Teil 10

217 14 14
                                    

"Autsch!" Mit einem Sprung nach hinten rette ich mich aus der Gefahrenzone des spritzenden Öles. Meine Kochkünste beschränken sich eigentlich nur auf Pfannkuchen und selbst das will mir heute morgen nicht gelingen, wie ein roter Striemen an meiner Hand mir zeigt, wo mich das Fett getroffen hat. Aber genau heute brauche ich eine Ladung Pfannkuchen mit schön viel Erdnussbutter. Als Nervennahrung, versteht sich. Schließlich schläft Tyler einen Stock höher seinen Rausch aus und wer weiß, wie lange meine Nerven sonst mitspielen. Seufzend stelle ich den Herd eine Stufe niedriger und gieße schließlich etwas Teig in die Pfanne. Bei dem Geruch von den brutzelnden Pfannkuchen läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Ich lasse mich auf einen der Barhocker an der Theke der Kücheninsel fallen, von wo aus ich sowohl die Pfanne als auch die Uhr im Blick habe. Mein Kopf wird schwer und ich stütze ihn in meine Hände, meine Finger vergraben sich in meinen Haaren. Die Nacht war viel zu kurz. Bis ich Tyler schließlich in ein Gästezimmer verfrachtet hatte und selber im Bett lag, war es nach Mitternacht. Und selbst dann konnte ich nicht schlafen. Zum einen, weil ich vor der ganzen Bar-Sache geschlafen hatte und auch, weil Tyler auf dem selben Stock wie ich selig schlummerte. Aus irgendeinem Grund machte mich das ganz schön nervös. Nun sitze ich also hier, an einem eigentlich schönen Samstagmorgen, mache Pfannkuchen und gebe mich der Leere und Stille des riesigen Hauses hin. Dad hat mal wieder in seinem Büro genächtigt und so bin ich mit Tyler ganz alleine. Die Vorstellung passt mir so gar nicht. Mental bereite ich mich schon auf seine neugierigen Fragen und dumme Bemerkungen vor. Warum ich mich gestern Abend bereiterklärte, einen betrunkenen und fast fremden Jungen mit nach Hause zu nehmen, ist mir jetzt ein unlösbares Rätsel. Möglicherweise hat mir der kotzende Tyler ein bisschen Leid getan, möglicherweise hat mir vorher auch jemand harte Drogen verabreicht. Hastig springe ich auf, als ich einen Blick auf den Herd werfe. Schnell hole ich den Pfannkuchen aus der Pfanne und beginne mit dem nächsten. Es ist gerade mal kurz nach neun. Somit müsste mir noch einige Zeit bleiben, bis der Mister seinen Schönheitsschlaf beendet hat. Die Kaffeemaschine gluckert und blubbert vor sich hin. Ich muss an Harper und meine scharfen Worte im Starbucks denken. Ich habe sie angegriffen, weil sie nett zu Tyler war und jetzt tue ich dasselbe. Ich bin eine elende Verräterin. Gähnend schenke ich Kaffee in meine alte Snoopy-Tasse ein. Aus unerfindlichen Gründen kann ich mich von dem Ding nicht trennen. "Für mich nur mit einem Schuss Milch."Ich wirble erschrocken herum und dank der hektischen Bewegung verschütte ich den Kaffee. Tyler steht breit grinsend vor mir, nur in einer Hose mit dem T-Shirt in der Hand, die Haare noch wirr vom Kopf abstehend. Sofort wird mir mein enges Top bewusst, das wegen dem Kaffee jetzt wie eine zweite Haut an mir klebt. Unbehaglich zupfe ich an dem Saum meiner knappen Shorts herum. Ich bin unfähig, mich zu rühren. So huscht mein Blick abwechselnd zwischen seinem Sixpack und seinem Gesicht hin und her. Währenddessen gleiten seine Augen quälend langsam über meinen Körper, von Kopf bis Fuß. "Schenk dir deinen Kaffee selber ein!", fauche ich und verstecke meine Verwirrtheit hinter einer Fassade. "Hast du deinen elenden Rausch endlich ausgeschlafen?" Statt einer Antwort kommt er näher und späht neugierig in die Pfanne. "Hmm, das riecht echt lecker! Aber schmeckt das auch, obwohl es von dir stammt?" Misstrauisch beäugt Tyler den restlichen Teig. "Probieren auf eigene Gefahr", gebe ich schroff zurück und wende mich hastig ab. Plötzlich greifen zwei muskulöse Arme links und rechts um mich herum und bedienen sich an dem halbfertigen Pfannkuchen. Wo seine Haut meine berührt, stellen sich die feinen Härchen auf und in meinem Nacken bildet sich eine Gänsehaut, als sein warmer Atem auf mich trifft. "Tyler", zische ich warnend und verkrampfe komplett. Auf einmal verstehe ich alles. Die Art, wie er sich mir präsentiert, wie er mit mir redet und mich behandelt, die beiläufigen Berührungen. Er ist durch und durch ein Player, nach wie vor. Und sein einziges Ziel ist es, mich in sein Bett zu kriegen. Zu meinem Leidwesen ist mein Körper ein mieser Verräter. "Tassen sind da oben", sage ich, meine Stimme ganz rau. Als er wegtritt und ich seine Präsenz und seine Körperwärme nicht mehr spüre, läuft mir ein unangenehmer Schauer der Kälte über den Rücken. Ich unterdrücke den Impuls, ihn wieder an mich zu ziehen. Stattdessen hole ich den letzten Pfannkuchen aus der Pfanne und schiebe ihn mit den anderen in den Ofen, damit sie warm bleiben. Tyler starrt mich nur an, die leere Tasse in den Händen. "Was?!", blaffe ich unfreundlich. "Ich bin nicht dein Dienstmädchen. Helf mir gefälligst, den Tisch zu decken!" Für einen kurzen Moment erstarrt er, aber dann überzieht dieses selbstgefällige Grinsen sein Gesicht. Das folgende wird mir sicherlich nicht gefallen. "Der Gast ist König. Also beweg deinen entzückenden Hintern, holde Maid!" Demonstrativ lässt er sich am Esstisch nieder und trommelt einen ungeduldigen Rhythmus auf die Tischplatte. "Was für ein König? Der König der Schürzenjäger?" Verärgt knalle ich Besteck vor seine Nase. "Ich muss gestehen, dieser Titel würde außerordentlich gut zu mir passen." Selbstverliebt betrachtet Tyler seine Fingernägel. "Jetzt weiß ich, wie der Hase läuft. Du bist schwul, aber bekommst keinen ab." Der Kaffee schwappt ein wenig über, als ich seine Tasse mit zu viel Schwung abstelle. Sofort legt er seine Handflächen auf den Tisch. "Du bist sexy, wenn du wütend bist." Ungeschickt zerre ich die Platte mit den Pfannkuchen aus dem Ofen, damit er meinen roten Kopf nicht sieht. "Und du bist noch nicht einmal sexy, wenn du kotzt." "Hat auch niemand behauptet." Touché. "Also wird es von mir behauptet?" Ich strecke mich, um an die Erdnussbutter im Schrank zu kommen. "Allerdings. Kann ich bei der Aussicht auch vollkommen verstehen." Ich wirble herum und funkle in aufgebracht an. Kurz erwäge ich, mir etwas anderes anzuziehen, aber diese Schwäche will ich mir nicht eingestehen. "Hier. Hoffentlich vergiftest du dich." Ich klatsche Tyler einen Pfannkuchen auf den Teller. "Dann könnte ich deinem hübschen Gesicht nicht beim Essen zusehen." "Das tut mir aber leid", erwidere ich ironisch. "Nach dem Frühstück fliegst du raus. Dein Auto steht in der Garage." Tyler kaut nachdenklich und sein Blick klebt an meinem Gesicht fest. "Machst du das immer so? Die Typen morgens rausschmeißen, bevor dein Vater sie zu Gesicht bekommt?" Bedächtig schmiere ich Erdnussbutter auf meinen Pfannkuchen und rolle ihn anschließend zusammen. "Würde es dich denn stören?" Statt einer Antwort höre ich, wie Tyler genießerisch seinen Pfannkuchen verspeist. "Eventuell", gibt er schließlich mit vollem Mund zu. Er kaut ausgiebig und schluckt den Bissen runter, ehe er fortfährt: "Ich meine, man sollte wenigstens Anstand haben und die Typen nicht klammheimlich rausschmeißen, nur weil Daddy nach Hause kommt." Tyler schnappt sich einen weiteren Pfannkuchen. In was für einer übermenschlichen Geschwindigkeit isst er bitte? Ich stütze mein Kinn auf meinen Händen hab. "Ach ja? Du findest es also anständig, wenn du deiner Mutter laufend ein Mädchen präsentierst und ihr damit klar und deutlich sagst, was du nachts schmutziges getrieben hast? Ich meine, kann sie überhaupt noch wegen Krach schlafen?" Ich führe die Tasse an meine Lippen und trinke einen Schluck. "Und außerdem bin ich keine Schlampe. Ich dachte eigentlich, dass wir das geklärt hätten?" Mit hochgezogener Augenbraue warte ich auf seine Antwort. "Du vergibst mir also." Tyler stößt einen erleichterten Seufzer aus. "Vergeben ja, vergessen nein. Wie gesagt, ich bin nicht wie Pinkie von gestern nacht." "Bitte wer?" "Das Flittchen aus der Bar." "Weiß ich doch nicht, wie sie aussah." Verblüfft bleibt mir der Mund offen stehen, als ich etwas erwidern will. "Du bist ein noch größeres Arschloch als ich dachte, Tyler." "Danke für das Kompliment, dass gebe ich gerne zurück." Mit meiner Meserspitze male ich unsichtbare Muster auf den Teller. Tyler verfolgt jede meiner Bewegungen, während er futtert, als gäbe es kein morgen mehr. "Weißt du Tyler, ich bin keine von diesen Betthäschen, die man eben mal schnell benutzt und dann wieder fallen lässt wie ein schmutziges Paar Socken. Ich bin stolz darauf, dass ich so bin. Ich bin nicht prüde oder so, um Gottes Willen nein, aber ich weiß, wie es ist, wenn einem das Herz aus der Brust gerissen und anschließend noch darauf herumgetrampelt wird. Ich ..." Verzweifelt ringe ich nach Worten, versuche ihm irgendwie mein Problem und meine Gefühlslage zu schildern, doch ich finde kein passendes Wort. Ich will ihm erklären, was Jackson mir angetan hat, obwohl mein Verstand mich gerade wie eine Furie anbrüllt, es nicht zu tun. Es ist ihm nicht zu verübeln. Mit den Jahren wurde ich Menschen gebenüber immer sehr misstrauisch und habe bei bestimmten Personengruppen nach bestimmten Verhaltensmustern gesucht. Man glaubt es kaum, da ich eine Schulqueen bin, aber ich bin extrem sensibel für meine Umwelt. So bin ich also zu dem Schluss gekommen, dass die sogenannten Player nur einen auf interessiert machen, damit sie die Mädchen flachlegen können. Und da Tyler ein Player ist und noch nicht einmal ich gegen seine männlichen Reize immun bin, komme ich zu dem Schluss, ihm nichts zu erzählen. Stattdessen suche ich nach Formulierungen, um meinen Satz zu beenden. "Ich finde, du solltest jetzt gehen", sage ich schließlich.

--

Meine Lieben, es tut mir echt Leid. Ich wollte ja regelmäßiger updaten, aber da es hier in Süddeutschland gerade auf das Halbjahreszeugnis zugeht und die Lehrer einen richtig fordern, findet sich kaum Zeit für irgendwas... -.-
Naja, trotz allem wollte ich mich bei euch für die fast 1000 Reads bedanken. Das letzte Mal waren es knapp über 600 und das ist noch nicht einmal 2 Wochen her :o
Außerdem haben 5 Teile schon über 100 Reads und der erste Teil sogar schon über 200! *-*
Ich hab das gesehen und hab mir erstmal wtf gedacht und dann war ich total happy :)
Und ich muss mich noch einmal bedanken: vor circa 1-2 Wochen war Am Abgrund auf Platz 113 der Jugendliteratur. Vor einem Monat noch auf ungefähr Platz 468. Das ist so unglaublich, ich danke euch allen für eure Unterstützung, eure Kommentare und die Anerkennung meiner Arbeit

Emma xoxo

Am Abgrund *slow updates*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt