9. Kapitel

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H O P E

Derek war anders als sonst. Nicht nur privat, wenn wir unter vier Augen waren, suchte er meine Nähe, sondern auch an allen anderen Orten. Zwar hatten wir miteinander besprochen, dass alles, was zwischen uns passierte, auch unter uns bleiben sollte, doch Derek schien das Risiko zu lieben.

Es fing schon am frühen Morgen an, als er den gleichen Aufzug nach oben nahm wie ich. Er stellte sich so dicht neben mich, dass sich unsere Fingerspitzen dabei berührten. Hinzu kam noch das charmante Lächeln, das er in meine Richtung zuwarf, während weitere Mitarbeiter im Aufzug verteilt dastanden. Meine Beine wurden zu Wackelpudding. Ich spürte die Hitze in mir aufsteigen. Aus Angst, rot zu werden, stürmte ich so schnell ich konnte aus dem Aufzug, als sich dieser öffnete.

Während des gesamten Arbeitstages fühlte ich mich dann auch noch verfolgt. Egal wo ich mich aufhielt, er war immer am selben Ort.

Zum Beispiel, wenn im Kopierraum wieder einmal der Drucker nicht auf Anhieb funktionierte, tauchte Derek wie aus dem Nichts auf und half mir, diesen wieder zu reparieren. Er krempelte sich die Ärmel seines Hemdes ein Stück nach oben und erntete dafür schwärmende Blicke der Mitarbeiterinnen. Genau in diesem Moment wollte ich nichts so sehr, wie ihnen und besonders Stella zu zeigen, dass Derek einzig und allein mich wollte. Aber ich riss mich zusammen und blieb auf Distanz.

Wenn ich mir in der großen Küche einen Kaffee kochen wollte, gesellte sich Derek zu mir und verwickelte mich in ein langes, ausgiebiges Gespräch – „rein geschäftlich" natürlich. Ich versuchte mich so seriös wie möglich zu verhalten, doch dieses kleine Lächeln auf meinen Lippen verschwand keine einzige Sekunde.

Irgendwann, am frühen Nachmittag, kam ich dann vollbepackt in sein Büro. Hier behandelte er mich nicht wie eine Mitarbeiterin und auch nicht wie ein gelegentlicher One-Night-Stand, der immer öfters nach der Arbeit bei ihm zuhause vorbeischaute, sondern wie seine feste Freundin, bei der er es kaum erwarten konnte, sie zu sehen und zu küssen.

Er hatte die Jalousien heruntergezogen, sodass uns niemand erwischen konnte, wenn er an seinem Büro vorbeilief.

Es war so schön mit ihm und gleichzeitig auch so anstrengend, aufpassen zu müssen, dass diese Beziehung nicht auffliegt. Ich konnte mich nicht fallen lassen und aus dem Bauch heraus handeln. Ich musste jede Bewegung, jedes Handeln in seiner Nähe überdenken, damit es nicht zu auffällig wurde, dass zwischen Derek und mir diese Spannung war und wir nicht nur Chef und Sekretärin füreinander waren. Es war wie damals mit Adam, als niemand von uns wissen durfte, weil er Angst vor den Konsequenzen hatte. Beinahe hätte es ein schreckliches Ende genommen, wenn Adam sich in letzter Sekunde nicht doch noch dafür entschieden hätte, sich seiner Angst zu stellen. Vielleicht würde das hier mit Derek schneller zu Ende sein, als ich je in Erwägung gezogen hatte. Vielleicht würde auch er mir das Herz brechen, wenn er dazu gezwungen war, mich in der Öffentlichkeit jedes Mal abzuweisen. Vielleicht würde es genauso schmerzhaft werden wie vor ein paar Jahren, als Adam mich nicht als seine Freundin akzeptieren konnte. Vielleicht würde ich es irgendwann bereuen, es nicht früher öffentlich gemacht zu haben, bevor zu vieles zwischen uns stehen würde. Doch vielleicht war es auch genau das Richtige, denn auf der anderen Seite fühlte ich mich in keiner Weise bereit, mich den damit verbundenen Probleme und neuen Herausforderungen zu stellen. Denn wollte ich ein zweites Mal blöde Sprüche und Beleidigungen, Tuscheleien und fiese, verurteilende Blicke über mich ergehen lassen? Ich hatte mich gerade an alles gewöhnt und mich hier eingelebt. Ich wurde akzeptiert und von manchen Mitarbeitern sogar gemocht. Wäre es da nicht völlig absurd, das alles aufs Spiel zu setzen?

»Worüber denkst du nach?« fragte Derek mit seiner sanften Stimme. Sein Daumen strich über meinen Handrücken, während er sich gegen seinen Schreibtisch lehnte. Ich sah in seine wunderschönen Augen und erkannte diese Liebe und Besorgnis darin. Einen Augenblick zuckte das Bild von Adams ähnlichen Blick vor meinem inneren Auge auf, den er mir immer zugeworfen hatte, wenn er sich Sorgen gemacht hatte. Fehlte nur noch die Sorgenfalte auf seiner Stirn. Es versetzte mir einen Stich in der linken Brust, weil es nicht Adam war, der gerade meine Hand hielt. Aber ich lenkte mich sogleich damit ab, dass Adam nicht ständig meine Zukunft kaputt machen ließ.

Adam & HopeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt