Kapitel 1: Alltag
Sicht von Kagome:
Mit einem lauten Seufzer schnappte ich mir eines meiner kuscheligen Kissen und zog es mir über den Kopf. Das Piepen meines Weckers hatte mich aus meinem schrecklichen Traum gerissen, wofür ich einerseits dankbar, auf der anderen Seite aber auch genervt war. Nach einer guten Minute verstummte die klingende Uhr auf dem Nachttisch und ich atmete erleichtert auf. Nun hatte ich noch weitere zehn Minuten die ich in meinem traumhaften Doppelbett verbringen konnte. Deshalb kuschelte ich mich unter die wohlig warme Decke und schloss nochmal die Augen. Diesen Traum musste erst einmal verarbeiten werden. Während meiner Prüfungsphase wurde ich täglich mit diesen schrecklichen Bildern konfrontiert. In letzter Zeit aber ließen sie nach. Umso überraschter war ich, dass der Alptraum nun wieder auftauchte.
Ich schaffte es tatsächlich noch einige Minuten lang zu schlummern, bis der Piepton wieder erklang und dieses Mal war ich dazu gezwungen aufzustehen. Denn ich hatte noch einiges zu tun, bevor ich zur Arbeit aufbrechen musste. Also schlug ich die Decke beiseite, stieg schwerfällig aus dem Bett und schlurfte mit schweren Schritten in die Küche. Dort betätigte ich den Knopf der Kaffeemaschine, die am Tag davor schon vorbereitet wurde. Nach wenigen Minuten begann das kochende Wasser durch den Filter zu laufen und auf den Boden der Glaskanne tropfte das aufputschende Gebräu.
Diese Gelegenheit nutzte ich um ins Badezimmer zu huschen und zu duschen. Das warme Wasser entspannte meine Muskeln und ich blieb einige Minuten länger als eigentlich nötig. Danach trocknete ich mich ab, zog mir Kleidung an und ging zurück in die Küche. Dort war der Kaffee nun bereit und mit passenden Reisbällchen setzte ich mich an den kleinen, runden Tisch und aß mein verspätetes Mittagessen. Die Uhr an der Wand zeigte schon sechszehn Uhr an, in vier Stunden musste ich zur Arbeit.
Der Tagesablauf von mir war seit langem total aus der normalen Bahn geworfen. Nach der Oberschule fing ich ein Medizinstudium an, da ich Ärztin werden wollte. Eine Bank entschied sich auch dafür, mir einen Kredit auszuzahlen, um das Studium bezahlen zu können. Doch durch den ganzen Stress und die immer wiederkehrenden Alpträume lief es anders, als eigentlich geplant. Ich verhaute eine Klausur nach der anderen und damit war der Durchschnitt von 1,0 dahin. Am Ende wurde es nur eine 2,0 und dadurch verlangte die Bank nun siebzig Prozent des Kredites zurück.
Normalerweise sollten die jungen Menschen nach dem Studium einen Arbeitsplatz in einem Krankenhaus annehmen, um in verschiedenen Stationen Erfahrungen zu sammeln.
Wegen schlechten Noten bekam auch nicht gleich jeder eine Stelle in einem Krankenhaus, die ich jedoch unbedingt benötigte. Nach dem Studium war man hier noch lange kein Arzt, sondern wurden als Junior Doktor bezeichnet. Erst nachdem man zwei Jahre lang verschiedene Stationen kennengelernt und in ihnen gearbeitet hatte, durfte man eine Facharztausbildung beginnen.
Da erst nächstes Jahr eine Stelle frei wurde, weil die mit dem besten Durschnitt Vorrang hatten, arbeitete ich nachts in einer Bar. So konnte ich meine Ein-Zimmer Wohnung behalten und zusätzlich der Bank ihr Geld wiedergeben. Nun war ich also Kellnerin, Bar- und Putzfrau in einem und schlug mir die Nächte um die Ohren. Hätte ich die blöden Klausuren nur nicht verhauen, dachte ich mir und aß mein letztes Reisbällchen seufzend auf.
Die nächsten Stunden, bis zum Dienstbeginn, verbrachte ich mit dem Einkauf, Vorbereitungen für das Essen am nächsten Tag und nebenbei telefonierte ich noch mit meiner Mutter. Die Frau hatte Angst um ihre Tochter, da ich momentan so unglücklich war. Auch bot sie mir wieder einmal an, den Kredit für mich zu übernehmen, was ich jedoch erneut dankend ablehnte. Ich wollte meiner Familie keine weiteren Schwierigkeiten bereiten und selbst für das Leben hier verantwortlich sein. An sich war ich eigentlich sehr erwachsen geworden, vor allem reifer. Mein Großvater war wahnsinnig stolz auf mich und alle unterstützten mich, wo sie nur konnten.
Um Neunzehn Uhr war es dann auch wieder soweit. Ich zog mir einen bequemen beigefarbigen Pullover an, dazu eine passende braune Stoffhose. Meine Haare ließ ich in sanften Wellen über meine Schultern fallen und kurz darauf schlüpfte ich in meine schwarzen Sneaker. Ich schnappte mir noch meine Handtasche, den Schlüsselbund und mit einem Knall zog ich die Tür hinter mir zu und verriegelte sie. Eigentlich war das nicht unbedingt notwendig, denn ich besaß nicht viel, was man mir hätte klauen können. Aber von zu Hause aus, war das wohl eher die Gewohnheit und diese ließen sich schlecht abstellen.
Meine kleine Wohnung war sehr sporadisch eingerichtet. In dem einzigen Zimmer stand ein Kleiderschrank mit der passenden Kommode aus Buche und mit einem Röhrenfernseher darauf platziert. In der Ecke fand man ein Doppelbett vor, das meine Mutter mir zum Einzug schenkte. In der Mitte des Raumes stand ein runder Tisch, an dem man auf dem Boden sitzend essen konnte. Mehr nicht. Mein Badezimmer war mit dem Wichtigsten ausgestattet, genau wie die winzige Küche. Also nichts Besonderes, wie ich fand.
Langsam lief ich zur Station, wo die U-Bahn abfuhr. Ich kam gerade am Gleis an, da stand schon der Zug parat. Ich freute sich sehr darüber, da ich ohne lange Wartezeit los fahren konnte. Perfektes Timing, dachte ich zufrieden. Nach fünf Stationen stieg ich aus und mit schweren Schritten zwang ich mich die Treppen hinauf ins Freie. Nun musste ich nur noch gute zwanzig Minuten Fußweg hinter mich bringen und ich wäre an meinem Ziel.
An der Bar angekommen, öffnete ich die Tür und der Geruch von Alkohol stieg sofort in meine Nase. Ich hatte mich mittlerweile daran gewöhnt und verzog keine Miene. Ich trat ein und mein Chef – Masao - und dessen Sohn – Naoki - erwarteten mich bereits. »Hallo zusammen«, begrüßte ich die beiden Männer. Masao war gerade dabei, die dunklen Holztische zu putzen, als er bemerkte, dass ich angekommen war. »Sei gegrüßt Kagome, hast du dich gut erholt?«, fragte der ältere Mann freundlich. Ich nickte zur Antwort und beobachtete, wie Naoki sich in die hinteren Zimmer verzog. Wahrscheinlich ging er gerade ins Lager, um Nachschub für die Bar zu besorgen. Also lief ich an der Theke vorbei, die von Lichterketten beleuchtet wurde und huschte durch dieselbe Tür, um Naoki zu folgen.
Meine Füße trugen mich durch den schmalen Flur entlang und dann betrat ich einen anderen, kleineren Raum mit Spinden. Bevor ich die Tür jedoch schloss, drehte ich ein Schild um, damit die beiden Männer wussten, dass ich dieses Zimmer nun nutzte. Masao hatte neben mir und seinem Sohn keine weiteren Mitarbeiter und da uns dreien nur dieser Raum zur Verfügung stand, hatten wir uns auf ein Schild geeinigt, damit niemand plötzlich hereinplatzte und mich beim umziehen stören konnte.
Ich öffnete meine Spindtür, legte die Handtasche hinein und zog meine Arbeitskleidung an. Diese bestand aus einer weißen Bluse, darüber trug ich eine schwarze Weste und ein Bleistiftrock, eine ebenfalls weißen Schürze machte meine Uniform komplett. Klassisch, wie ich fand und dazu band ich mir die Haare zu einem typischen Pferdeschwanz zusammen. Als ich fertig war, betrachtete ich mich zufrieden im Spiegel, der an der Innentür meines Spindes befestigt war und strich nochmals den Stoff meiner Arbeitskleidung glatt. Danach trat ich wieder hinaus in den Flur.
Dort krachte ich jedoch in jemanden hinein, der drei Kartons auf den Armen trug. »Aua«, fluchte ich laut. »Oh, Hallo Kagome. Schön das du wieder da bist«, begrüßte mich Naoki, »Entschuldige bitte meine Unachtsamkeit.« Ich schüttelte nur den Kopf, nahm ihm einen Karton ab, sodass er wieder den Blick nach vorn hatte und antwortete: »Kein Problem.« Gemeinsam liefen wir zurück zur Theke, wo Masao die Soundanlage austestete. Ich richtete die Hocker gerade, sortierte zusammen mit Naoki die Flaschen ein und kurz danach kamen auch schon die ersten Gäste.
Die Bar war an sich sehr dunkel vom Mobiliar und der Wandgestaltung, jedoch beleuchteten die vielen Lichterketten den Raum und machten den gesamten Laden etwas gemütlicher. Der Abend verlief ohne weitere Probleme, doch der Alkoholpegel stieg schnell bei den Gästen an, je später es wurde. Erst um halb fünf morgens verließen die Letzten die Bar. Manchmal verfluchte ich es, dass wir die ganze Zeit offen hatten, aber nur abends kamen die Leute und wollten entspannt ihren Cocktail trinken, oder etwas tanzen. Die Jüngeren feierten lieber in einem Club, aber die Älteren kamen hier her. Die bissigen Kommentare der Männer, wegen meinem Aussehen, ignorierte ich einfach und wenn jemand doch etwas über die Stränge schlug, stand schon Naoki parat und übernahm den Tisch für mich. Beide meiner Kollegen würden niemals zulassen, dass mir etwas passierte, dadurch fühlte ich mich sehr wohl.
Nun begannen wir zu putzen und räumten auf. Masao verschwand kurz und kam daraufhin mit einem leckeren Frühstück für alle wieder. Somit setzten wir uns alle an die Bartheke und aßen zusammen. »Und Kagome? Wie sieht es bei dir mit einem Freund aus, hast du momentan einen?«, fragte mein Chef plötzlich. Ich verschluckte mich an meinem Reis, den ich mir gerade in den Mund gesteckt hatte. Ich hustete, trank danach einen kräftigen Schluck von meinem grünen Tee, um die restlichen Körner hinunterzuspülen. Naoki schlug mir zusätzlich noch sanft auf den Rücken.
»Wie bitte?«, fragte ich vorsichtig. Masao lächelte frech. Seine Falten schienen sogar die Ohren zu erreichen. »Na, hast du momentan einen Freund?«, fragte er nochmal. Ich sah ihn ungläubig an. »N-Nein...«, stotterte ich. Meine Wangen verfärbten sich rot. Mir war das sichtlich unangenehm. »Wie wäre es denn dann mit meinem Jungen?«, hakte er nach. Um seine Frage visuell zu bestärken, zeigte er mit seiner Hand auf Naoki. Ich starrte meinen Chef mit aufgerissenen Augen an. »I-Ich...«, antwortete ich leise. Mir fehlten schlichtweg die passenden Worte. Naoki lief mindestens genauso rot an, wie ich und dieses Mal verschluckte er sich an seinem Tee. »Vater, das kannst du doch nicht einfach so sagen!«, meckerte sein Sohn. Seine Stimme klang nervös. Wieder lachte der Chef: »Wieso nicht? Sonst wirst du sie nie nach einer Verabredung fragen.« Was passierte hier gerade, fragte ich mich. Naoki hatte also Interesse an mir?
»I-Ich weiß nicht recht...«, murmelte ich. Naoki wedelte nervös mit seinen Händen und winkte es ab. »M-Mach dir k-keinen Kopf. I-ist schon in Ordnung.« Ich starrte beschämend auf die Theke, die Musterung des Holzes war urplötzlich sehr interessant. »Ihr seid mir ja ein paar verklemmte Sprösslinge«, sagte der Chef und lachte herzhaft in sich hinein. Er stand daraufhin auf und verschwand. Naoki und meine Wenigkeit räumten schweigend das Essen weg und dann hatten auch wir Feierabend. Gedankenverloren lief ich den Weg zur Station zurück.
Ich hing immer noch bei den Worten meines Chefs. Auch musste ich zugeben, dass Naoki wirklich nicht schlecht aussah, er hatte blondes Haar, dass kam von seiner Mutter, da sie Europäerin war. Grüne, runde Augen und ein paar Sommersprossen schmückten sein Gesicht. Er war recht groß, ich schätzte ihn auf ein Meter achtundsiebzig. Meist lief er mit einem Hemd durch die Gegend, das locker an seinen Oberkörper hinab fiel. Dazu trug er eine dunkelblaue Jeans mit bequemen Turnschuhen. Am Anfang hatte ich wirkliche Probleme mit ihm warm zu werden, da ich von seinem Aussehen etwas eingeschüchtert wurde, aber er war ein lieber Kerl, dadurch ging es dann relativ schnell mit dem aneinander gewöhnen.
Doch ich hatte keinerlei Interesse an Dates oder dergleichen. Nicht nachdem...
Ich unterbrach meine trüben Gedanken, da ich am Gleis ankam und sofort in meine Bahn steigen konnte. Das Glück, wieder nicht warten zu müssen, beflügelte mich ein wenig und lenkte ab. Ich fuhr die fünf Stationen zurück und nahm die Treppe ins Freie. Dort war es immer noch schummrig, es würde aber nicht mehr lange dauern, dann würde die Sonne den Himmel begrüßen.
Ich lief durch die dunklen Straßen, manchmal machten mir die Gassen etwas Angst, aber ich versuchte nicht daran zu denken. Denn sonst würde es nur noch schlimmer werden.
Ein Miauen erweckte meine Aufmerksamkeit. Ich sah auf den Boden und entdeckte eine Katze. Das Tier schmiegte sich gegen meine Beine und daraufhin verschwand sie in der Dunkelheit. Neugierig folgte ich ihr mit den Augen und erkannte, dass sie zu einer sitzenden Person in einer Seitengasse lief. Mir wurde schon etwas übel, bei dem Gedanken, dass dort anscheinend ein Mensch auf dem Boden saß. War er ohnmächtig, oder alkoholisiert? Mein Medizinerherz wurde neugierig und schlug wild in meiner Brust. Ob er Hilfe benötigte?
Ich lief zu dem Unbekannten und stand nun direkt vor der sitzenden Person. Der Kopf war gesenkt, der Anzug voller Blut und dieser Mensch schien wirklich schwer verletzt zu sein. Sofort ging ich in die Knie, ignorierte dabei, dass meine Hose dreckig wurde. »Hallo?«, fragte ich leise, »Benötigen Sie Hilfe?« Innerlich schlug ich mir gegen die Stirn. Blöde Frage, dachte ich mir. Nun sah ich in das Gesicht und erkannte, dass es ein Mann war. Danach fiel mir sein Haar auf, was im schwachen Licht einer weit entfernten Laterne silbern schimmerte.
Plötzlich zog ich scharf die Luft ein und wich etwas zurück.
Das erinnerte mich ... an ihn!
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Yakuza Hakase
FanfictionKagome kehrte der Vergangenheit den Rücken zu und fing an Medizin zu studieren. Der Verlauf des Studiums verlief leider nicht so, wie die langsam erwachsene Frau sich das erhofft hatte und deshalb war sie bis zum nächsten Jahr gezwungen, in einer Ba...