Der Schlag hatte sie unvorbereitet getroffen. Felicia versuchte sich mit ihren Armen hochzustemmen. Diese zitterten, an beiden klebte weißer Staub und Kieselsteine. Genauso sah auch ihr Gesicht aus. Sie wollte fluchen, doch ihr Mund verzerrte sich bloß schmerzerfüllt. Der weiße Kieselsteinweg unter ihr verschwamm zu einer weißen Schlange auf der sie zu reiten schien.
"Das kommt davon, wenn dreckige Assassinen die Frucht des Elderbaumes stehlen wollen." Die Stimme ihres Feindes war die eines alten Mannes, doch sein Schlag hatte es mehr als in sich gehabt.
"Steh auf. Selbst dir soll ein ehrenvoller Tod gegönnt sein. Doch wenn du dich nicht eilst, werde ich meine Geduld verlieren und dir doch mein Schwert in den Rücken rammen."
Ob es nun die Drohung des Ritters war, oder ihr eigener Überlebenswille, sie wusste es nicht, doch Felicia unterdrückte die Schmerzen in ihrem Kopf. Sie stütze sich auf ihren Knien ab und stemmte sich in die Höhe. Schon stand sie wieder aufrecht, wenn auch nur auf wackeligen Beinen. Ihre Augen, durch den polternden Druck im Schädel noch halb geschlossen, fixierten den Feind. Dass dies ein schwererer Brocken war, als alle anderen Gegner in jener Nacht zuvor, stand außer Frage.
Vor der Assassine stand ein Bild von einem Ritter. Ein lebendig gewordener Berg, vom Scheitel bis zu den Zehen in eine schwarze Plattenrüstung gehüllt. Sein Gesicht hinter einer Maske verborgen, die eine gequälte Fratze zeigte. Seine Hände ruhten auf einem mächtigen Zweihänder, dessen Spitze tief in der Erde steckte, und dennoch fast so lang wie die Assassine selbst war.
Felicias Sinne hatten sich nach mehreren Atemzügen wieder gesammelt, als der Ritter sein Schwert erhob und auf sie zuging.
"Kein nacktes Stück Fleisch in das in stechen könnte", bedauerte sie, und zog ihrerseits die beiden Langdolche.
"Dafür wird sich mein Schwert an dir prächtig laben können. Für deinen Frevel, diesen heiligen Ort betreten zu haben, werde ich dich zweiteilen", gab der Ritter zorneserfüllt zurück.
Felicia musste grinsen. Meist waren Männer die große Töne spuckten, kaum einen Kampf wert. Doch dieser Ritter ließ seinen Worten Taten folgen.
Mit einem mächtigen Schwinger von rechts wollte er sogleich kurzen Prozess machen, und die zarte Frau auf Höhe der Brust entzweien. Beinahe wäre es ihm geglückt, denn Felicia war in die Enge getrieben. Den Angriff zu blocken war undenkbar. Die Wucht hätte sie niemals abfangen können. Allein das Gewicht des Zweihänders musste erdrückend sein. Und so spielte sie den Riesen mit seinen eigenen Waffen aus. Er mochte zwar groß und stark sein, doch seine Reaktionsschnelligkeit musste doch darunter leiden.
Felicia sprang nach vorne und nutzte das nasse Gras um auf den Knien unter den Beinen des Ritters hindurchzurutschen.
Ihr Plan ging auf. Über ihrem Kopf flog der Zweihänder hinweg, dabei wirbelte er einen Wind auf, den sie noch als Lufthauch in ihrem Gesicht spürte. Während sie unter dem Riesen war, verpasste sie ihm sogleich zwei empfindliche Schnitte in die Kniekehlen. Dies war eine der Stellen, an denen die Rüstung von Rittern meist schwach, und ihre Haut nur von Leder oder Stoff geschützt war. Und so war es auch bei diesem Ritter.Hinter dem Mann angekommen sprang sie blitzschnell wieder auf die Beine und brachte etwas Abstand zwischen sich und einen möglichen zweiten Schwung des Schwertes.
Felicia grinste noch immer. Dieser Kampf versprach lustig zu werden. Zumal sie ihren Feind durch ihre Schnitte nun deutlich geschwächt glaubte. Nicht selten waren in ihrer Vergangenheit Gegner, denen sie ebensolche Verletzung beigebracht hatte, weinend auf dem Boden zusammengebrochen. Mal sehen ob er noch immer große Töne spuckt, spottete sie in ihren Gedanken.
Der Ritter drehte sich um, die Waffe noch immer hoch erhoben. Er zeigte nicht das geringste Anzeichen dafür, dass die Verletzung ihn beeinträchtigen würde. Ganz im Gegenteil. Als Antwort auf ihren Angriff bekam sie ein gröllendes Lachen zu hören.
"Deine Widerspenstigkeit wird dir hier nichts nützen. Ich mag zwar eine Rüstung tragen, doch mein Fleisch ist immun gegen all deine Waffen." Der Ritter ging abermals auf die Assassine zu.
Felicia ging in die Hocke, die beiden Dolche quer vor ihrer Brust erhoben. Sie fragte sich, was er mit immun meinte. Kein Mensch war immun gegen Waffen... Und so wollte sie den Ritter auf die Probe stellen, anstatt zu fliehen.
Unter einen lauten Ruf, führte der Ritter einen Abwärtshieb von oben herab. Auch dieser Schlag hätte die Assassine mit Leichtigkeit entzweit. Und so wich sie abermals aus. Diesmal nach Links, um sogleich mit ihren Dolchen auf einen der beiden Arme einzustechen, mit denen er die Waffe führte.
Doch der Ritter schien ihren Plan vorhergesehen zu haben. Den Abwärtshieb hatte er nur mit seiner Linken vollführt, eine zur Schaustellung seiner unglaublichen Kraft. Und so war seine Rechte frei. Auf ihren eigenen Angriff fixiert, bemerkte Felicia erst viel zu spät wie die Faust des Feindes abermals auf ihr Gesicht abzielte.
Wieder traf sie ein Schlag von der Wucht eines Rosstrittes, und diesmal mitten ins Gesicht. Felicia flog in hohem Bogen durch die Luft. Ihre beiden Dolche rutschten ihr aus den Händen. Hart schlug sie gegen den dürren Apfelbaumstamm in der Mitte des Gartens auf.
Als die Äste des Baumes erbebten schreckte der Ritter laut auf. "Nein! Ich habe es zu weit getrieben!", schrie er, über sich selbst erzürnt.
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Dolch & Rose - Die letzte Assassine
FantasyNach Ende des 20-jährigen Krieges wendeten sich die rachsüchtigen Könige gegen ihr geliebtes und sogleich gehasstes Werkzeug: Den Assassinen-Orden. Dieser hatte während dem Krieg Hunderte von Generäle, Adelige und Herrscher um ihre Köpfe erleichtert...