Es war nur zu deutlich, dass eine schwere Last von den Schultern des Mädchens fiel. Nach tagelanger Schockstarre, die sowohl Körper als auch Geist befallen hatte, ergoss sich ein Strom aus Tränen über ihre geröteten Wangen.
Felicia bemerkte das Wimmern des Mädchens, doch entschied sich, zunächst nichts dagegen zu unternehmen. Sie konnte bereits erahnen welch schweres Schicksal die junge Prinzessin verfolgte. Wenn sie wirklich von königlichem Blut war, und unter dem Umstand, dass sie als Gefangene in einem dreckigen Kerker saß, musste ihr Land eines der vielen gewesen sein die den Krieg verloren hatten.
Einige Zeit verging, es war unmöglich abzuschätzen wieviel, denn kein noch so winziger Lichtstrahl fand seinen Weg in das unterirdische Gewölbe, da erhob sich schließlich die stille Zellennachbarin.
Die Fackel, die der Wärter auf seiner überhasteten Flucht zurückgelassen hatte, nahm sie zur Hilfe als sie jeden Winkel der Zelle zu inspizieren begann. Sie watete durch das Wasser, von einer Ecke zur anderen. Dabei nun die Ratten, die sich durch das Licht und die Schritte des Mädchens kaum stören ließen, völlig außer Acht lassend. Geduldig prüfte sie das Schloss am Tor, mit einer Hand umfasste sie gar die Außenseite, die außerhalb ihres Blickfeldes lag. Ob sie wohl hoffte, dass der Wärter auch den Schlüssel zurückgelassen hatte? Schließlich ließ sie kopfschüttelnd ab.
Ernüchtert ließ sich die Prinzessin wieder auf das Heu ihres Lagers fallen, die Fackel platzierte sie wieder an ihrem Platz, in der Furche im Boden.
"Ich werde uns schon hier rausholen, keine Sorge", sagte Felica voller Zuversicht. Auf eine Antwort wartete sie vergebens. Um ihrem neu gesetzten Ziel Nachdruck zu verleihen, rüttelte Felica mit Armen und Beinen an den Ketten. Was an eine strampelnde Fliege im Spinnennetz, das sich durch den Wind vor und zurück bewegte, erinnerte. Verdammt, hier ist nichts zu machen.
Im Schein der Fackel stach ihr die Farbe einer ihrer Strähnen ins Auge. Für einen kurzen Moment hätte sie schwören können, weiß, silbernes Haar erblickt zu haben. Was absurd war, denn ihre Haare waren doch schwarz, rabenschwarz. Schließlich schrieb sie es ihren ermüdeten Augen zu, die seit Langem nichts außer absoluter Dunkelheit zu sehen bekommen hatten.Die kindlichen Bemühungen der Assasine wurden durch einen kurzen Blick des Mädchens in der Nachbarzelle belohnt. Es war offensichtlich, dass sie Felicia für eine Verrückte hielt. Und als eine solche wollte sie ihr auch keine Beachtung schenken.
Dies störte Felicia jedoch deutlich wenig. "Das Arschloch ohne Zunge kommt bestimmt wieder. Da du ihm die Grenzen aufgezeigt hast, wird er es dann wohl bei mir, der Wehrlosen, versuchen. Wenn er da mal nicht sein blaues Wunder erlebt!", Hochmut schwang in ihrer Stimme mit.
"Warum sollte ich dir vertrauen?", gab sich die Prinzessin schließlich ergeben. Ihre Stimme hatte etwas melodischen an sich und war unfassbar sanft. "Du bist mir ein völlig fremdes Mädchen. Dessen Beiname 'Bluttrinker' zwar beeindruckend ist, jedoch wenig vertrauenserweckend. Das, und der Fakt, dass sie dich an allen Vieren an die Decke gehängt haben, spricht nicht für dich."
"Na dann, hallte dich doch an das Schweinchen Wächter", sie antwortete schnippisch, wie stets. Doch dann nickte Felicia in stiller Zustimmung. Sie ist ein kluges Mädchen. Es wunderte sie, dass die Prinzessin sie 'Mädchen' nannte. Felicia war fast doppelt so alt wie sie, ginge man nach dem Äußeren. Doch auch dies schrieb sie den schlechten Lichtverhältnissen des Kellers zu. "Ich bin Mitglied des Assassinen-Ordens von Mercia. Du hast bestimmt schon davon gehört?"
Warum sie das der Fremden so frei heraus mitteilte, war ihr ein Rätsel. Vertrauen gewinnen war bestimmt nicht ihr Ziel, es musste wohl eine Nebenwirkung der Langeweile sein."Eine Assassine?", sagte die Prinzessin erstaunt, ihr Blick wanderte hinab zum zierlichen Körper der Fremden, "Nein, ich habe nie von einem solchen Orden gehört."
Dies ließ Felicia umso mehr erstaunen. Sie glaubte ihr Name wäre über alle Grenzen hinaus bekannt, und der Orden musste nun wirklich jedem ein Begriff sein. Dass es nicht so war, ließ sie darüber rätseln aus welchem abgelegenen Winkel der Welt das Mädchen nun kam.
"Dann wurdest du wohl deiner gerechten Strafe zugeführt. Als Mörderin werden sie dich wohl hier unten verrotten lassen", fuhr die Prinzessin fort.
Das Wort Mörderin widerstrebte Felicia ungemein. In der Vergangenheit hatte sie Leuten, welche sie so nannten, schon mal die Nase gebrochen. "Ich bin keine Mörderin", gab sie kurzgebunden zurück. Innerlich sagte sie sich, dass das junge Mädchen es nur nicht besser wissen konnte.
"Meine Dolche haben stets nur das Blut der Schlechtesten aller Menschen gekostet. Es mag makaber klingen, das gebe ich zu, doch durch meine Morde wurde manches Mal das Leben hunderter Unschuldiger gerettet.""Eine Heldin also?", fragte Ceren spitzfindig.
Felicia grinste. "Es ließen sich bestimmt Menschen finden, die mich so nennen."
"Es sei denn natürlich, du hast auch ihnen bereits die Kehle durchgeschnitten."
Die Redegewandheit der Prinzessin erstaunte Felicia. Sie hat bestimmt Politikunterricht erhalten, als sie noch ein kleines Püppchen war. Ihr schwebte das Bild von einem kleinem Mädchen mit gelockten Haaren und in ausgestellten, bestickten Kleidern in rosarot und zitronengelb vor. Die wohlbehütet hinter hohen Mauern eines Palastes mit goldenen Dächern aufwuchs.
"Genug von mir", sprach Felicia, "da du meinen Namen bereits kennst, ist es nur gerecht, wenn ich auch den deinen erfahre. Ich hallte es für gut möglich, dass wir noch eine ganze Weile hier sitzen, naja hängen werden. Und ich möchte dich nun wirklich nicht mit 'Prinzessin' oder gar 'Eure Hoheit' ansprechen. Das widerspräche meinen Gepflogenheiten absolut."
Der Mund des Mädchens lächelte für einen kurzen Moment, wenn auch ihre Augen keine Regung zeigten. "Ceren", sagte sie, "mein Vater ist König...er war König der Avari." Sie senkte ihren Kopf.
Das mysteriöse Volk der Avari, umsponnen von Sagen und Mythen, deren Reich im Herzen der Welt umgeben von den allerhöchsten Gipfeln lag. Sie waren Felicia durchaus ein Begriff, wenn sie auch niemals zuvor mit einem der ihren in Kontakt getreten war. Viele Winkel der Welt hatte Felicia bereist, doch niemals betrat sie das Land der Avari. Es war stets so, als bestünde ein unsichtbares Kraftfeld das die Menschen von den Grenzen des fremdartigen Volkes fernhielt, und ihnen ein Gefühl von Abscheu und Angst einpflanzte mit jedem Schritt in die Himmelsrichtung in der ihr Land lag.
"Macht es dir was aus, wenn ich mich etwas ausruhe?", fragte die Prinzessin wieder an Felicia gewandt.
Erst jetzt vielen der Assassine die grauen Ringe unter ihren Augen auf. "Mach das. Du kannst beruhigt schlafen, während ich hier die Stellung hallte." Felicia zwinkerte Ceren zu.
Die Prinzessin versuchte es sich möglichst gemütlich zu machen, was von außen betrachtet ziemlich schwerfällig erschien. Ganz ohne Decke, auf einem nackten Stück Stroh, das zudem feucht war und als Unterschlupf für die Ratten diente, war es nicht einfach sich in den Schlaf zu wiegen. Doch die Müdigkeit der Prinzessin überwältigte sie bald. Vielleicht half es ihr ja, in der Nachbarzelle eine vermeintliche Freundin zu wissen, die über sie wachen würde.
DU LIEST GERADE
Dolch & Rose - Die letzte Assassine
FantasyNach Ende des 20-jährigen Krieges wendeten sich die rachsüchtigen Könige gegen ihr geliebtes und sogleich gehasstes Werkzeug: Den Assassinen-Orden. Dieser hatte während dem Krieg Hunderte von Generäle, Adelige und Herrscher um ihre Köpfe erleichtert...