Teil 3

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Die Kreide quietscht über die grüne Tafel und ich gähne hinter vorgehaltener Hand. Meine Schule ist so dermaßen veraltet. In anderen Schulen gibt es schon Laptops zum Schreiben und hier wird auf Papier geschrieben.

Mrs. Thomas rückt mit wichtiger Miene ihre Brille zurecht. Ich hasse diese Lehrerin, ich hasse Geschichte. Was auch damit zu tun hat, dass keiner meiner Freunde diesen Kurs hat. Ein dicker Blätterstapel wird herumgegeben und ich feile desinteressiert meine Fingernägel, bis die Arbeitsblätter bei mir ankommen. Ohne sie eines Blickes zu würdigen schnappe ich sie mir.

"Wenn Sie dann alle Ihre Blätter haben, schauen Sie sich bitte die Memory-Karte auf ihrem Tisch an. Wir werden den Ersten Weltkrieg noch einmal aufgreifen und das in Teams aus zwei. Mit Ihrem Partner haben Sie über einen Monat Zeit, Ihre Präsentationen sollten dann ein gewisses Niveau erreicht haben. Auf den Arbeitsblättern finden Sie das Thema Ihrer jeweiligen Gruppe. Infomaterial kann ich Ihnen zur Verfügung stellen, allerdings ist dieses Referat mehr darauf ausgelegt, dass Sie es zu Hause bearbeiten." Ernsthaft jetzt?! Zurück in den Kindergarten oder was? Die Memory-Karte sagt mir, dass ich in dem Team 'Eichhörnchen' bin. Ich überfliege das Arbeitsblatt. Es beinhaltet den Kriegseintritt der USA, die Kriegserklärung an Deutschland und das 14-Punkt-Programm von Wilson. Langweilig. Mrs. Thomas ruft in der Zeit die Tiere der Gruppe auf.

"Eichhörnchen", verkündet sie. Ich hebe meine Hand. Und wer ist jetzt mein Partner? Suchend schaue ich mich im Klassenzimmer um. Zögernd streckt sich ein Arm in die Höhe, den ich zuerst niemand zuordnen kann. "Dawn und Tyler also." Mrs. Thomas grinst und zeigt dabei ihr Pferdegebiss. Nein, oder? Der Tag war sowieso schon gelaufen, als ich festgestellt habe, dass meine Lieblingshandtasche Flecken hat. Und jetzt auch noch Mr. Nervig an der Backe.

"Mrs. Thomas, dürfte ich Sie nachher kurz sprechen?", flüsterte ich halblaut. "Aber sicher doch, Dawn."

Trotzig starre ich den Rest der Stunde das verfluchte Eichhörnchen an. Warum bin ich so gestraft? Direkt nach dem Läuten packe ich meine Tasche und eile vor zu Mrs. Thomas. Ich strecke ihr die dämliche Eichhörnchen-Karte entgegen.

"Gibt es die Möglichkeit, den Partner zu wechseln?" Sie mustert mich erstaunt und zieht vielsagend eine Augenbraue hoch. "Nein", antwortet sie dann entschieden. „Ich arbeite viel besser alleine!“, behaupte ich und klimpere dabei mit den Wimpern. Das klappt eigentlich sonst immer, doch Mrs. Thomas bleibt eisern. „Es bleibt dabei, Ende der Diskussion, Dawn. Ich habe zu tun.“ Ich klappe meinen Mund wieder zu und verkneife mir eine bissige Antwort. Stattdessen rausche ich angefressen aus dem Klassenzimmer und pralle direkt gegen eine harte Brust.

„Hmpf!“, grummle ich in das Shirt. Hm, das riecht gut! Ich blicke zu dem Gesicht der Person und sehe direkt in schokobraune Augen, die von dunkelblonden Haaren umrahmt werden. Tyler. Sofort mache ich mich los, als hätte ich mich verbrannt.

„Alles klar bei dir, Dawn? Du wirkst so angesext?“ Er grinst spöttisch. Für diese Bemerkung würde ich ihm gerne eine scheuern. Nur gut, dass wir die Einzigen auf dem Gang sind und so der Öffentlichkeit meine absolute Blamage erspart bleibt. „Und von was soll ich bitte angesext sein?“ Ich betone das Wort extra und setze eine unschuldige Maske auf. „Von meinen Muskeln“, schießt er zurück. „Ach, du meinst dieses Speckpack! Igitt nein, sowas turnt absolut ab.“ Ich sehe ihn mit Verschwörermiene an. Tyler sieht amüsiert aus. „Sie hat es nicht erlaubt, oder?“ Er deutet auf Mrs. Thomas. Sofort erlischt mein Lächeln und ich runzle die Stirn. „Du hast gelauscht.“ Es ist mehr eine Feststellung, als eine Frage. „Nein, sie hat es nicht erlaubt.“ Ein verzweifeltes Seufzen entweicht mir. Tylers Gesicht bleibt undurchdringlich. „Was denkst du darüber?“ Er dreht nachdenklich ein Buch in seinen Händen. „Ich weiß es nicht. Einerseits hasse ich dich für dein aufgesetztes Getue, andererseits will ich wissen, was dahintersteckt.“ Mein Körper versteift sich automatisch und mein Nacken kribbelt unangenehm. „Niemand kennt mich wirklich. Und du schon gar nicht.“ Ich kann nicht verhindern, dass meine Worte scharf klingen, Tyler lasse ich einfach auf dem Gang stehen. Vielleicht geht es mir genauso wie ihm. Vielleicht hasse ich ihn für seine Macho-Art, aber dann gibt es noch diese Momente, in denen man vernünftig mit ihm reden kann, so wie gerade. Aber trotzdem behält der Macho die Überhand, sodass der Zeiger weiterhin auf ‚hassen‘ steht.  

Am Abgrund *slow updates*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt