Der Schatten

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Ich ging schon auf die Empore. Meine Männer standen noch unten und begutachteten jedes Auto. Ich wollte ihnen etwas Zeit unter sich geben. Immerhin, hatten sie sich auch schon lange genug nicht mehr gesehen. Aus dem Nebenraum drang Musik zu mir herüber. Heute war das Schlaraffenland also geöffnet. Es hätte mich auch gewundert, wenn keiner von Han's Freunden hier gewesen wäre. Nach den Rennen kamen sie immer hier her. Meine Männer setzten sich zu mir. „Du hast dir schöne Autos angeschafft", sagte Brian und lächelte dabei. „Ja, aber Han hatte ja auch die besten Voraussetzungen", meinte mein Onkel. So ging es noch eine Zeit lang weiter. Ich beteiligte mich nicht an dem Gespräch, sondern genoss einfach nur die glückliche Stimmung und die freudigen Gesichter. Plötzlich, nahm Han meine Hand, holte mich so aus meinen Gedanken: „Du bist so still anata. Stimmt irgendetwas nicht?" Ich gab ihm einen kleinen Kuss. „Nein, es ist alles in Ordnung. Ich genieße einfach nur die schöne Stimmung. Ihr seht alle drei so glücklich aus und das macht mich froh. Aber ich denke, es gibt da noch etwas, was wir Dom und Brian nicht vorenthalten sollten." Ich lächelte Han verschmitzt an. Er schien zu ahnen worauf ich hinaus wollte. „Wisst ihr, der liebe Han hat sich hier nämlich auch ein Disneyland für Erwachsenen geschaffen." Dom und Brian hatten die Fragezeichen förmlich im Gesicht stehen. Ich erhob mich aus meinem Sessel und bedeutete ihnen mir zu folgen.

Die graue Tür öffnete sich. Der Raum war voller Frauen, die Brian und Dom direkt umschwärmten. Sie wurde von ihnen mit auf die Tanzfläche gezogen und schienen dies sehr zu genießen. Han und ich fingen ebenfalls an zu tanzen. Ich lehnte meinen Kopf auf seine Brust. „Vielen Dank, das du meinen Onkel angerufen hast. Damit hast du mir eine riesen Freude bereitet." Han gab mir einen Kuss auf meine Locken. „Das habe ich sehr gerne gemacht."

Die Woche mit den Beiden verging wie im Flug. Wir besuchten Tokyo's Sehenswürdigkeiten, zeigten ihnen die schönsten Plätze und lachten viel zusammen. Es war alles wie in einem wunderschönen Traum, aus dem ich nicht mehr aufwachen wollte. Doch nun war der Zeitpunkt des Abschieds gekommen. Wir hatten uns um den Plymouth Roadrunner versammelt. Brian trat als erster auf mich zu. „Pass auf dich auf Serena. Du kannst dich immer bei mir melden, egal was ist. Und noch etwas, Mia und ich würden uns sehr freuen, wenn du die Patentante unseres Kindes wirst". Ich war sprachlos. Hatte Brian das gerade wirklich gesagt? Ich sollte also die Patentante ihres Kindes werden? „Danke, das ist wirklich das schönste Geschenk, was ihr mir machen konntet. Ich werde die beste Patentante der Welt werden. Grüß Mia bitte von mir und passt auf euch auf." Brian und ich umarmten uns noch einmal fest. Nun war mein Onkel Dom an der Reihe. Meine Beine wurden zu Wackelpudding und in meinem Hals bildete sich ein riesiger Klos. Ich schmiss mich in seine starken Arme. Die Tränen liefen mir unaufhaltsam, wollten einfach nicht mehr enden. „Meine Süße, das ist doch kein Abschied für immer. Wir kommen euch einfach noch mal besuchen, oder machen einmal Urlaub zusammen in einem Land, in dem wir noch nicht gesucht werden", sagte Dom mit einem Schmunzeln auf den Lippen. „Ich werde dich sehr vermissen. Doch es geht dir hier gut und du wirst auch weiterhin ohne mich zurechtkommen." Ich hob meinen Kopf an, schaute in seine wunderschönen braunen Augen. „Danke, das ihr hier wart. Das hat mir viel bedeutet. Ich werde mich regelmäßig melden und auf mich aufpassen. Ich hab dich lieb." „Ich hab dich auch lieb Kleines." Dom gab mir noch einen Kuss auf die Wange, verabschiedete sich von Han und stieg zu Brian ins Auto. Als sie abfuhren, war es, als wenn mein Herz in tausend kleine Teile zersprang. Han zog mich in seine starken Arme und gab mir den Halt den ich brauchte.

In der kommenden Woche, versuchten meine Freunde mich abzulenken. Es gelang ihnen auch und nach und nach ließ der Schmerz über die Abreise meines Onkels nach. Alles lief gut, doch immer wieder hatte ich ein mulmiges Gefühl. Immer öfters kam es mir vor, als wenn mich Jemand beobachten würde. Wie ein Schatten, der mich auf Schritt und Tritt verfolgte. Gesehen hatte ich Denjenigen bisher noch nicht, doch seine Anwesenheit spürte ich deutlich. Han erzählte ich nichts davon. Ich wollte ihn nicht unnötig beunruhigen. Doch das mulmige Gefühl verließ mich nicht. Es war an einem ganz normalen Nachmittag, als ich endlich herausfand, wer zu meinem Schatten geworden war. Ich hatte mich von den anderen verabschiedet und war auf dem Weg nach Hause. Als ich in unsere Straße einbog hörte ich, wie hinter mir eine Mülltonne zu Boden fiel. Mein Herz pochte sofort schneller und in meinem Körper breitete sich die Angst aus. „Wer ist da? Zeig dich endlich, ich weiß das du mich schon seit einer Woche verfolgst." Zunächst geschah nichts, doch dann kam er aus seinem Versteck heraus. Meine Augen wollten dem was sie sahen keinen Glauben schenken. Takashi stand nur wenige Meter von mir entfernt. Er grinste mich falsch an. In seinen Augen erkannte ich die Eifersucht, die anscheinend zu seinem Begleiter geworden war. Takashi kam jedoch nicht auf mich zu. Er drehte sich um und verschwand. Ich wusste nicht genau, wieso er mich verfolgte. Denn eigentlich, hatte er keinen Grund eifersüchtig zu sein. Uns verband keine Liebe, sondern nur ein One-Night Stand. So langsam machte ich mir wirklich Sorgen. Mir würde Takashi nichts antun, da war ich mir sicher. Bei Han sah die Sachlage jedoch schon anders aus. Ich setzte mich wieder in Bewegung, nichts ahnend, dass die nächste Hiobsbotschaft bereits auf mich wartete.

Vor meinem Haus stand Sean mit seinem Mitsubishi Lancer Evo VIII. Mein mulmiges Gefühl nahm immer mehr zu. Es musste einen besonderen Grund dafür geben, dass er alleine zu mir kam. Ich beschleunigte meine Schritte. „Hey Sean. Was machst du denn alleine hier? Ist etwas passiert?" Ich erkannte einen Schatten auf seinem Gesicht. „Hey, nein bisher ist noch nichts passiert. Aber wir müssen uns darauf gefasst machen, das etwas passieren könnte." Mein Herzschlag setzte aus. Meine Beine gaben nach und ich sackte zusammen. Meine kleine, heile Welt, brach von Minute zu Minute immer mehr in sich zusammen. Was passierte hier bloß? Sean half mir auf und wir gingen ins Haus. Er holte mir aus der Küche etwas zu trinken, verfrachtete mich auf das Sofa. Er schaute mich erst einmal nur an, schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Sean, beschönige bitte nichts und sag mir einfach die Wahrheit. Was wird passieren?". In seinen Augen stand eine Traurigkeit die mich umhaute. „Ich habe Angst um Han." Wieso hatte er Angst um Han? In meinem Hals bildete sich ein riesiger Klos und die Panik in mir stieg an. „Wieso?", hörte ich mich selber flüstern. „Du weißt ja, das Han im Kuriergeschäft tätig ist und mit Takashi zusammenarbeitet. Takashi hält Han seinen Onkel vom Leib und somit auch die Yakuza. Dafür muss Han die Hälfte seines Gewinns abgeben. Aber 50% von etwas sind besser als nichts. Doch Han hat, bevor er dich kennenlernte, damit begonnen, mehr Geld für sich zurück zu behalten. Er hat Takashi um Geld betrogen. Diesem ist es bisher nicht aufgefallen, doch jeden dritten Monat kommt sein Onkel vorbei, schaut sich die Bücher an und holt sich seinen Anteil ab. Sein Onkel ist ein erfahrener Geschäftsmann. Ihm wird es sicherlich auffallen. Ich habe einfach Angst, das Takashi zu uns in die Garage kommt und Han etwas antut." Ich konnte sehen, wie sehr Sean litt. Er drückte seinen Finger so eng zusammen, dass man nur noch das Weiße sah. Ich selbst wusste noch nicht, wie ich mit dieser Information umgehen sollte. „Wann kommt sein Onkel denn wieder hier her?" Sean atmetet einmal tief durch und sagte: „Heute. Ich hab es eben erst erfahren, sonst wäre ich schon früher hier gewesen" Meine heile Welt brach in diesem Moment vollkommen für mich zusammen. Schon heute würde sich wahrscheinlich alles verändern. Ich war sprachlos. Sean sah mich flehend an. „Ich weiß nicht, ob etwas passieren wird und Han hat keine Ahnung davon, dass ich das mit dem Geld mitbekommen habe, aber wir müssen für alle Fälle vorbereitet sein." Plötzlich, kam mir etwas in den Sinn, was Han retten könnte. „Sean, ich glaube ich habe eine Idee. Hör mir jetzt bitte einfach zu und unterbrich mich nicht." Sean nickte mir zu. „Du weißt, dass ich eine dunkle Seite hatte. Ich liebte das Spiel mit dem Feuer und Männer waren nur ein kurzer Zeitvertreib für mich. Nachdem ich Takashi beim Driften besiegt habe, bin ich mit ihm im Bett gelandet. Mein Teufel, hatte die vollkommene Kontrolle über mich. Han weiß nichts davon...Seit einer Woche verfolgt mich auch Jemand wie ein Schatten auf Schritt und Tritt. Seit eben, weiß ich wer es ist." Sean sah mich ungläubig an. „Es ist Takashi. Er scheint auf das Glück von Han und mir eifersüchtig zu sein. Takashi würde Han etwas antun, doch mir sicherlich nicht. Dafür scheint er zu vernarrt in mich zu sein. Ich bin der Schlüssel zu Han's Rettung verstehst du?" An diesem Nachmittag brüteten Sean und ich noch lange über einen Plan. Gingen alle für uns plausiblen Möglichkeiten durch. Nach drei Stunden verabschiedete Sean sich und ich fuhr so schnell ich konnte zu Han. Ich wollte ihn um jeden Preis beschützen, selbst wenn es mich das Leben kosten könnte.

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