Teil 2

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Ein prächtiges Feuer brannte in der offenen Feuerstelle der Wachstube. Der alte Braum, ein alteingesessener Krieger mit grauem Haar, spitzer Nase und abgetragener Riemenrüstung, befeuerte die Flammen stetig mit neuem Holz.

"Braum!", rief einer der jüngeren Soldaten die am Rundtisch in der Mitte der Wachstube saßen. "Komm schon...trink ein Glas mit uns!", gluckste der Mann. Ein Dutzend leerer Flaschen des belioranischen Schnapses stand am Boden neben den Füßen des Tisches.

"Nein", all das Drängen ließ Braum nicht schwach werden, "ich sagte dir doch bereits, wenn der alte Hauptmann uns so erwischt, und nicht einer imstande ist ein Schwert zu halten, lässt er uns noch im Morgengrauen an den Strick hängen. Ich gönne euch aber den herzhaften Schnaps aus meiner Heimat!"

Der jüngere Soldat schüttelte den Kopf, er lullte noch etwas, dessen Bedeutung Braum jedoch nicht entziffern konnte. Doch Braums Rechtschaffenheit bedeutete bloß, dass mehr Schnaps für ihn und seine Kameraden bleiben würde, und dies störte ihn keineswegs, denn der belioranische Schnaps, aus der hügeligen, satt-grünen Landschaft am östlichen Meer, war weit über die Grenzen der Provinz Belioran hinaus bekannt. Der herzhafte, süße Geschmack, und das erwärmende Gefühl, das er einem bereitete, ließ, zumindest für einige Stunden, über das karge Leben als Soldat in den Grauen Bergen hinwegblicken.

"Dann setz dich wenigstens zu uns, und spiel eine Runde Karten mit deinen Kameraden!", rief ein anderen Kumpane am Tisch.

"Ich sage dir wie das laufen würde: In eurem Zustand würde ich euch alle mit Leichtigkeit ausspielen und euch um eure Löhne bringen. Am Ende des Monats kehrt ihr dann zu euren Weibern in die Heimat zurück, mit leeren Taschen, was ihr mir in die Schuhe schiebt, und zwei Tage erhält der Hauptmann einen Beschwerdebrief eurer Weibsbilder die allesamt meine sofortige Entlassung fordern... Also Nein, spielt ihr mal weiter, ich kümmere mich um das Feuer."

Die Männer am Tisch gaben sich endlich geschlagen. Einer verteilte allen ein neues Blatt Karten, zum wahrscheinlich hundertsten Spiel des Abends. Die Männer nahmen sie langsam auf, ihre schweren Augen sahen die Bilder auf den Spielkarten nur noch verschwommen, doch bevor nicht einer von ihnen einknickte, oder sich die Seele aus dem Leib kotzte, würden sie weiterspielen.

Braum, der sich nun auf einen Hocker neben dem Feuer setzte und einen Eisenspieß zur Hand nahm, stocherte gedankenverloren zwischen den brennenden Scheiten herum. Schlaftrunken wie er war, bildete er sich ein, die Umrisse seiner Heimat in der züngelnden Flammen wiedererkennen zu können. Er sah grüne Hügel, mit unzählbar vielen weißen, braunen und schwarzen Flecken darin. Er glaubte das schrille Pfeifen der Hirten zu hören, die ihre Schafherden bei Abendanbruch in die Ebenen trieben. Im Osten der grenzenlose Salzsee namens 'Meer', dessen erfrischender Duft von den Seewinden bis weit ins Landesinnere getragen wurde. Mächtige Wellen brachen in weißer Gischt am Sandstrand und den zerklüfteten Klippen. Die Sonne schien kräftiger als hier im Gebirge, ganzjährig spendete sie dort Leben und Wärme, während sie sich hier im Winter teils wochenlang nicht zeigte. Braum glaubte sogar die Wärme auf der Haut spüren zu können, für kurz konnte er das Salz riechen und auf seiner Zunge schmecken. Ach, wie gern wäre ich doch dort, dachte er sich.

Ein lauter Knall ließ ihn plötzlich hochschrecken. Er war doch tatsächlich eingeschlafen! Die Tür, die hinaus auf den Wehrgang führte, war mit Wucht aufgeschlagen worden, und hatte ihn aus seinem Schlaf gerissen. "Was zur Hölle...", blinzelnd sah er sich um.

Auch seine Kumpanen am Tisch wurden durch den Lärm aufgeschreckt. Alle Fünfe, wie sie da saßen, blickten irritiert zur Tür.

"Bloß der Wind! Jetzt leg schon deine Karten, Andos. Und wehe du hast nochmal 4 Assen, du alter Zirkusgaukler!", murrte einer der Männer.

Dass es nicht der Wind sein konnte, wurde zumindest Braum schnell bewusst. Die Türe hatte im Schloss gelegen. Kein Wind ist stark genug, eine schwere Eichentür aus dem Schloss zu drücken. Davon abgesehen, war es in dieser Nacht vollkommen windstill. Die Wolken standen starr am Horizont, wie Bettlaken auf einer Wäscheleine, beschienen durch das kalte Licht des Vollmondes.

Vielleicht erlaubt sich Fried einen Spaß mit uns. Braum erinnerte sich daran, dass sein jüngster Kamerad, kurz bevor er eingepennt war, zum Pissen hinausgegangen war. Ob er wohl im Rausch gegen die Tür gerannt ist, und nun draußen hilflos am Boden liegt?

Braum erhob sich, mit dem Eisenspieß in der Hand, und ging der Türe entgegen. Er hätte es sich niemals verzeihen können, wenn einem seiner Kameraden im Rausch was zustieß.
Als er die Tür erreichte spähte er hinaus ins Zwielicht. Seine zugekniffenen Augen konnten doch tatsächlich die schattenhaften Umrisse einer am Boden liegenden Person erkennen. Ihm blieb es jedoch ein Rätsel, warum Fried etliche Schritte von der Tür entfernt lag.

Die jahrelange Erfahrung als Soldat, vor allem als ein solcher Soldat dem nie etwas zugestoßen war, gebot ihm Vorsicht. Es ist immer besser auf Nummer sicher zu gehen! Also schaute er sich nach dem nächstbesten Schild und Schwert um. Beides lag neben seinem Stuhl am Feuer. Langsamer Schritte schlich er rückwärts ohne die Tür aus dem Blick zu lassen. Seine Kumpanen am Tisch beachteten ihn nicht weiter und gröllten munter ihre Einsätze. Braum bückte sich, um das Schwert in die Rechte Hand zu nehmen, und mit der Linken in die Schlaufe des Schildes zu greifen. Dabei musste er allerdings, nur für einen winzigen Moment, seinen Blick senken, da er die Schlaufe nicht sofort zu greifen bekam. Als er wieder aufblickte verschlug es ihm die Sprache.

Eine Frau stand vor ihm. Wunderschön und spärlich bekleidet. Braum glaubte noch immer zu träumen. Die schwarzhaarige Schönheit ließ ihn seine Vorsicht vergessen, gierig wanderten seine Blicke an ihrem Körper entlang. Ihre weiblichen Rundungen weckten ein Verlangen ihn ihm, das er, in der Abgeschiedenheit der Grauen Berge und unter einem Haufen von Männern, längst schon vergessen glaubte. Doch wie sehr ihn seine Sinne verrieten, wurde ihm noch im selben Moment klar.

Felicia hob in einer sinnlichen Bewegung ihre rechte Hand. Zunächst schien es für den Mann, als wolle sie ihn zu sich winken, doch versteckt in ihren Fingern, lag ein schwarzer Wurfstern. Klein, und doch ungeheuerlich effektiv, um Feinde schnell und lautlos auszuschalten.

Die Augen des alten Soldaten waren immer noch starr auf sie gerichtet, als der Wurfstern aus ihrer Hand schnellte und sich tief in die Stirn des Mannes grub. Ein Schwall von Blut spritzte hervor. Der Soldat war sofort tot. Leblos brach er auf dem Stuhl hinter sich zusammen.

Dolch & Rose - Die letzte AssassineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt