1. Kapitel | Light Yagami

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Das allererste Mal hatte Light ihn bei den Prüfungen bemerkt. Schwarzes, wirres Haar, weite Klamotten und diese dunklen, leeren Augen hatten ohne Probleme dafür gesorgt, dass er aus der Menge herausstach - von seiner seltsamen Sitzposition, wegen der er mehrmals ermahnt worden war, ganz zu schweigen. In dem Moment als Light sich umgedreht und ihre Blicke sich getroffen hatten, da hatte es zum ersten Mal auf seltsame Weise in dem jungen Studenten zu kribbeln begonnen. Es war ein fragwürdiges, unbekanntes Gefühl gewesen, mit dem er sich weder befassen noch es verstehen wollte - zu viel Angst hatte er doch vor seiner Bedeutung. So hatte er es schließlich ignoriert, den Prüfungsfragebogen ausgefüllt, kontrolliert und abgegeben, bevor er regelrecht aus dem Raum geflüchtet war. Ein Glück schien Ryuk damals nichts von Lights innerem Vorgehen bemerkt zu haben, sonst hätte er sich sicher etwas komisches von ihm anhören müssen. Doch er konnte seitdem auch weiterhin nicht abstreiten, dass ihn diese Person ungemein faszinierte und er diesen dunklen Augen nunmal nicht entkommen konnte. Er fieberte dem Tag ihres Unieintritts regelrecht entgegen und als er schließlich endlich auf einem Stuhl in der Halle der Touou-Universität saß, zurecht gemacht und bereit das Semester zu beginnen, überkamen ihn erneut diese fremden Gefühle, so dass er sich ungewollt verkrampfte, während der Direx vorn auf der Bühne die Begrüßungsrede hielt; nichts weltbewegendes, nur das widerholte Gerede von Ehre und Stolz, dass er schon überall gehört hatte. Verstohlen blickte Light sich also nach dieser schwarzhaarigen Person um, die dergleichen seltsame Gefühle in ihm hervorrief, konnte sie aber sehr zu seinem Leidwesen nicht unter der Masse an jungen Studenten entdecken. Ryuk, der neben ihm in der Luft schwebte, begann stattdessen laut zu gähnen und forderte von Light umgehend einen Apfel, da er ansonsten den Redenschwinger auf der Bühne zu einem Opfer Kiras machen würde, obgleich in dieser Situation er selbst den Stift dazu in die Hand nehmen würde. Light bedeutete ihm stumm mit den Augen, sich diesem Quatsch aus dem Kopf zu schlagen  als auch schon sein Name erwähnt wurde;
»Nun möchte ich aber nicht weiter herumreden und begrüße herzlich die Studentenvertretung: Light Yagami und Hideki Ryuga, die bei unserer Prüfung gemeinsam die volle Punktzahl erreicht haben. Applaus bitte!«
Der Direx klatschte förmlich ein paar Mal in die Hände, worauf der Großteil des Saales einstimmte - so richtig Lust hatte aber inzwischen niemand mehr, die ersten bekamen Hunger und wurden langsam müde in dieser stickigen Campushalle. Light selbst war einen Moment etwas perplex, stand aber dennoch auf und ging schnellen Schrittes zur Bühne hinauf; jemand war genauso gut wie er gewesen?! Nein, das konnte doch nicht wahr sein … Wut und Überraschung begann in ihm zu herrschen, doch er ließ es sich nicht anmerken und lächelte nur betont freundlich als er dem alten Direx die Hand schüttelte. Hideki Ryuga - er kannte diesen Namen schon von Sayus alltäglichen Schwärmereien, wenn er sich recht entsinnte. Aber so ein Popstar an ihrer Universität wäre sicherlich schon viel früher aufgefallen und hätte Medienrummel verursacht. Bevor Light dieses seltsame Mysterium allerdings weiter beschäftigen konnte, bekam er die Antwort zusammen mit der Ankunft des fragwürdigen Ryugas direkt vor die Nase geschmissen: es war er. Die selben schwarzen, verwuschelten Haare, der krumme Rücken, die weiten Klamotten … Und dann dieser Blick aus den großen, dunklen Augen, der alles und jeden zu  durchbohren schien. Lights Mund fühlte sich auf einmal unsagbar trocken an und fast hätte er seinen Einsatz verpasst als der Direx in aufforderte, nach vorne zu gehen und seine hoffentlich gut vorbereitete Rede zu halten. Zögerlich trat der Brünette schließlich zum Mikro und fing an, wie ferngesteuert zu sprechen - die Worte waren leer, bedeutungslos und tausend Mal eingeübt. Trotzdem schienen sie ihren Zweck zu erfüllen und sowohl die Studenten als auch der Direx sahen zufrieden drein. Nur interessierte ihn deren Meinung gerade so gar nicht; fiel zu beschäftigt war er damit, sich zu sammeln und seine Gefühle zu ordnen, während er den stechenden Blick dieser dunklen Augen in seinem Rücken spürte. Er machte ihn nervös, brachte ihn völlig aus dem Konzept. So hatte es nicht laufen sollen. Er allein war der beste, der klügste und der erhabenste hier und er würde das nicht mit dieser seltsamen, weltfremden Person teilen, die ja nicht einmal Schuhe trug. Es kochte förmlich in ihm, doch er durfte sich keine Blöße geben - noch nicht und vor allem nicht hier. Er hatte nicht die kleinste Information über diesen Ryuga, es war gut möglich, dass seine ganze Person und sein Auftreten eine Falle war. Eingefedelt von seinem größten momentanen Erzfeind; L. Der Detektiv schien fest von Lights Schuldigkeit überzeugt zu sein, das war dem Studenten schon klargewesen als er in seinem Zimmer vor einer Weile die Kameras und die Abhörgeräte entdeckt hatte. Inzwischen waren sie und dieser lästige FBI-Agent wieder verschwunden, aber das schien die Überzeugung dieses Detektivs keines Wegs vermindert zu haben. Light spürte, wie seine Hände langsam schwitzig wurden und wie ihn ein Schwall der Hitze überkam - er wusste nicht, ob es der blanke Zorn oder Nervosität war, die daher rührte, immer noch von diesem rätselhaften Menschen angesehen zu werden.
»Deswegen wünsche ich allen hier einen ausgezeichneten Start ins Jahr und dass sie ihre Ziele hier verwirklichen können. Danke für die Aufmerksamkeit«, beendete der Brünette seine Rede schließlich, bemüht darum, weiter Ruhe und Überlegenheit auszustrahlen. Er sollte sich nicht so verrückt machen; alles war gut, er musste sich nur beruhigen. Lächelnd trat er also zurück und beobachtete aus dem Hintergrund, wie Ryuga nach vorne schlurfte. Was bist du nur für einen Mensch, dachte Light sich unweigerlich. Ich hab wirklich nicht den blassesten schimmer, wo ich dich einordnen soll.
Stumm sah und hörte er den Ausführungen dieser seltsamen Person also zu und zum Ende hin musste er sich eingestehen, nun noch konfuser zu sein als zuvor; die vornehme Sprechweise unterschied sich sehr von seiner fragwürdigen Artikulation, seine Worte waren geschickt einander gereit und er schien mit ihnen zu spielen, andererseits waren sie auch verwirrend und unpassend. Selbst der erfahrenste Germanistikstudent hätte aus diesem langen Redeschwall keine neuen Informationen gewinnen können, außer dass Ryuga die gerade blühenden Kirschblüten sehr ansehnlich fand. Eine gute Viertelstunde später gab auch der Schwarzhaarige schließlich wieder das Mikro ab und Light vernahm wie paralysiert den mageren Anstandsapplaus, der ihm zu gelten schien; was war das bitte gewesen?! Nun wusste er wirklich kein bisschen mehr, was er mit dieser abstrakten Person anstellen sollte - jedenfalls aber amüsierte Ryuk sich köstlich, da er grinsend über die Studentenscharr hinweg schwebte und ein schallendes Lachen erklingen ließ.
»Nun gut, hiermit nochmal einen heftigen Applaus für unsere begabten Erstsemester«, stotterte der Direx ebenfalls etwas überrascht und man sah ihm die Verwirrung, die in seinem Kopf herrschte, förmlich an. Er versuchte schließlich, es locker zu überspielen und bat die beiden Genies sich doch wieder hinzusetzen, da er noch einiges zu sagen hatte; man spürte förmlich die nicht vorhandene Begeisterung der Studenten. Aber Light war das egal, so lange er nur endlich in Ruhe nachdenken konnte. Wer war dieser Hideki Ryuga, der sich unter den zerzausten, schwarzen Haaren versteckte, wirklich? Und warum, zum Himmel noch mal, war er genauso intelligent wie er selbst?! Denn dass dieser Typ etwas hatte, konnte Light inzwischen sofort sagen; er war ohne Zweifel eines dieser kleinen Genies, die man so aus Filmen uns Serien kannte - sie versteckten sich den lieben, langen Tag in ihrem dunklen Kämerchen, mieden soziale Kontakte und machten sich nie die Mühe, Interesse zu heucheln. Eigentlich war dieser Mann doch ganz leicht zu durchschauen, redete sich Light schließlich ein. Nur ein weiterer Soziopath, der Gefallen am Studentenleben gefunden zu haben schien. Natürlich aber spürte er, dass da noch mehr war - es steckte etwas in dieser Person, dass er nicht bennenen konnte. Es faszinierte ihn. Es warf ihn aus der Bahn. Und schließlich würde es ihn noch verrückt machen.
»Light Yagami«, weckte ihn eine leise Stimme aus seinen Gedanken und er spürte, wie sich eine kalte Hand um seinen Oberarm schloss. Augenblicklich lief es ihm kalt den Rücken hinunter, doch er riss sich zusammen und drehte sich so gleichgültig wie möglich um.
»Was ist?«, fragte er und bemühte sich, nicht in die schwarzen Augen zu sehen, die seinen Körper durchdringend musterten. Tausend Fragen gingen ihm durch den Kopf, aber er wusste, dass er keine davon so leicht würde stellen können.
»Du bist doch der Sohn von Chefinspektor Soichiro Yagami«, fuhr der Schwarzhaarige fort, während sie langsam zwei freie Plätze vor der Bühne ansteuerten und sich setzten.
»Dich zeichnen Respekt vor deinem Vater und ein stärker Gerechtigkeitswille aus. Du strebst eine Polizeilaufbahn an und hast in der Vergangenheit schon oft Ratschläge erteilt, dir zur Lösung eines Falles beigetragen haben.«
Dieser plötzliche und unverhoffte Monolog wischte jegliche Zweifel Lights schließlich beiseite; das hier war eine Falle, arrangiert von L, um ihn zu provozieren. Er spürte Enttäuschung in sich aufkommen, hielt sich aber zurück und lies diesen Hagel an Fakten weiter über sich ergehen.
»Außerdem interessierst du dich für den Kirafall, was man dir äußerst schnell anmerkt. Wenn du bei deinen Fähigkeiten und deinem Gerechtigkeitssinn schwörst, nichts zu verraten«, Ryuga sah auf und bedachte ihn mit einem ernsten Blick, »dann werde ich dir ein wichtiges Detail jenes Falls erzählen. Na?«
Der Schwarzhaarige legte den Kopf schief und in Light schien sich alles zu drehen - er hörte nur gedämpft die Worte des Professors, die von der Bühne hinab klangen und selbst das schmale Gesicht Ryugas begann langsam vor ihm zu verschwimmen. Er hatte dafür nicht die geringste Erklärung, nur wusste er, dass es die Schuld dieser Person war, die Spaß daran haben musste, alles in ihm durcheinander zu bringen.
»Gut, ich verspreche es … Sag mir was du weißt«, brachte er schließlich mit schneller schlagendem Herzen hervor und betrachtete den Schwarzhaarigen interessiert. Diese Person war ihm wirklich ein Rätsel. Sie hatte kein Schamgefühl, war nachlässig und verhielt sich auf eine komische Art hin eigensinnig. Möglicherweise war sie eine Bedrohung für ihn, Möglicherweise nicht. Aber auf jeden Fall wollte  er sie kennenlernen, all ihre Defizite und Schwächen unter die Lupen nehmen. Er wollte diesen Ryuga kennenlernen und keine Tatsache der Welt konnte ihn davon abhalten. Außer natürlich … Es traf ihn wie ein Schlag und die Pupillen seiner kaffeebraunen Augen weiteten sich erschrocken, während er es realisierte. Doch der Schwarzhaarige sprach unbeirrt weiter, als hätte er es nicht bemerkt:
»Dieser L, das bin in Wirklichkeit ich.«

Eine Liebe wie KirschblütenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt