Sicht von Kagome:
Mit einem unangenehmen Grummeln im Bauch beobachtete ich, wie die schweren und dicken Türflügel aufgeschoben wurden. Das Quietschen war so schrill und laut, als würde man mit dem Fingernagel an einer Kreidetafel kratzen.
Der unheimliche Typ, mit den brünetten Haaren, stand unbeeindruckt neben mir und starrte in den schwach beleuchteten Raum vor uns.
»Du kannst eintreten.« Seine tiefe Stimme ging mir schon in den Unterwasserkanälen unter die Haut. Ich zögerte noch einen Moment, was sich im nächsten Augenblick schon wieder als Fehler herausstellte. Dem Boten des Herren ging es anscheinend nicht schnell genug, denn ich spürte einen Schlag am Rücken und dadurch stolpere ich nach vorn. Sobald ich im Raum wieder zum stehen kam, wurde die Pforte hinter mir geschlossen und die Anderen waren verschwunden.
Eine ungewisse Stille füllte das Zimmer, was mein ungutes Bauchgefühl wieder bestätigte.
Ich erlaubte mir in diesem Moment kurz einen Blick durch den Raum zu erhaschen. Es war sehr edel eingerichtet. Ein wuchtiger Schreibtisch, worauf sich verschiedene Schriftstücke stapelten, stand in der Mitte. Dicke, rote Stoffe mit einem schwarzen Muster bedruckt hingen vor den Fenstern und Regale, die bis an die Decke ragten, waren mit den verschiedensten und wahrscheinlich auch ältesten Bücher vollgestellt. Unter der Arbeitsfläche befand sich ein großer Teppich, der etwas Orientalisches mit sich brachte. Irgendwie erinnerte er mich an Aladin und die siebzehn Räuber.
Doch langsam fragte ich mich, was ich hier sollte? Hier war niemand zu sehen.
Neugierig, dennoch vorsichtig schlich ich zum Fenster hinüber, mich interessierte es wirklich, was ich hier dann sehen würde. Ein bitteres Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Ich war schon etwas verrückt, aber das Unbekannte zog mich schon immer an. Schon als Kind wollte ich alles ergründen und verstehen. Selbst in dieser eigentlich aussichtslosen Situation scheute ich nicht davor zurück mir meine Umgebung anzuschauen. Was verriet mir dieser Raum über die Person, die hier rein gehörte?
Er musste definitiv penibel sein, denn auch wenn es hier dunkel war, einen Staubkorn war nicht zu entdecken. Er genoss einen gewissen Luxus, das Mobiliar musste ein Vermögen wert sein.
Kurz gesagt, ich schätzte die Person als eine eiskalte, arrogante und gewalttätige Existenz ein. Nach dieser Einschätzung rümpfte ich meine Nase, solche Menschen verachtete ich, denn mein Charakter passte nicht zu dieser Art.
So hing ich in meinen Gedanken fest, bis eine zuschlagende Tür mich zusammen zucken ließ.
»Welch Ironie.« Noch drehte ich mich nicht um, aber schluckend stellte ich fest, dass es seine Stimme war, die ich hier hörte. Ich irrte mich nicht. So oft hatte ich solch eine Furcht erlebt, weil er uns töten wollte und seine Drohungen gingen mir durch Mark und Bein.
»Du bist im Gebiet des Unbekannten und dennoch scheinst du dich so sicher zu fühlen und bist abgelenkt« Mir fielen so viele Wörter ein, aber keines kam mir über die Lippen, nicht einmal umgedreht hatte ich mich.
Als ich jedoch plötzlich eine Präsenz, dicht hinter mir wahrnahm, fing mein Herz an sich zu überaschlagen.
»Miko.«
Dieses eine kleine Wort schürte ein Feuer der Furcht in mir, als wäre seine Stimme nicht schon genug, aber dass er diesen Namen, wie er mich immer betitelte, in mein Ohr flüsterte, bescherte mir eine Gänsehaut der Extraklasse. Nun war ich gezwungen mich zu ihm zu drehen, denn er hätte mir jetzt auch genauso ein Messer in den Rücken rammen können und ich wäre ihm schutzlos ausgeliefert gewesen.
Als ich in seine bernsteinfarbigen Iriden blickte, sprach ich seinen Namen aus, als wäre er ein Vertrauter.
»Sesshoumaru.«
Kaum verließ die letzte Silbe meine Kehle, da wurde ich gepackt und gegen das pechschwarze Fenster gedrückt.
»Warum lebst du noch?« Seine Stimme klang eiskalt und scharf wie eine Klinge. Seine Augen spiegelten Abscheu und pure Arroganz wieder. Meine Einschätzung traf vorhin also ins Schwarze.
»Warum sollte ich nicht leben?«
Mit dieser Antwort schien er gerechnet zu haben, es gefiel ihm jedoch nicht. Seine Augen drückte er zu Schlitzen zusammen, sein Druck auf meinen Schultern verstärkte sich. Nur mit großer Mühe konnte ich einen Schrei unterdrücken. Es brannte, drückte und ich hatte das Gefühl in seiner Gegenwart zu ersticken.
»Du warst damals die Begleitung und das Weib von meinem missratenem Halbbruder.« Dass er ihn erwähnte, stach in meinem Herzen, aber ich hatte dafür keine Zeit im Moment.
Gerade wollte ich antworten, da zog mich Sesshoumaru von der Wand weg und schmiss mich auf den Boden.
»Wie kann ein Mensch 550 Jahre überleben?« So gesprächig kannte ich den Guten gar nicht.
Er stand vor mir und blickte auf mich herab, als wäre ich eine Kakerlake, die es zu zerquetschen galt.
Was sollte ich darauf antworten? Ich hatte gedacht, dass der allwissende Sesshoumaru schon damals Bescheid wusste, dass ich aus einer anderen Zeit kam. Unsicher sah ich auf den Boden, es dauerte auch nicht lang und ich spürte einen Schmerz. Es schien, dass der feine Herr noch immer ein deutliches Geduldsproblem hatte. Jetzt konnte ich mir einen kleinen Schrei auch nicht mehr verkneifen, es tat verdammt weh, schon allein wegen meinen ohnehin angeschlagenen Rippen.
»So jämmerlich schwach und zerbrechlich«, spuckte er mir entgegen.
Jetzt wünschte ich mir das erste Mal seit Jahren, die alte Kagome zu sein. Die mit den magischen Kräften und dem Temperament, jedem meine Meinung zu geigen.
Welch ein trüber Gedanke, denn diese Kagome gab es nicht mehr.
Erneut wurde ich am Kragen gepackt, mit nur einer Hand gegen die Tür gepresst und von seinem anderen Arm eingeengt.
»Wie eine schleudernde Puppe.« Sein Gesicht war mir so nah, unsere Nasen konnten sich beinahe berühren.
»Ich wiederhole mich nicht, Weib.« Sein Duft war betörend, die Angst jedoch überwog bei Weitem. Was sollte ich sagen? Am liebsten würde ich einfach nur verschwinden und diesen aggressiven Mann hinter mir lassen, aber dann waren alle meine Liebsten in Gefahr.
»Ich konnte durch einen Brunnen in der Zeit zurück reisen.« Es war die Wahrheit, keine Lüge. Kurz schien er verwirrt, seine Miene verhärtete sich dann aber sofort. Anscheinend entschied er sich dafür, dass ich die Wahrheit sprach.
»Brunnen?« Seine Augen funkelten vor Ungeduld.
»Er befindet sich auf dem Schrein meiner Familie«, vervollständige ich meine Aussage. Sesshoumaru verzog keine Miene, es war schwierig herauszufinden was er dachte. Befand ich mich noch in akuter Lebensgefahr?
»Wo ist das Schwert?« Nun war ich diejenige, die verwirrt in sein Gesicht sah. Er hatte doch meine Familie überfallen, oder etwa nicht?
»Deine Männer haben es doch gestohlen?« Es war mehr eine Frage anstatt einer Tatsache.
Er erhöhte den Druck, es fühlte sich grauenvoll an, als würden meine Knochen bald nachgeben und zersplittern.
»Du wagst es mich zu beschuldigen?« Er knurrte mich an, es klang mehr als gefährlich. Schluckend dachte ich über meine nächsten Worte nach.
»Was sollte ich denn sonst denken? Das Schwert wurde gestohlen, der Bann, der den Brunnen versiegelte brach, viele Dämonen der Vergangenheit kreuzen auf und wollen alles zerstören. Einige Tage später finde ich dich schwer verletzt in einer Gasse liegen«, erklärte ich ruhig. Er sog meine Worte auf wie ein Schwamm, auf der anderen Seite war ich wieder total verunsichert, da ich keine Ahnung hatte was er dachte oder als nächstes vor hatte.
Plötzlich ließ er von mir ab, ich krachte aufgrund der fehlenden Stütze zu Boden und schrie erneut vor Schmerzen auf. Ob die Wunden wieder aufrissen?
»Ich war es nicht.« Eigenartiger Weise schenkte ich seinen Worten Glauben, denn Sesshoumaru war vieles, aber kein Lügner.
»Wer war es dann?«, fragte ich vorsichtig und hielt mir meine schmerzende Brust.
»Miko.«
Durch den Aufschrei zuckte ich zusammen. Dieser Mann machte mir fürchterliche Angst und wieder stieg die Wut in mir an, weil ich so feige war wie noch nie.
Wie oft bot ich ihm im Mittelalter die Stirn? Und jetzt traute ich mich nicht einmal den Mund aufzumachen.
»Yuudai.«
Kurz nach seinem Ruf stand der muskulöse Typ im Raum und sah Sesshoumaru an.
»Herr.« Er verneigte sich tief vor ihm. Also war Sesshoumaru wirklich der Herr, von dem dieser Yuudai also sprach.
»Das Weib soll verschwinden.« Was? Die Panik kochte in mir wie ein Eintopf, würde jetzt der Moment kommen? Ich war ihm nicht mehr von Nutze und nun würde ich getötet werden? Das konnte doch nicht wahr sein – womit in Kamis Namen hatte ich das verdient? Das war einfach nicht fair!
Yuudai kam zu mir herüber, schnappte sich meinen Arm und zwang mich auf die Beine. Danach zog er mich einfach hinter sich her, als wäre ich ein Hund an der Leine. Ich konnte kaum Schritt halten, mir tat alles weh und gedanklich war ich so ausgelaugt und müde, wahrscheinlich könnte ich eine ganze Woche durch schlafen.
Der Gehilfe von Sesshoumaru lief mit mir durch dunkle Gänge und am Ende blieben wir vor einem Fahrstuhl stehen. Er betätigte den Knopf und nach einer gefühlten Ewigkeit öffneten sich die Türen.
Er schubste mich in den beengten Raum und drückte die Taste für eine Etage.
»Was passiert jetzt mit mir?« Er schnaubte, reagierte aber nicht weiter. Ich versuchte meine Atmung weiterhin unter Kontrolle zu bekommen, hakte aber auch nicht weiter nach.
Wenn sie mich jetzt wirklich umbrachten, konnte ich mich sowieso nicht wehren. Was sollte ich schon gegen diese Kreaturen ausrichten? Genau – nichts. Ich war ein mickriger Mensch, nicht einmal die Fähigkeiten einer Miko waren vorhanden. Die Kagome war schon lange unter der Erde begraben.
Nach einem kurzen Piepen öffneten sich die Fahrstuhltüren, Yuudai packte wieder grob meinen Arm und wir trotteten weitere dunkle und kalte Gänge entlang. Ich beachtete meine Umgebung auch nicht weiter, wofür auch? Dafür das ich den morgigen Tag sowieso nicht erlebte? Da brauchte es mich auch nicht mehr zu interessieren, wo genau ich ins Gras beißen würde.
Mit einem Schlag wurde mir bewusst, dass ich nun komplett aufgegeben hatte. Mein Kampfgeist war erloschen, seit dem ich Teiko retten konnte und Sesshoumaru getroffen hatte.
Welch ein Schwachsinn, dachte ich mir. Ich hatte nicht erst jetzt aufgegeben. Seit meinem letzten Tag im mittelalterlichen Japan war meine Hoffnung auf jegliches Glück vernichtet worden.
Als ich erneut an die Bilder dachte, den Grund meines zerstörten Lebensinhaltes, zog sich mein Herz krampfhaft zusammen. Tränen brannten in meinen Augen, aber auch da erlaubte ich mir keine Schwäche. Die letzte salzige Flüssigkeit, die sich aus meinen Augenwinkel schlich, war Jahre her.
»Wenn du jetzt anfängst zu heulen, breche ich dir die Rippen ein zweites Mal.« Über diese Drohung konnte ich nur innerlich grinsen. Was sollte ich tun? Aber das war wohl der Beweis, dass dieses Schwein auch ein Youkai war, denn nur diese Wesen konnten die Tränen riechen, obwohl sie noch nicht einmal flossen.
Während wir weiter liefen, ich immer wieder stolperte und mich fangen musste, dachte ich darüber nach, wie viele Dämonen es noch unter den ganzen Menschen gab.
Nun standen wir vor einer weiteren Tür, daneben hing an der Wand ein Sicherheitsschloss, womit sie sich wohl öffnen ließ. Yuudai gab eine Zahlenkombination ein, selbst wenn ich es verfolgen wollte, so war er viel zu schnell, sodass ich nicht mitbekam, welche Ziffern er eingab.
Danach knackte das Schloss und er schob die Öffnung beiseite.
Mit einem Hieb schmiss er mich in den Raum und erneut fiel ich unsanft zu Boden.
»Hier wirst du bleiben«, befahl der fremde Mann. Ich sah ihn verwirrt an.
»Werde ich nicht umgebracht?« Für die blöde Frage hätte ich mir gern gegen die Stirn geschlagen. So blöd konnte auch nur ich sein.
Yuudai beugte sich zu mir hinab und grinste mich bösartig an.
»Es wäre ein wahres Fest dich in das Reich der Toten zu bringen, aber anscheinend hat der Herr noch einen Nutzen für dich.« Das verwunderte mich wirklich. Sesshoumaru meinte doch, ich solle verschwinden. Yuudais Grinsen verebbte und er rümpfte seine Nase im nächsten Moment.
»Was für ein Nutzen ein kleines, schwächliches Mädchen dem Herren bringen soll, verstehe ich zwar nicht. Aber sein Wort ist nun mal Gesetz. Du bleibst jedenfalls in diesem Zimmer, aber versorge deine Wunden, du stinkst nach Dreck, Schweiß und Blut.« Mit diesen Worten zog er ein kleines Kästchen aus seiner Innentasche und ließ es ebenfalls auf den Boden fallen. Danach verließ er den Raum und da hatte ich die Möglichkeit endlich aufzuatmen.
Ich setzte mich auf, lehnte mich gegen eine die Wand und sah mich um. Das Zimmer hatte wahrscheinlich gerade einmal elf Quadratmeter. Darin zu finden war ein Holzbrett, mit einem hauchdünnen Futon, eine Toilette und ein kleines Waschbecken. Irgendwie erinnerte es mich an eine Gefängniszelle aus dem Fernsehen.
War ich jetzt also noch gut genug um weiterzuleben und noch dazu Sesshoumarus persönliche Gefangene?
Anscheinend begann mein Höllenritt jetzt wirklich.
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Yakuza Hakase
FanfictionKagome kehrte der Vergangenheit den Rücken zu und fing an Medizin zu studieren. Der Verlauf des Studiums verlief leider nicht so, wie die langsam erwachsene Frau sich das erhofft hatte und deshalb war sie bis zum nächsten Jahr gezwungen, in einer Ba...