Kapitel 1 - Prolog

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Liebes Tagebuch, lieber Lio,

Ich schreibe dir, weil du mich nicht loslässt. Es hat sich viel getan in meinem Leben seitdem ich dir das erste Mal schrieb.

Ich bin nun frei. Frei von alldem was mir passiert ist. Frei von den Gedanken die mich tagein, tagaus verfolgt haben. Frei von Menschen die mich zutiefst verletzt haben. Vor allem aber ist meine Seele frei. Ich habe mal in irgendeiner Teenagerzeitschrift ganz, ganz deepe Zitate gelesen. Darunter war eines, welches mir nicht mehr aus dem Kopf ging. „Was du liebst, lass frei- und wenn es zurückkommt, gehört es dir, für immer".

Lio. Du fehlst mir so. Ich hab dich nicht freiwillig gehen lassen, dich nicht frei gelassen. Und selbst wenn es so wäre, würde es nichts ändern. Denn du bist nicht mehr hier, du gehörst mir nicht mehr. Und vor allem nicht für immer. Was ist überhaupt „für immer"?

3 Jahre, 2 Monate und 13 Tage. Solange ist es her, seit ich dich das letzte Mal sah. In deine glasklaren, wunderschönen Augen sah. Ein letztes Mal. Über 1000 Tage wache ich nun alleine auf, drehe den Kopf in die Richtung, wo du einst neben mir schliefst. Dort ist niemand mehr. Nichts erinnert mehr an dich und doch denke ich jede Sekunde an niemand anderen.

Als wir uns das letzte Mal sahen, erzähltest du mir noch, wie sehr du dich auf die Zukunft mit mir freust, wie unglaublich aufgeregt du bist, auf das was noch alles kommen wird. Du sagtest mir, dass wir alles schaffen werden, Krisen, Pech, Trauer, Glück. Denn unsere Liebe sei stärker als alles andere auf dieser Welt.

WIR.

Jetzt sitze ich hier. Alleine. An unseren Lieblingsplatz. Ich habe extra Überstunden gemacht, um mir den heutigen Tag frei zu nehmen. Damit ich genug Zeit habe, um die Erinnerungen, die wir hier gesammelt haben, aufzunehmen und tief in mein Gedächtnis zu brennen. Also bin ich heute morgen in mein Auto gestiegen und zu diesen magischen Ort gefahren. Und nun sitze ich hier, auf unserer Bank mitten im Nirgendwo, mit unserem Lieblingswein. Ich trage die Jeansjacke, die dir immer so gefallen hat an mir und schreibe dir den tausendsten Brief.

Du hast diesen Ort geliebt. Ich weiß noch ganz genau, als du mich bei unserem vierten Date hierhin entführt hast. Eine Stunde sind wir hierhin gefahren. Du hattest Angst, dass ich dich auslache, weil hier absolut nichts ist, außer Natur. Und Stille. Stille. Du hast die Stille geliebt. Und ich habe dich geliebt.

Als wir uns kennenlernten, auf der Party von Luiza, traf es mich wie ein Blitzschlag. Ich, Sunny, das schüchterne Mädchen von nebenan. Du, Lio, der wunderschönste Mensch, den ich jemals begegnet bin.

Du. Ich.

Meine beste Freundin, Luiza warnte mich vor dir. Du seist ein Weiberheld, du würdest Mädchen nur als Objekt sehen, sie ausnutzen, um sie dann fallen zu lassen. Du hättest unzähligen Mädchen das Herz gebrochen.

Als sich unsere Blicke das erste Mal trafen, blieb mein Herz stehen. Du lächeltest mich an. Mit deinem schiefen Grinsen und der süßen Zahnlücke. Eine Sekunde später setzte mein Verstand wieder ein. Wie ein scheues Reh wich ich deinen Blick aus und drehte mich weg. Ich wollte nicht, dass du mein Herz brichst. Und trotzdem konnte ich seitdem an nichts anderes mehr denken als an dich.

Und jetzt bin ich hier. Verlassen, alleine und leer. An dem Ort, an dem du mir deine Liebe gestanden hast. An dem Ort, an dem so vieles anfing. An dem aus einem du und ich, ein wir wurde. Das wir gibt es nicht mehr. Es gibt nicht mehr uns, nicht mehr wir, nicht mehr Sunny und Lio. Es gibt nur noch mich.

Sunny, alleine gegen alle Ängste, alle Schwierigkeiten auf dieser Welt. Nur mich. Du fehlst mir so sehr, es zerreißt mich, wieso ich dich nicht schützen konnte. Wieso es dich getroffen hat, anstatt mich.
Wieso es an diesem Abend so kommen musste. Warum bist du fort? Warum kann ich dich nicht mehr in den Arm nehmen, deinen Duft einatmen, durch deine Haare gehen, dich anlächeln? Warum kann ich nicht mehr mit dir lachen, weinen, schreien, ja auch streiten?

All das frage ich mich jeden Tag. Ich will nicht ohne dich. Nicht ohne dich leben. Und trotzdem muss ich es. Du hast mir so viel gezeigt, mich gelehrt, mir Weisheiten eingeprägt. Eine Weisheit davon hilft mir weiterzuleben. Du flüstertest sie mir ins Ohr an unserem ersten Jahrestag. „Sunny, egal was jemals passieren wird, egal was du jemals erleben wirst, du wirst alles schaffen- du bist so ein starkes Mädchen. Und wenn du mal denkst, es lohnt sich nicht weiterzuleben, aus welchem Grund auch immer, denk immer daran, es gibt Menschen, die dich über alles lieben. Und auch wenn sie nicht greifbar sind, du sie nicht siehst, passen sie auf dich auf und sind da, so wie Sterne. Sterne siehst du auch nicht immer & trotzdem sind sie da. Dein Leben lang."

Als hättest du damals geahnt, dass das alles passieren wird. Als hättest du gewusst, dass du mich alleine lässt.

Ich muss dich loslassen, kann es aber nicht. Will es nicht. Ich brauche dich, jetzt, hier und in alle Ewigkeit. Ich liebe dich.

Was du liebst, lass freiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt