Kapitel 6

33 5 1
                                    


Am Ende eines langen Gangs kommen wir schließlich an eine massive Stahltür. Er schiebt sie mit seinem Rücken auf und lässt mich hindurchgehen. Meine Augen weiten sich und mein Atem stockt. Ich finde mich in einer Art Innenhof wieder, nur, dass er nicht wie gewöhnlich grau sondern grün erstrahlt. Der Beton wurde durch Rasen ersetzt und in Quadraten angeordnet wachsen exotische Gräser und Farne. Im hinteren Teil und in der Mitte dieses kleinen Paradieses, erspähe ich sogar junge Bäume und Zierbüsche. Es ist wunderschön.
"Komm", flüstert er und geht auf die hintere Baumreihe zu.
Ich folge ihm vorbei an weiß blühendem Pampasgras, raschelndem Blaustrandhafer und Bogenhanf, hinein in blau blühenden, kalifornischen Flieder und eine Reihe Baobab- und Eukalyptusbäume.
"Hier werden Requisiten gezüchtet", sagt er, dreht sich um und zwinkert mir zu, bevor er zwischen zwei großen Sträuchern verschwindet. Ich bin mir nicht sicher ob er das ernst meinte oder ob es vielmehr Ironie war. Noch nie habe ich echte Pflanzen als Requisiten auf einer Bühne gesehen.
Ich möchte ihn fragen, doch er ist verschwunden.
"Alex?", rufe ich den Bäumen entgegen, doch nicht einmal mein Echo antwortet mir.
Nicht panisch werden Elice, er ist sicher nur ein paar Schritte von dir entfernt.

Ich trete auf die Sträucher zu, zwischen welchen er gerade verschwunden ist und schiebe sie beiseite.
Eine kleine, runde Fläche tut sich vor mir auf, die nur von Moos bewachsen ist.
In der Mitte steht ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen.
"Madame?"
Ich fahre zusammen und bin gleichzeitig erleichtert.
Alex ist plötzlich neben mir aufgetaucht und reicht mir eine Hand, als wöllte er mich zum Tanz auffordern.
Er hat mich erschreckt, aber mehr hat er mich überrascht. All die Jahre hatte ich mir gewünscht, dass jemand genau das zu mir sagen würde, und er hatte mich gerade tatsächlich Madame genannt.

Ich kann nicht anders als ihn wie ein kleines Kind anzugrinsen. Er ist so zuvorkommend und charmant, er gibt mir ein gutes Gefühl, das Gefühl etwas besonders zu sein. Mit jedem Moment, den wir zusammen verbringen, habe ich das Gefühl ihn mehr zu mögen und leise tanzen ganz kleine Schmetterlinge durch meinen Bauch

Erwartungsvoll sieht er mich an und ich ergreife endlich seine Hand.
Er führt mich durch das weiche Moos an den kleinen runden Glastisch, auf dem bereits das Essen steht.
Er hat den großen Teller in die Mitte gestellt und die beiden kleineren daneben, sodass sich jeder etwas nehmen kann.

Er zieht einen Stuhl vom Tisch und lässt mich Platz nehmen.
"Bitte, die Dame. Es wäre angerichtet."
Dabei verbeugt er sich wie ein Kellner und legt die Hand auf den Rücken.
"Der Chardonnay war leider aus."
Entschuldigend senkt er den Kopf und zaubert eine Glaskaraffe unter dem Tisch hervor.
"Aber wie wäre es mit dem edelsten Tropfen des Hauses? Kristallklar, vitalisierend und vulkangefiltert."

Ich beginne zu prusten.
"Sehr gern," presse ich zwischen zwei kleinen Lachanfällen hervor.
Er scheint ebenfalls ein Lachen zu unterdrücken, fällt aber nicht aus der Rolle.
Vorsichtig gießt er jedem ein Glas ein und erhebt seins anschließend, um die Flüssigkeit darin zu schwenken, daran zu riechen und einen kritischen Schluck zu nehmen.
"Hervorragend! Nur zu."
Ich nehme ebenfalls einen Schluck des lieblichen Wassers.
"Hervorragend!", zitiere ich ihn und er stimmt in mein Lachen ein.

"Nun zum wesentlichen Teil: ich präsentiere eine Variation aus Käse, zart ummanteltem Hähnchenfilet und schonend gebackenem Weizen mit Tomatenessenzen und Wildkräutertatar."
Seine Hand schwebt über den Teller.
Es sieht in der Tat gut aus und seine Präsentation von Blätterteig, Nuggets, Pizzabrötchen und Käsespießen mit Gemüse, macht Lust auf mehr.
Dennoch vergeht mir beim bloßen Gedanken daran etwas essen zu müssen der Appetit.

Verdammt Elice, reiß dich zusammen.
Es ist nur Essen, du kannst essen.
Es wird nichts passieren.
Du sitzt hier, mit einem gutaussehenden Typen und bist drauf und dran alles zu versauen!

Die Angst ist nicht real.

Ich starre das Essen an.
"Also, das kann man essen, weißt du?"
Er grinst mich an und läd ein paar Dino Nuggets und Pizzabrötchen auf seinen Teller bevor auch er sich setzt.
Ich lächele nervös und nehme mir eine Blätterteigtasche.
Langsam teile ich sie in der Mitte und stelle erleichtert fest, dass sie mit Spinat und Käse gefüllt ist, eine meiner Lieblingskombinationen.
Bevor ich es mir anders überlegen kann, beiße ich in sie hinein und versuche möglichst wenig darüber nachzudenken, was das für Folgen haben könnte.
Zu meinem Erstaunen passiert aber tatsächlich nichts und sie schmeckt einfach nur unglaublich gut.
"Na, besser als gedacht, oder? Die Kinder haben Geschmack."
Er zwinkert mir zu und ich grinse unbeholfen zurück.
Ich fühle mich wohl in seiner Nähe und kann fast vergessen, wovor ich eigentlich Angst hatte.
"Danke."
"Was?", er schaut von seinem Teller auf, als hätte ich ihn aufgeschreckt.
Er sieht sichtlich verwirrt aus.
"Danke, dass du mir das hier gezeigt hast."
Ich deute auf die Pflanzen, die uns umgeben.
"Und für das Essen", füge ich leise hinzu.
Er legt das Pizzabrötchen, das er gerade essen wollte, auf den Teller zurück und wischt sich die Hände an einer Serviette ab.
Einen Moment lang hält er inne.
"Nicht dafür."
Dann gleitet seine Hand über den Tisch und umschließt meine Hand von oben.
"Ich wünschte wir könnten einfach hier unten bleiben."
Er sieht mir fest in die Augen. Er wirkt fast ein bisschen.. verträumt?
Seine Gesichtszüge sind immernoch kantig, dennoch wirkt sein Ausdruck weicher, irgendwie friedlich.
"Ich frage mich, warum eine bezaubernde Dame wie du, keinen festen Freund hat."
"Ich.."
Mein Körper scheint mit der Ausschüttung von Glückshormonen so beschäftigt zu sein, das ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann.
Alex' Hand liegt auf meiner. Mein Herz rast. Er hat mir offensichtlich eine Frage gestellt, und ein Kompliment gemacht. Doch ich bin unfähig zu atmen, zu antworten, zu denken.
"Elice?"
Endlich setzt mein Gehirn wieder ein.
"Ich.. ich habe keinen Freund", stottere ich vor mich hin.
Er lacht in sich hinein und sieht mir direkt in die Augen.
"Das verstehe ich nicht."
"Nicht?", frage ich unschuldig.
Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen und sein Kiefer bildet plötzlich eine harte Linie.
Er zieht scharf die Luft ein.
"Nein."
Die ganze Kühle schlägt mir entgegen und schnell verpufft alles, was gerade noch zwischen uns war.

Ich entziehe ihm meine Hand und stehe auf.
Er sieht gequält aus. Fast so, als würde er sich selbst leid tun und insgeheim hoffe ich, dass er merkt, wie sehr mich seine Reaktion verschüchtert hat.
Ich fühle mich vor den Kopf gestoßen, irgendwie verraten, obwohl eigentlich gar nichts passiert ist.
Es ist nicht das Gespräch oder was er gesagt hat, sondern die Kühle, die er mir jedes Mal wieder entgegen bringt, wenn ich denke, dass wir uns gerade etwas annähern.
Ich weiß nicht was ich sagen oder tun soll. Es hätte ein schönes Essen werden können, doch die Situation überfordert mich. Er zieht mich an, um mich gleich danach wieder von sich weg zu stoßen. Damit kann ich nicht umgehen.
Ich bin zu sensibel, zu schwach.

Das warst du schon immer..

Nach einer Minute des Schweigens und Starrens erhebt er sich endlich.
"Elice, ich... was..."
Er hebt die Hände und lässt sie wieder sinken.
Entschuldigend sieht er mich an, doch die harte Miene bleibt.
Ohne etwas zu sagen drehe ich mich um und gehe. Erst langsam, dann immer schneller, so schnell meine Beine mich tragen können. Ich will nur noch weg, so schnell wie möglich. Mein Körper zittert. Hecktisch schlage ich die dünnen Zweige der Bäume aus meinem Weg und glaube ihn hinter mir fluchen zu hören.

show me loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt