Kapitel 5

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Albert hatte den Hund neu gekauft. Er wollte ihn in seine Meute integrieren, mit der er zu jagen pflegte. Aber nach dem, was mit Vincent passiert war, verdonnerte sein Vater ihn, das Tier umgehend zu erschießen. Das jedoch rettete unser Picknick auch nicht und ich war einen Tag lang untröstlich, weil ich glaubte, Vincent hätte mich versetzt. – Nicht so sehr wegen Vincent, sondern weil ich es nicht ertragen wollte, versetzt zu werden. Das hatte nicht einmal ich verdient, fand ich.

Meine Mutter hingegen war tief enttäuscht und nahm sich vor, den jungen Mann, der ihre liebste Tochter so sehr gekränkt hatte, zur Rede zu stellen. Granny sagte zu ihr: „Man fragt sich, wessen Stolz stärker verletzt ist, deiner oder Helens."

Aber meine Mutter ging darüber hinweg: „So etwas muss man sich als junges Mädchen nicht gefallen lassen."

Am nächsten Morgen traf sie im Waschhaus auf Vincents Bruder, der mit verweinten Augen in einer Ecke stand und wimmerte, woraufhin meine Mutter es sich noch einmal überlegte und den Jungen nicht auf der Stelle zur Schnecke machte.

Es stellte sich heraus, dass Johnny die ganze Nacht nicht geschlafen hatte, weil sein Bruder das Bett, indem sie normalerweise beide schliefen, völlig für sich beanspruchte.

„Aber wieso das denn?", fragte meine Mutter, der es sichtlich Freude bereitete, sich über die vermeintliche Übervorteilung des kleinen Bruders empören zu können.

„Weil er fiebert", erklärte John, „Mom hat ihn die ganze Nacht mit kalten Umschlägen behandelt und heute Morgen musste der Graf einen Arzt rufen lassen."

Als meine Mutter den Rest der Geschichte hörte, verschlug es ihr beinahe die Sprache. Sie hatte Vincent Unrecht getan und jetzt bedauerte sie ihre gehässigen Gefühle ihm gegenüber. Da sie mit der Familie Davies nicht bekannt war, wagte sie es nicht, darum zu bitten, den Verletzten besuchen zu dürfen. Sie fragte jedoch, ob ich – ihre Tochter – Vincent besuchen dürfe. Mit mir sei er befreundet.

Johnny wusste nicht, was er auf so eine Frage antworten sollte. Also redete er von etwas anderem: „Albert hat den Hund totgeschossen. Ich habe es gesehen. Drüben auf der Wiese ist alles voller Blut. In den Kopf hat er ihn geschossen. Er war sofort tot und hat gar nicht gewusst, was mit ihm passiert."

„Du darfst kein Mitleid mit so einer Bestie haben", sagte meine Mutter.

„Albert hat es leid getan", sagte John, „Mein Vater hat ihm ganz schön den Kopf gewaschen, weil er seine Entschuldigung zu abgeschmackt fand. Aber ich finde, der Hund kann ja nichts dafür. Wieso muss er darunter leiden, wenn er tut, was man ihm beigebracht hat. Es war ja ein Jagdhund."

„Aber ein Jagdhund muss auch wissen, dass er keine Menschen jagen darf", erklärte meine Mutter.

„Aber manche Hunde jagen auch Menschen. Verbrecher und so. Aber woher soll ein Hund denn wissen, wer ein Verbrecher ist und wer nicht. Das weiß der Hund doch nicht. Man darf niemanden dafür bestrafen, wenn er etwas nicht weiß, was er nicht wissen kann. Das sagt mein Vater und trotzdem wollte er auch, dass Albert den Hund totschießt."

„Aber er hat Recht gehabt. Einen bissigen Hund sollte man nicht behalten. Er wäre eine Gefahr für alle."

„Es war, als wollte die Welt mir mitteilen, dass sie keinen Platz für mich habe", sagte Vincent zu mir, als ich ihn am Nachmittag besuchen ging.

Er sah sehr lädiert aus, blass und zerknirscht. Durch die Umschläge war das Fieber herunter gegangen und der Arzt hatte ihn sachgerecht verbunden und versorgt.

„Aber nein", versuchte ich ihn zu beruhigen, „Es war ein Unfall. Solche Dinge passieren. Daran kann man nichts ändern und niemand ist schuld."

Im SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt