Kapitel 11

3 0 0
                                    

Aber das Blatt schien sich zu wenden. Vincent konnte drei oder vier Gedichte in einer Zeitschrift unterbringen und erhielt das Angebot, einen kleinen Band mit eigenen Texten zu veröffentlichen. Für einige Wochen war er Feuer und Flamme dafür, die richtigen Gedichte auszuwählen. Er verbrachte die Nächte damit, sie richtig anzuordnen, verwarf alles wieder, suchte nach Kategorien, Überschriften, verfasste ein Vorwort, verwarf dieses wieder und platzte beinahe vor Stolz, als das Büchlein schließlich in Druck ging.

Ich freute mich, als er es mir widmete und ihm den Untertitel „hündische Liebesbriefe" gab.

Es verkaufte sich natürlich nicht sehr gut, aber von den Tantiemen, die er ausbezahlt bekam, konnten wir uns kein kleines Sparpolster anlegen, das wir vielleicht irgendwann brauchen konnten, wenn wir dieses Haus verlassen würden.

Vincent sprach nun immer häufiger davon: „Geld fesselt einen und kein Geld zu haben, fesselt einen noch mehr."

„Wir haben doch keine Sorgen", sagte ich.

„Wir können nicht gehen, wohin wir wollen, ohne über kurz oder lang zu verhungern", sagte er.

„Was erwartest du denn? Ohne Anstrengung kann niemand überleben."

„Ich habe Albert sich in seinem Leben noch nie anstrengen sehen."

„Naja, er trägt vielleicht keine Lasten, aber er trägt die Verantwortung."

„Du glaubst das nicht wirklich, oder?"

„Man muss sich doch arrangieren."

„Aber muss man sich selbst belügen?"

„Wo würdest du denn hingehen wollen?", fragte ich.

„Überall hin. Willst du denn wie Welt nicht sehen? Stell dir nur mal vor, wir würden einmal quer durch Australien reiten, nur du und ich. Dafür ist das Leben gedacht, nicht um hier die Fenster von irgendeinem Lord zu putzen, der selbst unzufrieden ist, dass er an dieses neblige Stück Land gebunden ist. Wenn man in England geboren wird, hat man eigentlich schon verloren. Es ist der langweiligste Flecken Erde überhaupt. Alles ist reglementiert. Dein ganzes Leben ist vorgeplant, bevor du überhaupt geboren wurdest. Den Leuten ist egal, was du liebst, was du kannst oder was du willst. Sie sehen nur: Du bist adlig, also musst du zu einem Arschloch erzogen werden. Du bist ein Arbeiterkind, also muss niemand um dich weinen, wenn du im Dreck verreckst. Es ist eine Religion, Helen. Die Leute glauben, sie seien so aufgeklärt und so modern, aber statt an Gott und die Kirche glauben sie an Geld und an Stände. Und deshalb finde ich es besser, wenn man sich nicht zu viel mit Leuten abgibt."

Vincent war schon immer eher ein Misanthrop, aber je älter er wurde, desto mehr verhärtete sich seine Ansicht.

„Ein Eremit sein. Ich glaube, dass ist der Sinn des menschlichen Lebens. Wer nicht gestört wird, kann sein ganzes Potenzial ausschöpfen. Was könnte ich alles in der Einsamkeit schaffen! Aber ich bin hier und muss mich von den Mauern dieses Hauses erdrücken und zerquetschen lassen."

„Ich finde das sehr unhöflich", sagte ich, „Zumindest mir gegenüber."

„Aber dich meine ich doch nicht", sagte er, „Keine Einsamkeit wäre erträglich ohne dich. Ich will mit dir zusammen einsam sein, das musst du doch verstehen! Wenn ich von mir selbst spreche, meine ich immer auch dich, denn du und ich, wir sind eins. Ich allein bin nichts."

Es gefiel mir nicht, wie er mich nur noch als Teil einer Partnerschaft betrachtete und sagte es ihm, aber er verstand nicht, was ich meinte, denn er selbst betrachtete sich selbst als völlig unselbständig.

In dieser Zeit schrieb ich Emily lange Briefe und sie antwortete mit ihrem üblichen galligen Humor, den sie sich nie abgewöhnt hatte: „Alle Männer machen diese Krise durch, wenn sie feststellen, dass ihr Kopfhaar dünner wird und sie zum ersten Mal auf die Idee kommen, dass sie nicht mehr attraktiv sind und es möglicherweise auch nie waren. Ihnen fliegt ihr Selbstbetrug um die Ohren. Sie werden erwachsen und geben sich geschockt über sich selbst und ihre Dummheiten. Aber mach dir keine Illusionen, sie werden keine davon jemals zugeben und sich auch nie bei dir entschuldigen. Sie werden einfach nur stumm und lethargisch. Mehr kannst du nicht erwarten."

Im SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt