Kapitel 7

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„Er wird ein Dichter werden", erklärte ich meinen Eltern, als sie mich nach Vincents Plänen für die Zukunft fragten.

Natürlich runzelten sie die Stirn, aber ich hatte mir längst überlegt, wie ich ihre Bedenken aus dem Weg räumen würde: „Ich verdiene doch gut. Die Arbeit ist nicht so anstrengend und wenn ich noch ein wenig fleißiger bin, kann ich vielleicht eine anspruchsvollere Position bekommen und mehr verdienen. Vielleicht könnte ich dann auch im Haus selbst wohnen. Ich wäre nicht von seinem Einkommen abhängig und ein bisschen was wird er ja auch erben. Und wer weiß, vielleicht hat er ja auch Erfolg. Und wenn nicht, kann er immer noch für Zeitungen oder Magazine schreiben. Er liest sehr viel. Er könnte Kritiker werden."

In einer bürgerlichen Familie hätte an dieser Stelle der Vater sicher gefragt, ob ich wirklich vorhatte, eine ganze Familie mit dem Gehalt eines Hausmädchens zu ernähren. In einer Pächterfamilie aber verschwendete man keine Gedanken an so etwas. Kinder kamen, Kinder liefen mit. Die Zukunft kam, ob man wollte, ob man plante, oder nicht.

„Bist du dir sicher, Liebes?", fragte Granny.

„Was ist schon sicher?", fragte ich zurück.

Nichts war sicher. Das lernte ich, als mir kurze Zeit später ausgerechnet Emily eröffnete, dass sie heiraten würde.

„Mein Vater ist der Meinung, es würde langsam Zeit. Es war sozusagen sein Weihnachtsgeschenk. Ein Ehemann... Dass ich nicht lache", sagte sie resigniert.

„Und du wirst es wirklich tun?"

„Was soll ich denn sonst machen? Ich hab kein Einkommen wie du. Ich kann nicht nähen, sticken oder weben. Sie können mich nicht in die Kohleminen schicken und für die Feldarbeit heuern sie lieber junge Männer an."

„Wolltest du nicht in die Stadt gehen? Dort könntest du in einem Geschäft arbeiten wie deine Tante."

„Ach Helen, für dich erscheint das alles so einfach. Eine wie mich, nimmt doch niemand. Du bist ein liebenswürdiges, hübsches Mädchen. Dich lassen sie ihre Kinder erziehen, wenn es sein muss. Wenn sie mir auf der Straße begegnen, bekreuzigen sie sich, als hätten sie gerade den Leibhaftigen gesehen. Glaubst du, die Leute wissen nicht, was mit mir los ist? Du bist so naiv, keine Helen."

„Ist er wenigstens nett?", fragte ich.

Emily schnaubte: „Er ist der dümmste Kerl, den mein Vater auftreiben konnte. Ich denke nicht, dass er mir Scherereien macht, aber ich werde wegziehen müssen."

„Weit weg?", fragte ich.

„Ach nein, nur nach Dunsville. Er arbeitet in Doncaster für die Eisenbahn, aber es ist halt nicht gleich um die Ecke."

„Aber wir werden uns noch sehen", sagte ich bestimmt.

„Natürlich, werden wir das. Mit irgendjemandem müssen wir doch über unserer Ehemänner lästern."

Mir steckte ein dicker Kloß im Hals, als sie das sagte. Ich hatte mir nie vorstellen können, dass Emily einmal heiraten würde und wenn es sogar ihr passierte, würde es auch für mich eines Tages Realität werden. Aber war ich bereit dazu? Emilys Zukunft war ab jetzt vorbestimmt und sie wusste es. Sie würde ein kleines Leben in einem kleinen Haus in einem kleinen Dorf führen. Sie würde bescheidene Teegesellschaften geben –wobei bei ihren Kränzen wirklich ausschließlich Tee gereicht werden würde - und einen Stall voll Kinder haben. Alles daran würde sie hassen.

Wenn das Leben einer intelligenten und witzigen jungen Frau nichts anderes bieten konnte, was würde dann mein Schicksal sein? Ich war bei weitem nicht so klug wie Emily und kein bisschen gewitzt, sondern eher plump und schüchtern. Es fiel mir leicht, zu gefallen, aber drängte mich das nicht in eine Richtung, die ich mir nicht selbst ausgesucht hatte? Konnte man sich am Ende überhaupt seine eigene Richtung aussuchen?

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