3. Kapitel

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Es war Samstag. Genau vor zwei Tagen hatte Harry den Anruf von Liam bekommen und nun war er auf dem Weg zum St. Paul's Hospital, in dem Zayn lag. In wenigen Minuten würde er seinen Freunden wieder gegenüber stehen. Würde IHM wieder gegenüber stehen. Zu sagen, dass er nervös war, war eine Untertreibung. Seine Hände zitterten unkontrolliert und ihm war schlecht vor Angst. Angst vor Louis' Reaktion auf ihn und Angst vor seiner eigenen Reaktion. Als Harry nur noch wenige Meter vom Eingang des Krankenhauses entfernt war, blieb er verzweifelt stehen. Völlig fertig ließ er sich auf eine in der Nähe stehende Bank fallen und vergrub den Kopf in seinen Händen. Er konnte das einfach nicht. Es ging nicht. Er wusste nicht, was passieren würde, wenn Louis vor ihm stehen würde. Er wollte nicht, dass diese 'Sache' wieder sein Leben beeinflusste. Er wollte nicht so sein.
Harry war wirklich kurz davor umzudrehen, zurück in sein Hotel zu gehen und schnellst möglich nach Bristol zurück zukehren. Doch dann dachte er daran, wie verzweifelt und besorgt Liam am Telefon geklungen hatte. Er musste jetzt stark sein, für seinen Freund da sein. Hier ging es nicht um Louis oder ihn. Hier ging es um Zayn. Es war ihm fast peinlich, dass er gerade diesen Schwachen Moment hatte und egoistisch, wie er nun mal war, darüber nachgedacht hatte seine Freunde im Stich zu lassen. Aber das konnte er nicht, nicht nochmal.
Harry holte noch einmal tief Luft, ehe er sich von der Bank erhob und zielstrebig auf den Eingang zusteuerte.
Drinnen stieg ihm sofort der beißende Geruch von Desinfektionsmittel in die Nase und er schaute sich suchend um. Sie wollten sich im Eingangsbereich des Krankenhauses treffen und dann gemeinsam zu Zayn gehen. Schließlich entdeckte er zwei junge Männer auf der anderen Seite an einem großen Fenster stehen. Er setzte sich in Bewegung und lief auf die beiden zu. Niall und Liam drehten sich genau in diesem Moment in Harrys Richtung und ihre Blicke trafen sich. Erleichterung, Freude, Schmerz und Ungewissheit blitzte in ihren Augen auf.
Für einen Moment war Harry wie festgefroren, konnte sich nicht mehr bewegen, sondern starrte nur seine Freunde an. Nach wenigen Sekunden hatte er sich allerdings wieder gefangen und lief nun um so schneller auf die beiden zu.
"Harry! Schön dich zu sehen. Danke, dass du gekommen bist", begrüßte ihn Liam herzlich und umarmte ihn. Durch diese Umarmung war das Eis sofort gebrochen und Harrys Nervosität verschwand fast komplett. Doch als Niall Louis erwähnte, lief ihm wieder dieser kalte Schauer über den Rücken.
„Ich hole mir schnell noch einen Kaffee."
Seit er seinen Job bei Porter Industries hatte, war Kaffee lebensnotwendig für ihn geworden. Man könnte wahrscheinlich sogar sagen, dass er Koffein abhängig war. Eigentlich komisch, früher hatte er nie Kaffee gemocht. Das hat sich mit der Zeit geändert, vieles hat sich geändert, Harry hat sich geändert. Das redete er sich zumindest ein.
Seine Laune war folglich auf dem Tiefpunkt, als er das große ‚Defekt' Schild am Kaffeeautomaten, den er mindestens fünf Minuten lang gesucht hatte, erblickte.
Harry nahm das letzte bisschen Hoffnung, das in ihm steckte und drückte voller Erwarten den 'großer Kaffee' -Knopf. Natürlich tat sich bei dem Automaten nichts. Nicht mal ein kleines Licht leuchtete auf. Harry stampfte mit dem Fuß auf. Das konnte doch nicht wahr sein! Genervt machte er sich auf den Rückweg und stieß prompt mit einem andern Mann zusammen.
"Oops", sagte er mit einem entschuldigenden Blick. Als Harry dem Mann in die Augen sah war es, als würde ihm jemand die Kehle zudrücken. Er konnte sich nicht mehr bewegen und starrte eine gefühlte Ewigkeit in die strahlend blauen Augen.
"Hi", begrüßte ihn Louis nach einer kurzen peinlichen Stille. In Harrys Kopf tauchten plötzlich all die Bilder von früher wieder auf. Wie hatte all das nur passieren können? Wie hatten sie sich so weit von einander entfernen können? Wie hatte er das alles verdammt nochmal zulassen können? Harry schüttelte schnell den Kopf und blinzelte ein paar mal, um die schmerzhaften Erinnerungen zu vertreiben und wieder klar denken zu können. "Sollen wir zu den anderen gehen? Sie warten im Eingangsbereich", fragte Harry zögernd nachdem er sich geräuspert hatte. Das letzte was er jetzt wollte, war mit Louis alleine zu sein. Schon klar, er konnte den unangenehmen Fragen nicht für immer aus dem Weg gehen, aber im Moment hatte er einfach keinen Nerv dafür. Zayns Unfall raubte ihm jegliche Kraft. " Ähm ja natürlich", antwortete Louis schnell. Fast zu schnell, sodass es fast panisch wirkte. Er drehte sich prompt um und lief voraus in die Eingangshalle, sodass Harry den verletzen Blick in seinen Augen nicht sehen konnte. Schweigend liefen die Beiden möglichst schnell nebeneinander den Weg zurück und vermieden dabei jeglichen Blickkontakt. Mit jedem Meter wurde Louis nervöser. Oh mein Gott! Wie weit war die Halle denn noch entfernt! Mit jedem Schritt wurde sein Atem schneller und seine Handflächen verschwitzter. Als er einen kurzen Seitenblick auf Harry riskierte bemerkte er, dass er seine Hände zu Fäusten geballt hatte und seine Stirn in tiefen Falten lag, wie immer, wenn er nachdachte.
Wie hatte es nur so weit kommen können? Sie liefen wie zwei komplett Fremde nebeneinander, die sich noch nie gesehen hatten und jetzt zufällig nebeneinander liefen. Allerdings wäre diese Situation weit nicht so unangenehm wie in diesem Moment. Louis musste an den Tag denken, an dem er Harry kennengelernt hatte. Tränen brannten in seinen Augen und es fiel ihm schwer zu atmen. Verdammt! Als er diese smaragdgrünen Augen zum ersten mal gesehen hatte... "Oh mein Gott Louis! Wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen!" Mit diesen Worten riss ihn Niall aus seinen Gedanken. Gerade noch rechtzeitig bevor er mitten auf dem Krankenhausgang in Tränen ausgebrochen wäre. Nach einer herzlichen Begrüßung mit Liam machten sich die vier auf den Weg zu Zayns Zimmer. Das Zimmer lag nur blöderweise im 4. Stock und der Aufzug wurde ununterbrochen von alten Menschen in Rollstühlen besetzt. Sie mussten also wohl oder übel die Treppe nehmen. Mit jeder Stufe wuchs in den vier die Anspannung. Bis auf Liam wusste keiner der Jungs, was sie in dem kleinen sterilen Krankenzimmer erwarten würde. Keiner sprach ein Wort, sodass die hinter ihnen zuschlagende Treppenhaustür ein schneidendes Geräusch in der Stille verursachte. Liam lief vor den anderen den Gang entlang. Seine Hände zitterten und seine Knie wurden mit jedem Schritt weicher. Zimmer 401, Zimmer 403, Zimmer 406 ach ja da war es! Zimmer 408. Liam wartete vor der Tür, bis die Jungs sich um ihn versammelt hatten. "Okay Leute", nervös fuhr er sich durch die Haare. "Hier ist es", Liam deutete mit seinem Zeigefinger auf die Tür. Er hob seine Faust, um zu klopfen, doch kurz bevor seine Knöchel die Tür berührten, hielt er inne. Er konnte das nicht noch einmal. Was wenn Zayn ihn wieder nicht erkannte? Obwohl Liam wusste, dass es so sein würde, hoffte er, dass der alte Zayn in dem Bett hinter der Tür liegen würde, die Jungs angrinsen und brüllen würde: "Just a prank Bro!" Plötzlich spürte Liam eine Hand auf seiner Schulter. Es war Niall, der Liam mit einem einfühlsamen Lächeln zurück schob. Er atmete einmal tief durch, hob die Faust klopfte und öffnete die Tür, ohne auch nur eine Antwort abzuwarten. Eine Eigenheit, die Niall schon immer hatte. Einer nach dem anderen drängte sich durch die schmale weiße Tür, bis alle vier angespannt vor Zayns Bett standen. Harry, der das Zimmer zuletzt betreten hatte, ergriff nun das Wort. "Hey Zayn", brachte er nur zögernd und mit zitternder Stimme heraus. Gespannt beobachteten sie die schmale blasse Person in dem Krankenbett, die dem Zayn aus ihren Erinnerungen überhaupt nicht ähnlich sah. Er war stets der, der zwar etwas zurückhaltender war, jedoch voller Lebenslust und für jeden Spass zu haben. Nun allerdings starrte er Harry so merkwürdig an, dass dieser überhaupt nicht sicher war, ob er auch wirklich ihn und nicht die Wand hinter ihm beobachtete. Harry lief ein kalter Schauer über den Rücken und sein Körper begann unkontrolliert zu zittern. Liam legte ihm einen Arm um die Schultern. Zwar fühlte er sich unbeschreiblich schwach und hatte Angst, dass seine Knie jeder Zeit nachgaben, jedoch musste er nun für die Jungs stark sein und sich nichts anmerken lassen.
"Ich bins Liam. Weisst du noch? Ich war vor ein paar Tagen schon einmal da", startete er einen neuen Versuch eine Reaktion von Zayn zu erlangen. Gebannt beobachtete er, wie Zayn langsam seinen Kopf zu ihm drehte und ihn nachdenklich ansah. Dann vermochte Liam einen kleinen Funken in Zayns Augen wahrzunehmen und in dem selben Augenblick nickte dieser schwach. Liam konnte nicht anders als zu lächeln. Er konnte sich an ihn erinnern! Es gab natürlich noch viel Arbeit, Zayn von all ihren gemeinsamen Erlebnissen zu erzählen, aber er war nun zuversichtlich, das sie es schaffen würden. "Wer sind die anderen Liam? Ist das meine Familie?", fragte Zayn neugierig und setzte sich im Krankenbett auf. "Nein, wir sind deine besten Freunde!", antwortete Niall sofort mit einem breiten Grinsen und deutete mit seinem Zeigefinger in die Runde.

"Wir sind hier, um dir zu helfen!"

Don't forget where you belong (One Direction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt