Während dem nachfolgenden Schweigen verschränke ich die Arme als Schild vor der Brust. "Wir müssen reden", bricht Tyler schließlich die Stille. "Das hast du wohl recht", gebe ich tonlos von mir. "Dawn...", beginnt er zögerlich, ehe er sich unterbricht. "Kannst du bitte aufhören, mich so anzusehen? Und setz dich bitte hin, du machst mich total verrückt." Widerstrebend lasse ich mich auf der Bettkante nieder und verschränke die Arme vor der Brust. Mein abwertender Blick bohrt sich direkt in Tylers schokobraune Augen. "Ich...", setzt er an und kratzt sich am Kopf. "Ach verdammt!" Er springt auf und läuft hin und her. "Es tut mir Leid, was ich gesagt habe. Man sagt das nicht, weder über ein Mädchen, noch zu einem Mädchen! Aber ich weiß doch, was die mit dir machen! Wenn du mit so einem Ausschnitt und diesem Minirock rumrennst, denken die alle was falsches!" Er reißt seine Augen weit auf, bis sie die Größe von Golfbällen erreichen. "Wie bitte?", frage ich höflich, aber distanziert nach. "Diese Typen, die Player! Ich weiß das, weil ich selber mal einer war. Aber das ist Geschichte. Das bin ich nicht. Ich habe reihenweise Mädchenherzen gebrochen und habe den Umzug als Neustart genutzt. Diese Kerle widern mich nur an." Mir steht für einen kurzen Augenblick der Mund offen, aber dann ist dieser Moment vorbei. "Du hast dir wirklich Sorgen um mich gemacht? Und mich deswegen als Schlampe bezeichnet? Ist das dein verdammter Ernst?" Meine Stimme überschlägt sich vor Wut und klettert in eine atemberaubende Höhe, bis sie einer Kreissäge Konkurrenz macht. Tylers Blick verhärtet sich, ein Ruck geht durch seinen Körper. Zu gerne würde ich wissen, was in ihm vorgeht. "Du bist ein noch größeres Arschloch, als ich dachte, Tyler Brown!", fauche ich und stürme nach draußen. Eigentlich wollte ich ja den Konflikt lösen, aber dazu fühle ich mich einfach nicht in der Lage. Das Blut rauscht in meinen Ohren. Das ist bei weitem die lächerlichste Ausrede, die ich je gehört habe. Ich habe erwartet, dass Tyler mir nachläuft, doch das tut er nicht. Komischer Vogel.
Wieder zuhause werfe ich mich auf mein Bett und stelle meine Anlage so laut, bis sie meine nervigen Gedanken übertönt. Es vergehen Stunden, in denen ich einfach nur daliege und mich in der Musik verliere. Irgendwann klingelt es an der Haustür und ich schrecke aus dem Schlaf. Es ist bereits zehn Uhr. Noch verschlafen stürme ich die Treppe runter. Dad ist noch nicht da, seine Schuhe und seine Aktentasche stehen nicht an ihrem Platz. Ich reibe mir kurz den Schlaf aus den Augen. Dann drücke ich auf den Knopf der Gegensprechanlage. "Hallo?" Ein Schnaufen ertönt und dann ist es gespentisch still. Was ist das denn für ein Freak? "Ich bin Jessica Brown", sagt die Person dann. Mein noch benebelter Verstand kann dem Namen niemanden zuordnen. "Mein Vater ist nicht da. Probieren Sie es in seinem Büro", brumme ich, um die Frau abzuwimmeln. "Ich bin nicht wegen ihm hier, sondern wegen dir. Mach bitte die Tür auf, Dawn." Ich reiße meine Augen auf und endlich macht es Klick. "Tyler kann mich am Arsch lecken, sag ihm das!", zetere ich los. "Bitte Dawn, es ist wichtig!", fleht Jessica. Dank der Kamera kann ich ihren verzweifelten Gesichtsausdruck sehen. Seufzend drücke ich den Summer. "Du hast zehn Minuten, mehr nicht!", knurre ich in die Gegensprechanlage. Als es an der Haustür klopft, reiße ich die Tür mit soviel Schwung auf, dass Jessica samt ihrer überdimensionalen Handtasche in den Flur stolpert. Sie richtet sich wieder auf und starrt auf mich herunter. Ich hasse es einfach, wenn Leute größer sind als ich, dann komme ich mir so jung und unbeholfen vor. "Können wir uns setzen?", fragt sie mit sanfter Stimme. "Nein!", antworte ich entschieden, zerre sie dann aber doch ins Wohnzimmer. Anmutig lässt sie sich auf die Couch sinken. Ich bleibe mit verschränkten Armen stehen. Soll sie ruhig denken, dass ich mit der Situation ein Problem habe. "Ich kann es nicht fassen, dass Tyler seine Schwester schickt!" Jessica zieht ihre wohlgeformte Augenbraue hoch. Allgemein ist alles an ihr perfekt, von dem hübschen Gesicht zu den Kurven und der tollen Figur. Warum wundert mich das eigentlich? Schließlich haben Tyler und Jessica die selben Gene. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Der Schmerz hilft mir, mich auf ihre hellbraunen Augen zu konzentrieren. In einer beiläufigen Bewegung streicht sie sich ihre langen blonden Haare hinter das Ohr, dann huscht ihr Blick unruhig über das Mobiliar hinter mir. Ganz offensichtlich ist ihr das alles unangenehm. "Ich bin nicht seine Schwester, sondern seine Cousine." Ihre Stimme ist leiser als erwartet und ich muss mich vorbeugen, um sie zu verstehen. "Er redet nicht gern über seine Familie, schon gar nicht mit Fremden und erst recht nicht mit einer seiner Errungenschaften." Ich gebe es auf, mich zum Trottel zu machen und lasse mich kurzerhand in den Sessel gegenüber von Jessica fallen. Sie senkt ihren Blick auf ihre Hände und spielt mit einem großen Ring. "Sein Dad ist ganz früh verschwunden. Es war eine schwere Zeit für alle. Seine Mom hat ihren Schmerz mit Alkohol bekämpft und Tyler musste viel zu schnell erwachsen werden." Sie schnieft, offenbar weint sie. "Hier." Ich werfe ihr eine Packung mit Taschentüchern zu. "Danke." Lautstark putzt sie sich ihre Nase, ehe sie fortfährt. "Er hat mir erzählt was passiert ist. Du hättest ihn erleben müssen, obwohl das kein schöner Anblick war. Ich habe ihn noch nie so wegen einem Mädchen erlebt. Irgendwie scheint ihr eine Verbindung zu haben." Ich räuspere mich und muss über Jessicas Worte nachdenken. Genauso gut hätte mein Dad ein Alkoholiker werden können, aber er hat sich in seine Arbeit gestürzt. "Meine Mom hat uns auch früh verlassen. Aber mein Dad kam klar damit. Ich meine, natürlich ist es hart, mit einem kleinen Kind dazustehen, aber er hat geschuftet um seiner kleinen Prinzessin, mir, ein gutes Leben zu ermöglichen. Auch ich wurde zu früh in die Form eines Erwachsenen gepresst, aber irgendwie kam ich damit klar. Ich habe meine Freunde, die mir immer helfen. Aber es gab auch Situationen, die mich verändert haben." Ein riesiger Kloß bildet sich in meinem Hals und ich muss mehrmals schlucken, damit er verschwindet. Jackson, Jackson, Jackson, schreit mein Kopf. Am liebsten würde ich mir die Hände auf die Ohren pressen und mich in der Embryonalstellung unter meiner Bettdecke vergraben. Stattdessen setze ich ein falsches Lächeln auf und strahle Jessica an. "Jeder macht einmal schwere Zeiten durch. Aber sag mir, warum bist du gekommen? Du wolltest sicherlich nicht mit mir über Tylers Mom plaudern." Im Kopf ergänze ich, dass ich eigentlich ja schon wusste, dass Tyler keine Mom hat. Aber mir erscheint es in diesem Moment einfach nicht ratsam, dieses Wissen zuzugeben. "Er hat diese Beleidigung dir gegenüber nur gesagt, um dich zu schützen." Rüde unterbreche ich sie: "Ach, die Leier schon wieder." Jessica lässt sich von mir nicht beirren und redet einfach weiter. "Verstehst du denn nicht? Er will sich ändern, dass versucht er wirklich. Tyler will nicht mir dafür verantwortlich sein, dass zu viele Mädchenherzen gebrochen werden, er will weg von seime Player-Dasein und hier einen Neuanfang starten!" Was höre ich denn da für ein komisches Klirren? Ach ja, nur mein Herz, das in der Schule zu Boden geschleudert wurde. "Tja, dann hat er keinerlei Erfolg." Desinteressiert betrachte ich meine Fingernägel. Ich hätte damals wirklich mit Sydney zur Maniküre gehen sollen. "Dawn", drängt mich Jessica weiter. "Er weiß noch nicht genau, wie er sich verhalten soll. Es ist verdammt schwierig, einfach so ein altes Verhaltensmuster abzulegen. Tyler wollte dir lediglich helfen. Er hat schon immer einen großen Beschützerinstinkt und er wollte nicht, dass du solchen Typen wie seinem alten Ich zum Opfer fällst!" "Warum ist er so naiv und kommt auf solche absurden Gedanken? Ich kann gut auf mich alleine aufpassen." Lügnerin. "Weil er gesehen hat, dass du verletzlich bist. Dass du lange nicht so stark bist, wie du vorzugeben scheinst. Er hat Recht, ich weiß was er meint." "Ja genau. Habt ihr irgendwelche Laser-Augen, mit denen ihr in meinen Kopf schauen könnt, oder woher nehmt ihr den ganzen Quatsch?" Cool bleiben, Dawn. Gerade in diesem Moment bricht mir der Angstschweiß aus. Jessicas Lächeln ist so mitleidig, dass ich mich unter dem Sessel verkriechen will. "Dafür braucht man keine Laser-Augen, Dawn. Jeder sieht es, wenn man nur genau hinschaut." Ich bin stark versucht, zum nächsten Spiegel zu rennen. Aber ich bleibe sitzen, überschlage die Beine und lehne mich zurück. "So? Interessant. Aber jetzt sag mir endlich, warum bist du hier? Die zehn Minuten sind schon längst um." Ich kann nicht verhindern, dass ich wie eine kühle und hochnäsige Bitch klinge. "Tyler ist weg", rückt Jessica endlich mit der Sprach heraus. Gerade will ich zu einer patzigen Antwort ansetzen, aber sie redet schon weiter. "Ich weiß, was er jetzt macht. Er wird irgendein Mädchen aufreißen, sie vögeln und anschließend ihr Herz brechen. Und danach wird es ihm noch beschissener gehen. Er wird wieder in alte Muster verfallen und alleine kommt er aus dem Teufelskreis nicht raus. Du musst mir helfen, Dawn! Wir müssen ihn suchen und du musst mit ihm reden. Sprecht euch aus, schreit euch an, was auch immer. Aber bitte, bitte lass es nicht zu, dass er wieder zu diesem Monster wird!" Ich schweige. Jessicas Augen füllen sich mit Tränen und eine einzelne tropft von ihrem Kinn auf den hellen Teppich. "Bitte Dawn, tu es für ihn! Sei nicht so herzlos, du kannst ihm noch helfen. Ich bitte dich doch nur darum, mit ihm zu reden. Bitte!"
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Hallo meine lieben Freunde! :D
Ich melde mich (endlich) mal wieder mit einem Teil.
Ich konnte letzte Woche auch nicht updaten, da ich im Urlaub ohne Internet war. Naja, euch noch ein frohes neues Jahr :*
Was denkt ihr, wird Dawn Jessica helfen? o.O
Und sind jetzt endlich alle Fragen bezüglich Tylers Verhalten geklärt?
Oh und wie ihr sehen könnt, habe ich das Cover ein bisschen verändert. Ich finde das einfach besser als das alte, oder?Viel Spaß beim Lesen und bis demnächst :)
Emma xoxo
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Am Abgrund *slow updates*
Teen Fiction"Plötzlich herrscht Stille. Dann kann ich förmlich spüren und hören, wie mir das Herz in einem grausamen Akt aus der Brust herausgerissen wird und anschließend in tausend Bruchstücke auf den italienischen Fließen zerschellt. Dieser Scherbenhaufen is...