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Kat

Regen prasselte gegen die Fensterscheibe und weckte mich. Es war erst sieben Uhr. Eigentlich hätte ich noch zwei Stunden schlafen können. Mein erster Termin heute war für elf Uhr angesetzt. Doch ich konnte nicht mehr schlafen.
Mein Blick fiel auf die Bettseite neben mir. Marc lag auf dem Bauch und nur mit Boxer Shorts bekleidet auf seinem Laken. Seine Atemzüge waren lang und ruhig. Er schlief offensichtlich noch sehr fest. Leise setzte ich mich auf und konnte nicht anders, als ihn zu beobachten. Er war eine echte Augenweide für die Frauenwelt. Seine breiten Schultern waren imposant. Selbst im Schlaf traten seine Muskeln deutlich hervor. Und ich staunte nicht schlecht, als ich ein Rücken-Tattoo bei ihm sah, welches seine komplette linke Schulter einnahm. Ich hatte es bisher noch gar nicht bemerkt. Er hatte sich das Wort Familie tätowieren lassen. Weiter war ein Engel abgebildet, der eine Waffe hielt. Dieses Bild war unglaublich männlich. Trotz des Engels versprühte es den puren Hang zur Gewalt. Ich streckte bereits meine Hand aus, wollte es berühren. Jedoch hielt ich im letzten Moment inne. Schließlich wollte ich Marc nicht wecken. Welche Bedeutung es wohl für ihn hatte? Ich würde ihn später danach fragen.
Leise stand ich auf. Marc war das komplette Gegenteil von Eric. Ihm nahm ich ab, dass er eine Frau beschützen würde. Da konnte kommen was wollte. Bei Eric war ich mir da nicht so sicher. Eric war mittlerweile hauptsächlich auf seinen Vorteil bedacht. Seine Haut zu retten ging ihm vor. Das war nicht immer so gewesen. Er war auch nicht so muskulös wie Marc und somit wahrscheinlich gar nicht in der Lage, einen Kampf für sich zu entscheiden. Und der im Moment vielleicht gravierendste Unterschied: Eric schnarcht!
Während ich Marc betrachtete, dachte ich wieder einmal darüber nach, warum ich eigentlich überhaupt noch mit Eric zusammen war, obwohl er mich schon lange nicht mehr glücklich machte. Doch ich verbot mir, weiter darüber nachzudenken. Seufzend drehte ich mich um, schlüpfte in mein T-Shirt und ging die Treppe hinunter, um Kaffee zu kochen.
Da mir nach Musik zumute war, schaltete ich leise das Radio an und setzte Kaffee auf. Es dauerte auch nicht lange, und ich tanzte bereits durch die Küche. Erstens kann ich mich bei Musik nie wirklich zurückhalten und zweitens war ich gerade wirklich glücklich, wenn ich so darüber nachdachte. Marc machte mich glücklich. In seiner Nähe fühlte ich mich wohl. Und insgeheim wusste ich bereits, dass er das war, was ich wirklich brauchte. Es tat mir gut, mit ihm zusammen zu sein. Ich überließ ihm die Kontrolle und konnte für eine kurze Zeit unbeschwert sein. Und trotzdem wusste ich, dass wir keine Zukunft haben würden. Erstens wusste ich nicht, wie er über ein „UNS" dachte und zweitens war ich vergeben. Es stand also gar nicht zur Diskussion. Meinen Kindern konnte ich eine Trennung der Familie nicht zumuten. Wollte es ihnen nicht zumuten!
Also blieb mir nichts weiter übrig, als die paar Tage hier zu genießen. Wohl wissend, dass in Kürze wieder alles vorbei sein würde.
Während ich noch versuchte, die trüben Gedanken zu verscheuchen und mich weiter summend und tanzend durch die Küche bewegte, legten sich plötzlich sanft zwei starke, muskulöse Arme um mich. Marc war hinter mich getreten und umarmte mich, küsste meinen Hals und hielt mich fest. Das Gefühl war unbeschreiblich. Ich liebte seinen Geruch und seine liebevolle und trotzdem starke Art, mit der er mich berührte.
>Guten Morgen, Prinzessin.< Grinsend schmiegte er sich an mich und begann seine Hüften im Takt mit mir zu bewegen.
Ein liebevolles >Hey.< War alles, was ich hervorbrachte. Ich wollte nicht, dass er mich los ließ und schloss meine Hände um seine, damit er seine Arme nicht von mir lösen würde.
>Schon so früh wach?< wollte er wissen.
>Ja, ich konnte nicht mehr schlafen.<
>Warum? Du hättest Dich an mich kuscheln können.< >Stimmt. Aber ich wollte Dich nicht wecken.<
>Mhmmm. Vielleicht hätte ich ja von Dir geweckt werden wollen?< Erneut grinste er frech an meinem Hals und küsste mein Ohr. Nun drehte ich mich in seinen Armen doch zu ihm um und sah ihm in die Augen.
Kurz musterte er mich.
>Was ist los, Kat?<
>Nichts.< Schnell wich ich seinem Blick aus.
>Erzähl mir doch nichts. Ich seh' Dir das an der Nasenspitze an. Also sag mir, was Dir durch Deinen hübschen Kopf geht.<
Wieder sah ich zu ihm auf.
>Also?<
>Ich habe nur gerade darüber nachgedacht, dass ich im Moment sehr glücklich bin. Bei Dir und weit weg von allem.<
>Das ist doch gut! Und deswegen ziehst Du so ein Gesicht?<
>Naja, in ein paar Tagen ist das hier wieder vorbei.< >Das stimmt. Aber dann genieß es, so lange Du kannst, wenn Dir die Situation momentan gut tut. Über das Weitere machen wir uns dann Gedanken, wenn es so weit ist.<
>Wie kann jemand in Deinem Alter nur so tiefenentspannt sein?<
>Oh Kat, das hat doch nichts mit dem Alter zu tun!< Jetzt lachte er mich aus. >Mach Dich mal locker!< Dann küsste er mich auf die Stirn, gab mich frei und nahm zwei Tassen aus dem Schrank. Sofort fröstelte es mich, da meine Haut schlagartig auskühlte. Ich fasste mir an die Stirn, fühlte an der Stelle, an der er mich eben geküsst hatte. Scheiße! Ich hatte gerade das unglaubliche Gefühl, dass ich Marc brauchen würde. Dass ich nicht mehr ohne ihn sein wollte. Er war Balsam für meine Seele, war so unerwartet in mein Leben geplatzt und hatte sich nun so festgesetzt, dass ich das Gefühl hatte, nicht mehr ohne ihn leben zu können.
Marc schenkte uns Kaffee ein, der gerade frisch aus der Maschine kam und reichte mir eine dampfende Tasse. Dankbar nahm ich sie an und hielt sie in beiden Händen fest. Die Tasse strahlte Hitze ab und gab mir ein wenig von der Wärme zurück, die mir jetzt durch den unterbrochenen Körperkontakt fehlte. Wir nippten beide an unseren Tassen und ich bemerkte, wie er mich durchdringend musterte. Als ich ihn ansah, senkte er die Tasse und sah mich nun ernst an.
>Warum schaust Du mich so an?<
Es dauerte eine Weile, bis er mir antwortete und ich fühlte mich unglaublich nackt unter seinem Blick.
>Sag mal, bist Du glücklich in Deiner Ehe, Kat?< Das hatte gesessen! Er hätte mich genauso gut ins Gesicht schlagen können.
Marc hatte die Situation mal wieder erfasst. Was hatte ich eigentlich gedacht, wie lange es dauert, bis er darauf kommen würde?
Ich drehte mich mit dem Rücken zu ihm um und stellte meine Tasse vor mir ab. Ich musste mich an der Arbeitsplatte der Küche festhalten ehe mir ein leises >Nein< entwich.
Es folgte keine Antwort von ihm, nur Schweigen.
Als ich mich wieder zu ihm umdrehte, blickte er mich einfach nur an. Ich sah ihm an, dass es hinter seiner Stirn arbeitete. Aber er sprach kein Wort mit mir. Die Sekunden verstrichen und ich fühlte mich immer unbehaglicher. Schließlich hielt ich es nicht mehr länger aus.
>Warum interessiert Dich das?<
>Weil mich alles interessiert, was mit Dir zu tun hat.< >Aber wie kommst Du ausgerechnet auf diese Frage?< >Du hast Recht. Eigentlich hätte ich sie gar nicht stellen müssen. Ein Blinder würde sehen, dass Du unglücklich bist!<
Jetzt reichte es aber! Wenn er mir das ansah, war das eine Sache. Zu behaupten, dass es sogar ein Blinder sehen würde, ging mir dann doch etwas zu weit. Ich bemühte mich redlich, mir nicht hinter meine Fassade schauen zu lassen. Die zugegebenermaßen doch sehr bröckelte, seit Marc mir über den Weg gelaufen war. Aber schließlich war ich ihm keine Rechenschaft schuldig. Mein Privatleben war ganz allein meine Sache!
Ich hatte Sex mit diesem Mann, ok. Aber das gab ihm noch lange nicht das Recht, in meinem Leben herumzustochern! Zum Teufel, ich kannte diesen Typ erst seit ein paar Tagen.
>Also wenn das witzig sein sollte, hat der Witz seine Wirkung gründlich verfehlt! Und überhaupt: Es geht Dich schlicht und ergreifend nichts an!<
Marc stellte seine Tasse ab und hob entschuldigend die Hände.
>Du hast natürlich Recht. Es geht mich tatsächlich nichts an! Ich habe kein Recht mich in Dein Leben einzumischen. Du wirst wissen, was Du tust und Deine Gründe haben.<
Ich nickte. Dann trank ich meinen Kaffee mit einem Zug aus und stellte die Tasse in die Spüle. Ich drehte mich um und ging ohne ein weiteres Wort die Treppe hinauf, um mich im Bad frisch zu machen. Gerade ertrug ich seinen Anblick nicht länger und musste für ein paar Minuten alleine sein. Marc hatte recht, verdammt! Ich war nicht glücklich mit Eric. Es aber aus dem Mund von jemand anderem zu hören war zu viel für mich. Ich konnte die Augen vor meinem Leben verschließen. Mich selbst belügen. Aber von jemandem den Spiegel vorgehalten zu bekommen, der einem etwas bedeutet, überforderte mich gerade komplett!
Schnell suchte ich ein paar Klamotten zusammen, verschwand im Bad und schloss die Tür hinter mir. Die komplette Anspannung fiel von mir ab. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich mich dermaßen verkrampft hatte. Daher bemerkte ich auch erst gar nicht, wie mir die ersten Tränen über die Wangen liefen. Erst als sich auf meinem T-Shirt kleine, nasse Flecken bildeten, wurde mir klar, dass ich weinte und ich begann leise zu schluchzen. Warum musste ich nur immer gleich so emotional reagieren, wenn mir etwas nahe ging?

Unexpected - Ich bin, was Du brauchst...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt