Teil 4

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Felicia zog durch die Schatten, von Mauer zu Mauer, bis zum Hauptgebäude im Zentrum der Festung. Dieses war eine Festung in der Festung. Die Mauern waren weit höher als die äußeren Burgmauern, die Steine zudem fugenlos gestapelt. Was ein Erklimmen für die Assassine deutlich beschwerlicher gemacht hätte. Doch Felicia wusste, dass jedes Gebäude, mochte es auch einen noch so großen Schatz beherbergen, seine Schwachstelle hatte. Sie musste nur danach suchen.

Immer darauf bedacht das Licht des Mondscheins zu meiden, schlich sie in den Schatten. Vereinzelte Büsche und Bäume nutzte sie um kurz zu verharren und in die Nacht zu horchen. Alle Sinne der Assassine waren geschärft. Sie rechnete stets damit, dass ihrem Ziel so Nahe, größere Hindernisse warten würden als die Soldaten an der Mauer. Umso weiter sie ging, desto schneller wurden ihre Schritte. Sie konnte die reiche Beute schon riechen, ihre Erwartungen stiegen bis ins Unermessliche. Was war so viel wert, dass man hier am Ende der Welt, Festungsmauern hochzog und dutzende Soldaten zu dessen Bewachung abstellte?

Ein plötzliches Geräusch ließ sie in der geduckten Haltung erstarren. Sie blickte gen Himmel, doch war es nur der Flügelschlag einer Eule die über die Festung hinwegflog. Sie wollte weiterziehen, als sie sich an der absoluten Stille störte. Nächte hatten es an sich still zu sein, doch diese Ruhe war trügerisch. Viel zu lange, seit der Begegnung im Wachhaus, hatte sie die Anwesenheit der Soldaten nicht mehr vernommen.
Systematisch suchte sie die Fenster in den nahen Wachhäusern und Wohngebäuden ab, doch die Räume dahinter waren finster. Nirgends flackerte zartes Kerzenlicht. Sogar die Tiere in den Ställen waren verstummt. Kein Mähen der Ziegen, kein Klackern von Pferdehufen. Ich sehe besser zu, das hier schnell hinter mich zu bringen.

Dann endlich, nachdem Felicia das Gebäude fast umrundet hatte, fand sie die Schwachstelle im Bollwerk. Ein winziges Fenster, das nur für Katzen bequem zu passieren war, lag hoch über ihr im zweiten Stock. Gitterstäbe versperrten den Durchgang.

Felicia schob ihre Zweifel zur Seite. Sie musste hier ihr Glück versuchen. Einen anderen schnellen Eingangspunkt hatte sie nicht finden können, und der Mond am Himmel zog weiterhin unerbittlich seine Bahn.

Den erhofften Schatz vor dem Inneren Auge sprang sie hoch empor, doch konnte dabei nur knapp die Hälfte des Weges zurücklegen. Ihre Hände tasteten nach Unebenheiten oder Löchern in der Mauern, doch griffen ins Leere. Und so konzentrierte sie ihre Inneren Kräfte und bündelte sie in ihren Fingerspitzen. Zugleich drückte sie ihre Hände gegen die Steinquadern und zog sich daran nach oben als wären diese eine Leiter mit Sprossen, oder ihre Hände die Beine einer Spinne, die selbst an Glas Halt finden. Als sie die Gitterstäbe zu fassen bekam, nutzte sie den Schwung um in einer fließenden Bewegung durch die Gitterstäbe zu schlüpfen. Ihr schlanker Körper rutschte wie geölt durch das Fenster. Einzig Brust und Hüfte streiften den Fensterbalken und die Gitterstäbe, doch das Leder ihrer Kleidung schützte sie vor Schürfwunden.

Hinter dem Fenster lag ein hell beleuchteter Gang. Dies missfiel Felicia ungemein. Denn hier gab es keine Schatten in denen sie sich hätte verstecken können um feindlichen Blicken zu entgehen. Also beschloss sie sich dazu, von ihrer Schleichtaktik abzukehren. Felicia schlug ein schnelles Tempo an und rannte den Gang entlang.

Der schwarze Wurfstern klackerte im Takt eines Liedes während er gegen die Fingernägel der Assassine schlug. Sie drehte ihn zwischen den Fingern ihrer Hand, als wäre er eine Münze, keine Waffe, doch jederzeit zum tödlichen Wurf bereit. Sollte es jemand wagen sie hinterrücks anzugreifen, würde er es auf der Stelle bereuen.

Denn als komplette Assassine machte es für Felicia keinen Unterschied, ob sie Waffen mit der linken oder rechten Hand führte. Sie war mit beiden gleichermaßen begabt, was auch den Gebrauch eines Schildes völlig unnütz machte. Schilde waren in ihren Augen die Waffe der Schwachen, derer, die mit ihrem zweiten Arm nichts besseres anzufangen wussten. Soldaten die sich hinter ihren Schildern verbargen, und den Kopf wie Schildkröten einzogen, waren die leichteste Beute für sie. Die Augen von ihren Dolchen abzuwenden, und sich unbeweglich hinter einem Schild zu verkriechen, kam einem Todesurteil gleich. Einem sehr schnell ausgeführten Todesurteil.

Felicia sprintete an unzähligen geschlossenen Türen vorbei, nahm Treppen die sie dem Dach des Gebäudes immer näher brachten. Doch nirgends traf sie auf Wachen. Die engen, meist fensterlosen Gänge hatten nichts vertrauenswürdiges an sich. Die seltsame Stille brachte sie weiterhin in Unruhe.

Es gibt zwei Arten von Stille. Die eine, nach einem Blutbad oder einem herausfordernden Zweikampf, die die größte aller Löhne war. Wenn man denn derjenige war, der sie vernehmen durfte. Zum Zweiten jene Stille, die in Momenten auftritt in denen man sie nicht erwartet, und die absolut nichts Gutes verhieß. Die sogenannte Ruhe vor dem Sturm. Doch Felicia hatte einen Auftrag, und eine Assassine zog niemals den Schwanz ein, mochte sie auch ein noch so schlechtes Gefühl dabei haben.

Vor ihr lag nun eine längere Treppe, die sich eng nach oben schlang.

Das ist sie, die Treppe die zum Dach führt. Von ihrem Auftraggeber wusste sie, dass der Schatz der Festung auf dem Dach des Hauptgebäudes lag. Ein seltsamer Platz für einen gehüteten Schatz, hatte sie sich damals gedacht. Doch stellte sie niemals fragen, wenn der Preis für den Auftrag stimmte.

Ein Flügeltor erschien vor ihr. Felicia verlangsamte ihre Schritte. Ihr Herz pochte als sie mit ihren Handflächen gegen die Türen drückte. Langsam schwangen die Tore nach außen auf. Felicia spähte durch den Schlitz bevor sie das Tor ganz öffnete. Doch das was sie zu sehen bekam, war absolut nicht das was sie erwartet hatte.

Sie fragte sich, ob sie wirklich auf dem Dach des richtigen Gebäudes war. Denn hier befand sich, eingerahmt von einem Weg aus weißem Kieselstein, bloß ein einfacher Garten mit geschnittenem Gras. In dessen Mitte sich ein Baum befand, dessen hellgrüne Blätter im Mondlicht schimmerten. Und sonst war dort nichts. Nichts aus Gold, nichts aus Silber.

Die Assassine wähnte sich von ihrem Auftraggeber hinters Licht geführt worden zu sein. Sie trat hinaus auf den Weg und ließ jegliche Vorsicht fallen. Warum auch sollte ein Soldat hier oben Wache schieben?

Was für ein Dreck!, fluchte sie, und trat gegen die Kieselsteine, die über das grüne Gras hopsten. Zornig stemmte sie die Hände in ihre Hüften, und blickte zu dem dürren Apfelbaum. Die Rinde des Baumes war grau wie Asche, sein Alter musste das der Assassine bei weitem übersteigen. Dennoch leuchteten seine Blätter in kräftigsten Grün. Und dort zwischen den Blättern erkannte sie sogar eine rote Frucht von der Größe einer geballten Faust.

Naja, besser als Nichts... Dieser Apfel sollte der Lohn für ihre Mühen sein. Felicia musste an den beschwerlichen Weg in das Graue Gebirge denken. Drei ganze Tage war sie ununterbrochen geritten! Und dabei hatte es die meiste Zeit auch noch geregnet. Ihre Gewänder, wenn man die spärlichen Kleidungstücke als solche bezeichnen wollte, waren triefend nass, als die Festung endlich in Sichtweite gewesen war.

Felicia streckte ihre Hand nach dem Apfel aus. Doch noch bevor ihre Fingerspitzen diesen umschließen konnten, traf sie ein Schlag von der Wucht eines Blitzes gegen die linke Wange. Die Assassine flog in hohem Bogen durch den Garten. Hart schlug sie im Kiesel am Rande des Gartens auf. Nur wenige Fuß weiter und sie wäre über den Rand des Daches gestürzt. Auf ihrer Wange thronte der rote Abdruck einer gepanzerten Faust.

Dolch & Rose - Die letzte AssassineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt