3. Kapitel | Light Yagami

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Dieser L, das bin in Wirklichkeit ich. Ein einziger Satz, der Lights Gedanken und Gefühle so sehr auf den Kopf stellte, wie noch nie zuvor und der ihn trotz aller Überlegungen einfach sprachlos werden ließ. Er hatte diesen Ryuga - oder besser gesagt den Detektiv L - kennenlernen und seine sprunghafte, rätselhaft erscheinene Denkweise verstehen wollen, aber nach dieser geradezu barschen Offenbarung zerbröckelte seine Vorstellung darüber in tausend Stücke. Tief in seinem Inneren da glaubte er sogar für einen kleinen Moment, so etwas wie Enttäuschung zu verspüren, auch wenn dies wohl das erste Mal in seinem perfekt arrangierten Leben gewesen wäre. Denn schließlich hatte er doch alles, was ein junger Mann mit achtzehn Jahren hätte haben wollen - gutes Aussehen, einen hervorragenden Abschluss und Studienplatz an einer renommierten Universität, ein heiles und sicheres Elternhaus, sowohl als auch die Aufmerksamkeit aller möglichen Frauen, auch wenn ihn dieser Punkt im Großen und Ganzen eher ziemlich kalt ließ. Was sollte er schon mit Frauen, wenn er die Macht erlangt hatte, alles Böse der Welt mit dem bloßen Schreiben von Buchstaben und Namen auszulöschen?
»Ich habe mich dir zu erkennen gegeben, weil ich dachte, du könntest uns bei der Lösung des Falls helfen«, fuhr der Detektiv schließlich fort und weckte Light so aus seinen abschweifenden Gedanken. Auch Ryuk schien Interesse an dieser leicht überraschenden Situation gefunden zu haben und flog mit einem »Wär schon krass, wenn das der echte L wäre!« näher an die beiden heran, wobei Light versuchte ein weiterhin gleichgültiges  Gesicht zu machen. Ja, es wäre offensichtlich krass, wenn dieser Ryuga der echte L war, aber noch viel krasser war es wohl, das Light sich ihm zuerst in aller Unvorsicht hatte nähern wollen. Dass er fasziniert und geradezu angetan gewesen war, von diesem komischen Mann mit Schlabberklamotten und ausgelatschten Turnschuhen, an denen noch nicht einmal die Schnürsenkel gebunden waren.
»Aber was bringt es dir, mir all diese Dinge zu erzählen?«, fragte Light schließlich, wobei er all seinen Mut zusammen fassen musste.
»Auch wenn ich meinem Vater in der Vergangenheit bei einigen Fällen geholfen habe, besitze ich einfach nicht die Erfahrung und den Intellekt, einen so großen Serienkiller zu fassen. Außerdem fehlt mir auch schlichtweg die Zeit, jetzt, wo ich an der Uni bin.«
Auf dem Gesichert des Detektivs breitete sich ein kleines, wissendes Lächeln aus, während er sprach und in Light machte sich sogleich ein mulmiges Gefühl breit; er musste verdammt aufpassen, wie er sich jetzt benahm. Wenn dieser Kerl wirklich L war, würde er die Wahrheit sonst noch ans Licht bringen und dann wäre alles, einfach alles vorbei. Der Brünette schluckte den Kloß, der sich auf diesen Gedanken hin in seinem Hals fest gesetzt hatte, langsam und nervös herunter. Es war wohl Zeit, all das Können auszuspielen, dass er sich in den letzten Jahren angeeignet hatte.
»Nun, Light-kun. Man könnte meine Offenheit dir gegenüber als ein kleines … Experiment bezeichnen.«
L begann erneut auf seinem Daumennagel herum zu kauen, wobei er den Studenten immer noch belustigt musterte, so dass jenem förmlich das Herz in die Hose rutschte. Verdammt, er musste doch sein Pokerface auf behalten! Also zwang er sich ebenfalls zu einem schiefen Lächeln, das er buchstäblich jeder Person zeigte, wenn es notwendig war - aber diesmal bereitete es ihm ein seltsames Unbehagen. Denn L war nicht jede Person, er war anders.
»Aha, ist das so? Nun, in diesem Fall bin ich gespannt, was du vorhast. Sag ruhig bescheid, wenn ich dir mal behilflich sein soll.«
»Ja, das werde ich. Danke, Light-kun.«
Der fremde Ausdruck auf Ls Gesicht verschwand und wechselte zu der üblich gleichgültigen Miene, die Light schon von vorhin kannte, bevor er sich wieder dem Geschehen auf der Bühne zuwandte. Das Herz des Brünetten pochte immer noch in einem unerklärbar schnellen Rythmus, doch er versuchte ebenfalls, Gleichgültigkeit zu wahren und sich zu konzentrieren; schließlich gab es jetzt wichtige Dinge zu planen, die ihm dabei helfen mussten, L auszuschalten. Denn das musste er, wenn er sein Leben beibehalten wollte. Aber … lohnte sich das überhaupt? Wenn Light in aller Ernsthaftigkeit, die er besaß, darüber nachdachte, gab es im Rahmen seiner Existenz doch eigentlich nichts, das er unbedingt brauchte. Materielle Dinge, Schulnoten, Familie, Freunde, Menschen generell - nichts von diesen Sachen hatte ihn jemals interessiert, alles ließ ihn kalt. Alles, außer dieser komische Typ neben ihn.
Das unbelebte Klatschen der Erstsemester unf die schwache Verbeugung ihres Direx auf der Bühne, weckte ihn aus seinen plötzlich so selbstkritischen Gedankenspielen und brachte ihn halbwegs zur Besinnung. Was hatte er da gerade nur gedacht?! Natürlich konnte er sein Leben nicht einfach aufgeben, so ein Quatsch. Langsam erhob er sich, wie viele andere auch, von seinem ungemütlichen Sitzplatz und schielte unauffällig herüber zu L, der jetzt das Gleiche tat. Nein, aufgeben konnte er nicht, das würde seine Niederlage bedeuten. Aber vielleicht, nur ganz vielleicht, würde er in seinem Leben jetzt etwas verändern.

»Herzlichen Glückwunsch, Brüderchen!«, schrie Sayu ihm zur Begrüßung  entgegen und schlang unvermittelt die Arme um ihren Bruder, während jener nur überrumpelt die Haustür schloss. Auch Lights Mutter kam in ihrer Kochschürze freudig aus der Küche gelaufen und musterte ihren nun offiziell erwachsen gewordenen Sohn stolz. Mein Gott, übertrieben es diese Weiber mal wieder - ein Grund, warum Light es manchmal durchaus nicht leiden konnte, in so einem Haushalt zu leben. Er seufzte leicht genervt, was allerdings niemanden zu kümmern schien. Ryuk lachte leise im Hintergrund.
»Und, wir war der Eintritt? Hast du schon Freunde gefunden?«, löcherte  ihn Sachi Yagami sogleich, während der Brünette sich unter Aufbringung aller Kräfte aus der Umarmung seiner Schwester wandt.
»Äh, ja Mutter, es ist alles … gut gelaufen«, antwortete er also verhalten und musste augenblicklich wieder an seine Begegnung mit L denken. Die Gefühle, die dabei aufkamen, konnte er keinsten Falls auch nur beschreiben - es war ein Mix aus Enttäuschung, Wut, Verrücktheit und dann war da trotzdem noch so etwas warmes, das er nicht abstellen konnte …
»Du bist verliebt!«, kreischte Sayu in diesem Moment auch schon als konnte sie plötzlich seine Gedanken lesen, wie ein offenes Buch. Auf ihrem Gesicht breitete sich ein aufgeregtes Grinsen aus und sie hüpfte hysterisch auf und ab, dass ihr schwarzer Pferdeschwanz nur so wippte.
»Oh mein Gott, wer ist es, kenn ich sie? Und ist sie hübsch - ach bestimmt ist sie das! Komm, sag schon!«
Vollkommen überrumpelt, wenn nicht gar zutiefst geschockt, schaute Light sie einen Moment an, ehe er hastig den Kopf schüttelte; Röte breitete sich auf seinen Wangen aus.
»Vergiss es«, verteidigte er sich schwach und ging dabei gar nicht erst auf das wissende Grinsen seiner Mutter ein.
»Ich … niemals würde ich mich in so jemanden verlieben!«
»So jemanden?! Es gibt also doch eine, oh mein Gott! Light, du musst sie unbedingt mal mit nach Hause bringen!«
Sayu schüttelte ihren armen Bruder, aufgedreht wie sie war, komplett durch, während der inzwischen alles gesagte inbrünstig bereute; besonders aber, dass er bei jeder Antwort an L - sein Erzfeind und weltbester Detektiv aller Zeiten - gedacht hatte, machte ihm zu schaffen. Aber Moment, Liebe, wie Sayu es nannte, war das auf keinen Fall. Wie konnte jemand diese schludrige, seltsame Person mit allerdings wirklich süßem Lächeln nur lieben? Na ja, er zumindest tat das nicht, er war bloß ein wenig verwirrt, da er diese delikate Wendung nicht gerade hatte kommen sehen.
»Nein, Schwesterchen, ich werde niemanden mit nach Hause bringen und ich bin immer noch nicht verliebt«, erklärte er deshalb mit einer Spur falscher Selbstsicherheit und bahnte sich schnell einen Weg an ihr vorbei.
»Spielverderber!«
Sayu streckte ihm die Zunge raus, während er grinsend die Treppenstufen hinauf stieg. Gut, manchmal war so eine kleine Schwester ja ganz amüsant. Dennoch fühlte er sich irgendwie mies, war ganz konfuß, und legte sich schließlich nachdenklich auf sein Bett, nicht in der Lage etwas anderes zu beginnen. L … Dieser Buchstabe, diese Person schwirrte jetzt pausenlos in seinem Kopf und er hörte gar nicht zu als sein ach so nerviger  Shinigami mal wieder einen seiner gehässigen Monologe startete. Es war ihm egal. L war es nicht, konnte es nicht, selbst wenn er wollte. Denn dieser Typ war ein Problem, in mehrer Hinsicht. Trotzdem konnte Light es irgendwie gar nicht erwarten, zusammen mit ihm den Alltag eines normalen Studenten zu bestreiten.

Eine Liebe wie KirschblütenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt