9.36 Uhr. Reflexartig schalte ich mein Smartphone ein und wieder aus, ein und wieder aus, in der Hoffnung es würde sich etwas an der Zeit ändern. Ich hatte mir vorgenommen pünktlich zu sein, doch fast eine halbe Stunde zu früh ist eindeutig zu pünktlich. Mein Ziel ist keine 100 Meter von mir entfernt und plötzlich spüre ich bei diesem Gedanken Panik in mir aufsteigen. Ich lasse mich auf eine Bank am Rand des Weges fallen, auf welchem ich bis eben noch im Schneckentempo entlanggeschlichen war. Fixiert auf meinen viel zu schnell und unregelmäßig gehenden Atem versuche ich die Umgebung wahrzunehmen. Um mich herum sind vereinzelt Bäume, Sträucher und Blumen gepflanzt ohne, dass sich daraus ein Muster oder Schema ergibt. Ich befinde mich inmitten eines kleinen Stadtparks und rechts von mir zieht sich am Ende dieses Parkes das Theater entlang einer Straße. Mein Herz beginnt wieder heftiger zu pochen und ich schließe meine Augen um mich auf das Vögelgezwitscher zu konzentrieren, das mich umgibt. Doch es bringt nichts, immer wieder schweifen meine Gedanken ab zur Uhrzeit.
Zehn vor Zehn beschließe ich mich dem Unausweichlichen zu stellen und gehe aus dem Park hinaus, über eine Straße geradewegs auf das Theater zu. Ich war schon oft daran vorbei gefahren, hatte die Plakate in der Stadt gesehen, wenn eine neue Premiere bevor stand und hatte mir vorgestellt wie die Menschen aussahen, die dort arbeiten. Nun würde ich selbst jemand davon sein, zumindest für die nächsten zwei Wochen. Meine Beine fühlen sich nun zunehmend wie Gummi an, je mehr ich mich der Pforte, zu welcher ich bestellt bin, nähere. Ich versuche tief durchzuatmen und mich an meine Beruhigungstechnik zu klammern, die ich mir bereits vor zwei Jahren angeeignet hatte, nachdem es begonnen hatte. Alles ist gut, es wird nichts passieren. Meine Stirn ist angenehm kühl, meine Atmung ruhig und gleichmäßig...
Ich drücke gegen die gläserne Tür der Pforte, doch sie rührt sich nicht. Ich ziehe daran und komme mir schon so lächerlich genug vor, allzulange vor einer Tür zu stehen und sie nicht aufzubekommen, als dass ich noch den Blick des Pförtners gebraucht hätte, der sich herrlich darüber zu amüsieren scheint. Mit einer Handbewegung gibt er mir zu verstehen, dass ich ziehen solle, doch da ich das zuvor schon versucht hatte, schüttele ich nur den Kopf, woraufhin seine Hand unter dem Tresen verschwindet und ein Summen ertönt. Er gibt mir noch einmal das Handzeichen und als ich dieses Mal ziehe bekomme ich die Tür endlich auf. Mit geröteten Wangen trete ich ein. Ich befinde mich in einer Art Eingangshalle, von welcher aus ein langer Gang tiefer in das Gebäude hineinführt. Links neben dem Eingang befindet sich eine Treppe in ein tieferes Stockwerk und ein Pfeil weist die Richtung zur Probebühne "P25".
Mit gesenktem Blick trete ich an den Tresen und gebe ein halblautes ,,Danke", von mir. Da nichts erwidert wird, nehme ich all meinen Mut zusammen und hebe den Blick.
,,Mein Name ist Elice Brooke, ich soll mich hier melden. Ich bin die neue Praktikantin."
Meine Stimme klingt rau und stumpf.
,,Verstehe", antwortet der Mann und wählt eine Nummer um vermutlich jemanden anzurufen, der mich abholt. Ich lehne mich an den Tresen, unfähig allein zu stehen, und lasse meinen Blick durch die gläserne Tür nach draußen schweifen. Das Wissen, dass die Tür direkt in der Nähe ist, gibt mir ein Gefühl von Sicherheit. Ich könnte jeden Moment wieder hinaus rennen, wenn ich wöllte.
Draußen hat sich mittlerweile ein Typ an das Geländer vor der Tür gelehnt, er scheint vollkommen in sein Smartphone vertieft zu sein und auf etwas oder jemanden zu warten. Er trägt eine schwarze Cap, ein bedrucktes Shirt mit einer Jacke darüber und eine graue Jeans. Ich kann ihm nicht ins Gesicht sehen, da er vollkommen über sein Handy gebeugt ist, aber dennoch wirkt er auch so unverschämt attraktiv auf mich, als würde mich irgendetwas an ihm magisch anziehen. Ich muss mir unwillkürlich vorstellen wie es wäre ihn anzusprechen, ein Date mit ihm zu haben, ihn zu küssen. Doch das ist nicht die Realität, diese Vorstellung gehört meinem inneren Ich, das diesen Mut besitzt. Ich allerdings lebe lieber für mich allein, zurückgezogen, in einer Welt aus Gedanken, in der ich alles sein kann und Mut habe. Ich würde ihn nie wieder sehen. So geht es mir mit jedem Typen, dem ich begegne und der mir gefällt. Meine Angst hält mich zurück und so finde ich mich jedes Mal damit ab, dass es nur eine Begegnung war und nichts tiefgründiges.
Bevor ich noch länger darüber nachdenken kann, höre ich jemanden hinter mir meinen Namen rufen. Ich zucke instinktiv zusammen und drehe mich um. Ein Mann in den Vierzigern, mit Glatze und runder, brauner Brille kommt auf mich zu. Er strahlt mich an und reicht mir die Hand.
,,Steffen", stellt er sich vor, entschuldigt sich dafür, dass ich so lange warten musste und erkundigt sich, ob ich gut hergefunden hätte. Nachdem ich das mit einem Nicken beantwortet habe, blickt er sich suchend um bis sein Blick nach draußen fällt.
,,So, dann werden wir noch den Alex mitnehmen, der es nicht hinein geschafft hat wie es aussieht und dann werde ich euch eure Aufgabe für heute erklären", sagt er mit einem Lächeln und ist schon auf dem Weg nach draußen.
Alex? Euch?!
Ich spüre wie sich mein Puls beschleunigt.
Heilige Scheiße, er meint den Typ, der draußen am Geländer lehnt. Er ist der zweite Praktikant und wartet nur auf uns. Oh fuck, ich kann unmöglich jetzt da raus gehen.
,,Kommst du?", reißt mich Steffen aus meinen Gedanken und sieht mich erwartungsvoll an. Erst in diesem Moment bemerke ich, dass ich wie angewurzelt stehen geblieben war. Ich nicke, mehr bringe ich im Moment nicht zustande und gehe schnell auf ihn zu, damit er keine weiteren Fragen stellt. Als Steffen die Tür aufschiebt, schaut besagter Alex von seinem Smartphone auf und ein Lächeln umspielt seine Lippen, wobei er mich vorerst nicht wahrzunehmen scheint. Steffen begrüßt ihn und stellt uns einander vor. Ich ergreife Alex' Hand, die er mir hinhält und er umschließt sie mit seiner, wobei er mich mit seinem Blick fixiert.
,,Morgen", sagt er mit einer undurchdringlichen Miene woraufhin ich ein ,,Hallo", aus mir herauszwinge und verlegen lächle.
Nachdem wir das hinter uns gebracht haben, gehen wir die kleine Straße wieder hinab, die hinter dem Park in die Hauptstraße mündet, an dem Park vorbei und um das Hauptgebäude herum, in welchem sich die Garderobe und der Zuschauerraum, für Abendvorstellungen, befinden. Große Plakate hängen zur Hauptstraße gerichtet von dem flachen Dach hinab und zeigen Stücke, die aktuell gespielt werden. Dieses Gebäude dient als Repräsentant. Es ist der Eingang für Besucher, hat verglaste Außenwände und ein großes Foyer im Obergeschoss, als Aufenthaltsort in der Pause. Natürlich habe auch ich hier schon eine Vorstellung besucht.
Nachdem wir der Hauptstraße einige Meter gefolgt sind und das Hauptgebäude hinter uns gelassen haben, erreichen wir ein Nebengebäude, wo uns Steffen das Büro zeigt und uns nach einer Führung durch das Theater die Aufgaben für heute erklärt. Sie bestehen darin, Kisten, Aufsteller und andere Dinge von einem Ort zum nächsten zu bringen und aufzustellen, und bei sonstigen Sachen zu helfen, da am nächsten Tag eine Art Event im Theater ausgetragen wird und die Vorbereitungen dafür bereits in Hochtouren laufen.
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show me love
Teen FictionDie 17-Jährige Elice Brooke hat keine Ahnung was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Sie ist ängstlich, zurückhaltend aber intelligent. Sie erlebt keine Abenteuer, viel mehr ist sie Träumerin und scheint in keine Schublade zu passen. An ihrem ersten...