich wollte dir einfach nur Lebewohl sagen", kam es plötzlich und unverhofft von Yoongi, der diese Situation nutze, um fort zulaufen, vor seinen Gefühlen, die ihn übermannten, indem er Jimin einen Stich ins Herz versetze, der bis in sein eigenes überging. Lebe wohl, kein Wiedersehen, keine Vereinigung, keine Erneuerung, keine zweite Chance für ihre Liebe. 

Jimins Blick trübte sich von einer Sekunde zur anderen, Tränen fluteten sie im Verborgenen, so dass Yoongi sie nicht wahrnehmen konnte.  Er schluckte und gab zurück: „Ja, das haben wir damals versäumt. Wir haben es versäumt Lebewohl zu sagen." Er seufzte und fügte hinzu: „Leb wohl, Hyung." Dann drehte er sich um, ging den Weg alleine zurück, und Yoongi sah ihm nach, mit einem Flüstern auf seinen Lippen. „Vergiss mich nicht." 


Jimin spürte die Sonne auf seiner Haut, er vernahm den frischen Duft der Blumen um sich herum und sog ihn tief in sich ein. Zu lang war er eingesperrt gewesen, zu lange von der Außenwelt abgeschnitten, weggesperrt, zu Recht. Es gab so vieles was er nachholen wollte, was er nachholen musste. Wo sollte er anfangen? Womit sollte er sein Leben neu beginnen? Er öffnete die Tür seines Elternhauses und betrat die kleine Küche, erinnerte sich an seine Jugend in der damals alles begann. Nie mehr, niemals wieder würde er den Falken rufen. Er hasste ihn dafür was er Yoongi damals angetan hatte. Oder hasste er sich selber? Der Falke war wie ein Schreckgespenst; im ersten Moment so real wie nichts anderes und im nächsten Moment so schnell wieder fort, dass man an sich selber zweifelte. Eine Illusion seiner Gedanken.

„Er wäre nicht her gekommen, wenn er dich nicht mehr lieben würde, mein Junge.", kam es von Jimins Vater. 

Jimin schaute gedankenverloren aus dem kleinen Fenster und beobachtete wie seine große Liebe fort ging. Er betrachtete ihn genau, sah jede einzelne Haarsträhne die vom Wind ungezwungen zum Tanzen verführt wurde, sah wie seine langen starken Arme hin- und her baumelten, wie seine Augen auf der Suche waren. Nach was, wusste er nicht. Oder etwa doch? 

„Mach keinen Fehler, Junge, hör auf dein Herz. Er hat dir verziehen, schon vor langer Zeit. Das einzige was du jetzt noch tun musst, ist, dir endlich selber zu verzeihen", sagte Mr Park, bevor er aus dem kleinen Raum verschwand.

Hier roch es immer noch köstlich nach dem liebevoll gebackenen Kuchen, den Jimins Mum extra für ihn gezaubert hatte, wie jeden Sonntag. Jeden Sonntag in den vergangenen Jahren bekam er einen Kuchen von seiner Mum in die Psychiatrie gebracht. Meist freuten sich seine Mitbewohner mehr über das Gebäck, als er selbst. Trotzdem war er ihr immer dankbar. Nicht wegen des Kuchens, sondern weil sie ihn nicht fallen ließ, weil sie ihm beistand und weil sie ihn immer noch liebte, egal was er getan hatte. Yoongi war wie ein zweiter Sohn für seine Eltern und es hatte sie immens getroffen als sie die Nachricht von jener Nacht erreichte, als sie tagtäglich neue Details in den Nachrichten lesen konnten, als sie die Bilder sahen, wie sie Yoongi abtransportierten, als sie die kleinen Spielfilme sahen, die von Amateuren gedreht wurden und für viel Geld an die Sender der Welt verkauft wurden. Verramscht wurde ihr Leben, das Leben ihres Sohnes, dass der Familie Min, das Leben der anderen Bandmitglieder und Jimin war dafür verantwortlich, er alleine. Doch zu keinem Zeitpunkt hörten sie auf sich um ihn zu bemühen, sich um ihn zu kümmern, ihn zu bestärken nicht aufzugeben, ihn zu ermutigen den Falken zu besiegen. Und wozu? Damit er jetzt hier stand, einsam und voller Selbstzweifel? 


Yoongi stand vor seinem Auto und blickte noch einmal zum Haus hinüber, konnte aber nichts erkennen, da die Sonne langsam unterging und sich erhaben über das Heim legte, das er immer so sehr mochte. Er mochte die Wärme, wenn er die Türe öffnete, die Umarmungen, die ihm ohne Worte vermittelten das er willkommen war. 

Schweren Herzens stieg er in den Wagen, startete den Motor und konnte doch nicht losfahren. Die Beifahrertüre wurde plötzlich und ruckartig geöffnet, Jimin stieg mit einem Schwung ein, atmete hektisch, als würde sein Herz das Blut in seinem Körper in rasender Geschwindigkeit durch die Venen peitschen und sagte: „Scheiß doch drauf! Yoongi, scheiß auf Lebwohl, ich will kein Lebwohl! Ich will ein Herzlich Willkommen! Ich will...", weiter kam er nicht denn Yoongi zog ihn harsch an sich heran, mit seinen großen Händen nahm er Jimins Kopf, zerrte ihn liebevoll zu seinen Lippen und küsste ihn auf eine Art und Weise, die nur eines bedeuten konnte.  

Herzlich Willkommen in meinem Leben.

24/7 ➛ ʏᴏᴏɴᴍɪɴWo Geschichten leben. Entdecke jetzt