Kapitel 8

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Die Mission zur Gefangennahme des Waffenherstellers von Anti-Crepus-Waffen war im vollen Gange. Fünf Uhr morgens hatten sie sich am Bahnhof getroffen, damit sie den Zielort, eine Stadt nahe der Lindor-Wälder, noch am Vormittag erreichen konnten. Die Fahrt verlief reibungslos. Da sie noch Puffer eingeplant hatten, waren sie am Ende sogar zeitiger angekommen als vermutet. Für alle Beteiligten war das eine große Erleichterung, denn sie konnten jede Minute gebrauchen, die sie erhielten. Es war ein Spiel auf Zeit, dessen Erfolgschancen immer weiter sanken, je länger sie warteten.

Die gesamte Fahrt über hatte Jean kaum ein Wort von sich gegeben. Nur wenn er ausdrücklich mit Namen angesprochen wurde, gab er einsilbige Antworten oder nickte stumm. Zum einen lag es an seiner Müdigkeit, die ihm obendrein noch Kopfschmerzen beschert hatte, zum anderen, dass er sein Verhältnis zu Felicia und Fai nicht mehr einschätzen konnte. Felicia benahm sich wie immer und redete von belanglosen Dingen, um die Stimmung aufzulockern. Dieses Mal ging es um ihren Nachbarn, der von seiner Ehefrau aus der Wohnung gejagt wurde mitsamt gepackten Koffern. Angeblich solle der Mann nur in Schlafkleidung gewesen sein und jämmerlich an der Tür geklopft haben, ohne eine Reaktion seiner Frau zu erhalten. Durch die verärgerte Nachbarschaft wurde er schließlich gezwungen, sein Vorhaben aufzugeben, und suchte sich für die Nacht ein Hotel. Seitdem waren immer mal wieder die Schreie auf dem Flur zu hören, die dem Ehepaar zuzuordnen waren. Bisher hatten sie sich noch nicht wieder vertragen, aber Felicia meinte, dass die Frau sicher bald nachgeben würde.

Während dieser Geschichte hatte Jean so getan, als würde er schlafen, aber in Wirklichkeit grübelte er darüber, wie Felicia so locker mit Fai umgehen konnte. Damals in der Kantine hatte sie sich so besorgt um ihn gezeigt und war voller Tatendrang, seiner Misere ein Ende zu setzen. Doch nach der gestrigen Bekanntgabe ergaben ihre Worte keinen Sinn mehr. Wieso sollte sie jemanden retten wollen, den sie voller Überzeugung verraten würde? Jeans einzige Vermutung lag darin, dass sie eine begnadete Schauspielerin war. Sobald sie in eine Rolle schlüpfte, wurde sie eins mit ihr und verkörperte sie ohne Makel. Was ihn einerseits beeindruckte, bereitete ihm andererseits Angst. Wenn er glaubte, sie zu verstehen, ertönte eine zweifelnde Stimme in ihm, die ihn ermahnte, dass es vielleicht gar nicht die echte Felicia war, die sich gerade vor ihm befand. Was, wenn sie ihn genauso belog wie Fai oder es doch ein Plan der Sekte war, um ihn bloßzustellen? Allerdings würde es ihnen keinen Nutzen bringen, ihn so lange zappeln zu lassen, wenn sie klare Hinweise hatten, dass er sie verraten wollte. So konnte er noch mehr Informationen gewinnen und weiterleiten. Vielleicht wurde er immer abgehört, aber seine Existenz war ein signifikantes Risiko für ihre Missionen, insbesondere bei solch einer wichtigen wie heute. Nein, Felicia war nicht auf der Seite der Sekte. Trotzdem konnte er sein Misstrauen nicht abstellen.

Ulterium hatte ihm vergewissert, dass er Felicia beobachtete und einschreiten würde, sobald sie Anzeichen machte, sie zu betrügen. Bis dahin sollte er ruhig ihre Hilfe annehmen, denn es gab für Jean keine negativen Konsequenzen. Er bekam ihre Hilfe und sie seine - eine Gewinnsituation für beide Parteien. Das beruhigte ihn schon ein wenig.

Im Wald angelangt, rückte Felicia näher an Fai heran, bis ihre Schulterspitze seinen Oberarm streifte. Der Berührte machte ein verwirrtes Gesicht und vergrößerte den Abstand zwischen ihnen erneut, doch bald hatte die Rothaarige wieder aufgeholt.

"Sag mal, Fai...", fing sie an zu reden. Sie verlängerte die Einleitung absichtlich, um eine Reaktion in Fais Gesicht auszulösen, und genauso trat es auch ein.

Fast schon gezwungen drehte er sich zu ihr und rollte mit den Augen. "...Nun rede schon."

Felicia hatte ein Talent dafür, anderen so sehr auf die Pelle zu rücken, dass sich ihre Laune verschlechterte. Jean war davon nicht ausgeschlossen. In der gemeinsamen Zeit, die sie verbracht hatten, erinnerte er sich nicht einmal mehr an die vielen Male, die sie ihn nicht in Ruhe gelassen hatte und fröhlich vor sich hin plapperte wie ein Wasserfall. Selbst wenn der Angesprochene ein Gesicht zog wie das Elend in Person, bemerkte sie es nicht. Oder sie wollte es nur nicht wahrhaben.

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