Nachdem Tyler gegangen ist rufe ich Jessica an und sage ihr Bescheid, dass es ihm gut geht. Danach summt mein Handy und weist mich auf eine eingegangene Nachricht hin.
Dad:
Ich komme heute nachmittag. Musste dringend Überstunden machen.
Bleib artig.Ich tippe schnell eine Antwort ein und streife dann rastlos durch das Haus. Schließlich gebe ich mir einen Ruck und schreibe Harper, ob sie Zeit hat. Sie antwortet nach ungefähr zwei Sekunden, sodass ich eine halbe Stunde später ausgestreckt auf ihrer Couch liege. "Hm", gibt sie wenig geistreich von sich, während sie sich hochkonzentriert die Haare glättet. Ich habe ihr als erstes von Tyler erzählt. "Er benimmt sich wirklich merkwürdig." Sie steckt das Glätteisen aus und wirft mir einen komischen Blick zu. "Was ist?", frage ich, als ich meine Nase aus der neusten Ausgabe der Vogue hebe. "Ich glaube, er mag dich." Bei mir setzt eine Schnappatmung ein, sodass die Vogue aus meinen Fingern gleitet und auf den Boden klatscht. "Ich mag ihn aber nicht", entgegne ich dann pampig. Harper seufzt abgrundtief. "Dawn Schätzchen, lern ihn besser kennen." Abwehrend schüttle ich den Kopf. "Um mir seine widerlichen Anmachen anzuhören? Nein, sicherlich nicht!" Harper seufzt erneut. "Du musst wegen der Gruppenarbeit sowieso mit ihm abhängen, ob du nun willst oder nicht." Oh verdammt, die Gruppenarbeit. "Musstest du mich jetzt daran erinnern?" Beleigt werfe ich ein Kissen in ihre Richtung, was sofort zu einer Kissenschlacht ausartet. "So", seufze ich schließlich, als ich vergeblich versuche, meine zerzausten Haare zu richten. "Was gibt es bei dir neues? Mit wem gehst du zum Ball?" Harper streicht ihre Tagesdecke glatt. "Ach, ich weiß auch nicht. Es ist niemand da, der mich interessiert." Sofort ist mein Interesse geweckt. "Seit wann hat eine Harper Marie Thompson keinen Ballpartner?" "Die blöden High School Typen will doch keiner", weicht sie meiner Frage aus. Verwundert hebe ich eine Augenbraue und nehme Harper ins Kreuzverhör. Aber ich bekomme nichts aus ihr heraus, sodass wir uns schließlich anderen Themen zuwenden und ich erst spät wieder nach Hause komme, weil wir uns einen schönen Mädelstag gemacht haben.
Harper knallt ihren Spind so laut zu, dass ich erschrocken zusammenfahre. Ich habe schlecht geschlafen, wirre Träume haben mich geplagt. Und in jedem einzelnen kam Tyler vor. "Rede doch mal mit ihm", schlägt sie vor und lehnt sich gegen ihr Schließfach. "Nein, sicher nicht." Entschieden schüttele ich den Kopf. Ich benehme mich wie ein elender Freshman. Harper zwirbelt eine Strähne ihres blonden Haars lasziv um ihren Zeigefinger, sodass die vorbeilaufenden Jungs sie nur anstarren können. Verächtlich nickt sie mit dem Kopf in die andere Richtung, sodass sie schnellstmöglich weitergehen. Harper seufzt auf. "Er ist gar nicht so schlimm." Erbost blitze ich sie an. "Ist Tyler jetzt dein bester Freund oder was?" "Ich habe schon ziemlich viel mit ihm zu tun", schnappt sie zurück. "Harper." Genervt verdrehe ich die Augen. "Du weißt genau, wie solche Jungs ticken. Sie wollen nur, dass du die Beine für sie breit machst und dann lassen sie dich fallen wie eine heiße Kartoffel. Ich habe keine Lust auf so eine Kacke. Ich will eine richtige Beziehung." "Du verhälst dich wie eine alte Jungfer, Dawn." Harper packt mich am Ellenbogen und zieht mich zu einer sonnigen Bank vor dem Schulhaus. Wir haben gerade Mittagspause und es fehlen nur noch Sydney und April. Für die Bemerkung ramme ich Harper halb im Scherz, halb ernsthaft meinen Ellenbogen zwischen ihre Rippen. "Okay, okay, tut mir Leid!" Abwehrend hebt sie die Hände und weicht sicherheitshalber ein kleines Stück zur Seite. "Was ich eigentlich sagen wollte, ist, dass Tyler ein toller Kerl ist. Ich glaube, dass du von Erwartungen eingenommen bist." "Ich finde ihn nicht toll", entgegne ich ruppig. "Lügnerin." "Naja, das Aussehen ist schon ganz nett", räume ich schließlich ein. "Warum so bescheiden, meine Liebe?" April lässt sich neben mich auf die Bank plumpsen und legt einen Arm um mich. Dabei klimpern ihre unzähligen Silberarmreife. "Dawn und Bescheidenheit? Pah, das ich nicht lache!" Sydney tritt vor mich und schirmt damit die Sonne ab. "Syd du Fettsack, ich bekomme keine Sonne ab!" "Wenn du alt bist wirst du von der ganzen Sonne wie eine verschrumpelte Tomate aussehen, Dawn." Als ich die Stimme höre, möchte ich am liebsten meinem Würgereiz nachgehen und mein Sandwich ausspucken. "Was macht der denn hier?", frage ich Harper röchelnd. Galant deutet Tyler eine Verbeugung an. "Ich kann für mich selber sprechen, vielen Dank." Jetzt bereue ich es, ihm nicht auf die Füße gekotzt zu haben. Ich kneife meine Augen zusammen und mustere ihn finster. Er sieht natürlich so aus, als wäre er einem Calvin-Klein-Magazin entsprungen. Schade um die Schönheit, aber der Charakter zerstört alles. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sich April und Sydney klammheimlich davonmachen. Auch Harper steht auf und folgt ihnen. "Hey, wo wollt ihr alle hin?", protestiere ich schwach. "Syd und April wollen mir so heiße Typen zeigen. Tja, kann man wohl nichts machen." Entschuldigend zuckt sie mit den Schultern, aber ich sehe, wie ein diabolisches Lächeln ihr Gesicht überzieht. "Und was ist, wenn ich diese Typen auch sehen will?", schreie ich ihr hinterher. "Mach dich nicht lächerlich, Dawn. Der heißeste steht direkt vor dir." "Ich wünschte, du könntest es genauso leicht aussprechen wie Harper." Tyler grinst und lässt sich neben mich fallen. Trotzig verschränke ich dir Arme vor der Brust und starre demonstrativ nach vorne. "Dawn." Sein Ton ist so flehentlich, dass ich meinen Kopf drehe. Ich entdecke Reue in seinen Augen. Na sowas. "Was willst du?", zische ich durch zusammengepresste Lippen. "Mit dir reden." "Na schön. Dann rede." Gebieterisch wedle ich mit der Hand. "Nicht so. Sieh mich bitte an." Ergeben seufze ich und versinke augenblicklich in seinen schokobraunen Augen. Schlechte Idee, ganz schlechte. Sofort will ich wieder den Blick abwenden, aber er packt mich am Kinn und dreht meinen Kopf zu sich. "Bitte sieh mich an. Du musst wissen, dass ich es ernst meine." Ich nicke, unfähig meinen Blick auf nur eine Sekunde zu lösen. Tyler atmet tief ein. Das, was jetzt kommt, scheint ihm schwerzufallen. "Es tut mir Leid. Alles. Ich weiß, dass das nur eine billige Entschuldigung ist und längst nicht alles gut macht, aber du sollst trotzdem wissen, wie es mir geht. Verdammt, du verwirrst mich so. Ich habe keine Ahnung, wie ich mich in deiner Gegenwart verhalten soll. Mal bist du so beherrschend und dann habe ich das Gefühl, die echte Dawn zu sehen. Trotzdem weiß ich immer noch nicht, wer du wirklich bist. Nach unserem Streit damals habe ich mir die ganze Schuld gegeben. Du bist anderes als eine Standard-Queen und ich wollte einmal in meinem Leben etwas richtig machen. Aber das habe ich nicht. Ich war von Selbsthass wie besessen, bin in die nächste Bar gefahren und habe mich volllaufen lassen. Ich wollte dich und den Streit vergessen, aber ich hab es nicht geschafft. Noch nicht mal, als die Blondine aufgetaucht ist und du uns gefunden hast. Ich habe in deinen Augen gesehen, wie sehr du mich verachtest und ich hätte mich für diese dämlich Aktion schlagen können. Am nächsten Tag war ich so gemein, weil ich nicht wusste, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Ich stoße Menschen grundsätzlich ab, lasse niemanden an mich ran. Einfach um mich selbst zu schützen. Das mag egoistisch klingen und das ist es auch. Vielleicht verstehst du es jetzt besser. Ich erwarte nicht von dir, dass du mir verzeiht, du sollst es nur verstehen." Perplex sitze ich da, unfähig etwas zu sagen. Was soll man auf so was erwidern? "Du bist ein guter Mensch, Dawn. Und auch wenn du für mich immer noch ein ungelöstes Rätsel bist, wird dich irgendwann jemand knacken. Ich hoffe für dich, dass es der richtige ist. Du hast kein Arschloch wie mich verdient." Langsam steht er auf, berührt kurz meine Hand und ich habe das Gefühl, er will noch etwas sagen. Stattdessen geht er und lässt mich zurück. Ich fühle mich innerlich wund und ausgelaugt und meine Augen brennen. Wann war jemand das letzte Mal so ehrlich zu mir? Wann war ein Typ so aufrichtig? Warum habe ich ihn wie ein Stück Dreck behandelt? Aus den selben Gründen wie er, flüstert eine leise Stimme in meinem Kopf. Weil ich seit der Sache mit Jackson niemanden mehr so an mich ran lassen kann. Weil ich niemandem mehr so sehr lieben will um anschließend doch nur vor den Kopf gestoßen zu werden. Ich habe das Gefühl, dass das ein endgültiger Abschied war. Dabei verstehe ich ihn zum ersten Mal so richtig. Ich kann nicht verhindern, dass mir stumme Tränen über das Gesicht laufen, die so viel mehr sagen, als es Worten möglich wäre. Wir sind uns so ähnlich, obwohl ich eigentlich dachte, dass wir zwei völlig unterschiedliche Menschen wären. Aber dem ist nicht so. Tyler ist der erste, der mich auch nur ansatzweise versteht und ich habe es total verbockt. Das Gefühl der Leere in mir ist ohnmächtig. Zwar sitze ich im strahlenden Sonnenschein, doch ich habe das Gefühl, von den dunkelsten Flecken meiner Seele überschattet zu werden.
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Das ist definitiv ein Kapitel der Entschuldigungen. Ich habe vor zwei Monaten das letzte Mal geupdatet und das tut mir auch Leid, aber es ging immer aus diversen Gründen nicht.
Trotz allem sind es schon 1,74k Reads, das ist so krass! "Am Abgrund" stand zwischenzeitlich auch mal auf Platz 88 der Jugendliteratur. Einfach nur wow!
Wie ihr außerdem vielleicht (oder vielleicht auch nicht) sehen könnt, habe ich eine Besetzung hinzugefügt. Einen Tyler zu finden war relativ einfach, da es so viele passende Typen gibt, aber bei Dawn habe ich mir extrem schwer getan. Letztendlich ist meine Wahl auf Adelaide Kane gefallen und es passt meiner Meinung auch. Hoffentlich zerstöre ich jetzt nicht eure Vorstellung von den beiden :)
Ich habe auch länger überlegt, ob der erste Teil dieses Kapitels wirklich sinnvoll ist, aber dann habe ich gedacht, dass er noch wichtig wird.
Wie gesagt, ich bemühe mich so oft wie möglich zu updaten.
Danke an alle treuen Leser, die so fleißig kommentieren und voten ❤Emma xoxo
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Am Abgrund *slow updates*
Fiksi Remaja"Plötzlich herrscht Stille. Dann kann ich förmlich spüren und hören, wie mir das Herz in einem grausamen Akt aus der Brust herausgerissen wird und anschließend in tausend Bruchstücke auf den italienischen Fließen zerschellt. Dieser Scherbenhaufen is...