Peinlich berührt

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Als Melanie und Agent Tyrell im Hauptquartier ankamen, stand der Rest des Teams bereits versammelt um den Smart-Table. „Gibt's schon was neues?", fragte Melanie und stellte sich neben ihren Bruder. „Der Bericht der Spurensicherung ist noch nicht da, aber wir haben schon mit Fong gesprochen", fing Steve an. „Es sind viel zu viele Spuren, sie werden Zeit brauchen um alle durchzugehen."
„Schon merkwürdig", meinte Danny, „erst lässt er uns gar keine Spuren zurück und jetzt finden wir so viele, dass wir ihn trotzdem nicht überführen können."
Tyrell nickte. „Das gleiche Spiel, hat er mit uns auch getrieben. Erst waren die Leichen in steriler Umgebung und schließlich an öffentlichen Plätzen, wo man von einer Masse von Spuren erschlagen wurde. Er will wieder mit uns spielen. Dieser Kerl hat einen Gottkomplex der übelsten Art."
„Dann hat er in Ihnen ja die perfekte Gegnerin gefunden", sagte Melanie dazu nur. Die Agentin erwiderte ihren Blick und begann zu lächeln. Melanie schien sie zu verstehen. „Wie ist die Vorgehensweise bei euch? Was macht ihr jetzt?"
Alle Anwesenden blickten die Agentin verwundert an. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass sie sich nach ihnen richten würde. „Chin und Kono fahren zur Familie des Opfer, Danny und ich gehen zur Gerichtsmedizin und ihr werdet die Zeugenbefragung übernehmen", erklärte Steve. Melanie seufzte resigniert. „Um die Uhrzeit wird keiner unterwegs gewesen sein, um den Täter zu sehen und die Fabrik liegt viel zu weit vom nächsten Wohnhaus entfernt, um dort jemanden aufmerksam gemacht zu haben."
„Versucht es trotzdem", entschied Steve und verschwand mit Danny. Still ergab Melanie sich ihrem Schicksal.

Agent Tyrell war ziemlich still, bis sie am Tatort ankamen. Sie schien sich allmählich mit Melanie vertragen zu wollen. Doch die Ruhe wirkte beklemmend und ermüdend auf sie. Als sie ausgestiegen waren, fragte sie deshalb: „Wer kam auf die glorreiche Idee Sie Felicitas zu nennen?" Die junge Agentin blickte sich zu Melanie um. „Meine Großmutter, sie fand den Namen interessant", erwiderte Tyrell und musterte Melanie. „Wer war einfallslos genug, eine weitere Melanie in die Welt zu setzen?" Überrascht blieb Melanie neben ihr stehen. „Ich mag meinen einfallslosen Namen", verteidigte sie sich halbherzig, „und immer noch besser als Heideltraud zu heißen oder sowas."
Zusammen liefen sie noch einmal über das Fabrikgelände, um sich ein weiteres Mal ein Bild vom Tatort zu machen. „Sag nichts gegen Heideltraud, so heißt meine Tante", meinte Tyrell, mit einem strengen Blick. „Um Gottes Willen", entfuhr Melanie, „lass uns über etwas anderes sprechen."
„Gut. Hattest du noch mal eine Beziehung, nach deiner unschönen Trennung?" Erneut hielt Melanie inne. Tyrell weckte Erinnerungen in ihr, die sie für lange Zeit erfolgreich weggesperrt hatte. Diese Frau schaffte es aber auch immer wieder, ihr ein mulmiges Gefühl zu bereiten.
Tyrell bemerkte wie still ihre Partnerin geworden war und schaute sie fragend an. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es ihr noch so nah ging. „Vielleicht sollten wir doch weiter über Namen reden", murmelte Melanie und setzte ihren Weg fort. Schnell packte Tyrell ihren Arm und zog sie zu sich zurück. „Tut mir leid, ich wollte keine schlechten Erinnerungen in Ihnen hervorrufen", schuldbewusst blickte sie ihre Partnerin an. Diese nickte nur, legte ein falsches Lächeln auf und sagte: „Schon gut. Ist doch schon ewig her."
Am liebsten hätte Tyrell ihr dieses falsche Lächeln aus dem Gesicht gewischt, sie sauer gemacht, damit sie nicht mehr an das dachte, was ihr scheinbar so zusetzte. Doch sie konnte es nicht mehr ändern, Melanie schien sich in ihrer eigenen Welt zu befinden. Still setzten die Beiden ihren Weg fort und versuchten sich auf die Arbeit zu konzentrieren, obwohl Beide anderes im Kopf hatten. Die Gedanken an den Mörder, rückten für kurze Zeit in den Hintergrund.

Als Steve und Danny Max Büro betraten, war keine Menschenseele da. Leicht verwirrt blickten sie einander an, der Mediziner befand sich auch nicht bei einer Autopsie, er war einfach nicht da. „Mittagspause?", riet Danny. „Um 8 Uhr morgens? Sicher, Danno."
„Dann eben Frühstück. Nen anderen Grund gibt es nicht, um nicht bei der Arbeit zu sein. Oder kennst du bessere Gründe?" Steve grinste. Bevor Danny fragen konnte weshalb er so grinste, drückte der Größere ihn gegen die Wand und küsste ihn harsch. Überrumpelt erwiderte Danny den Kuss, schob Steve dann aber von sich. „Nicht hier, du Neandertaler", murrte er, „halt dich zurück."
„War das denn kein guter Grund, wieso man nicht bei der Arbeit ist?", fragte Steve scheinheilig. Danny schlug ihm bloß halbherzig gegen die Schulter. „Du musst es ja wissen, Babe."
„Wenn es nach mir ginge, säße unser Serienmörder schon hinter Gittern und wir Beide würden uns eine freie Woche gönnen."
„Ach du heilige, ich mach drei rote Kreuze im Kalender, der SuperSEAL nimmt freiwillig Urlaub", lachte Danny und knuffte Steve in die Seite. Dieser legte seinem Partner eine Hand an die Wange. „Um Zeit mit dir zu verbringen, mach ich fast alles, Danno."
„Nur fast?", schmollend blickte der Blonde in die Augen seines SEALs. Steve seufzte leise. „Gut, überredet. Ich mache alles, um Zeit mit dir zu verbringen."
„Schon besser, Babe", glücklich gab Danny sich einen Ruck und küsste seinen Freund liebevoll.
Unerwartet, schwang die Tür auf und Max trat ein. Er blieb wie vom Donner gerührt stehen und schaute die beiden Männer überrascht an. Diese fuhren automatisch auseinander. Danny spürte die Scham in sich aufsteigen und blickte zu Boden, er merkte nicht, dass auch Steve überrascht war. Ein dezenter Rotschimmer hatte sich auf die Wangen des SEALs gestohlen. „Max, da sind Sie ja", meinte er und fuhr sich unwirsch durchs Haar. „Ich wollte nicht stören", erwiderte Max sofort. „Das ist Ihr Büro, Max, wenn hier einer stört, dann wir", stellte Steve klar. Dieser nickte, richtete seine Brille und lief hinter zum Autopsieraum. „Ich nehme an, Sie sind wegen der Frauenleiche von heute Nacht da", lenkte Max das Gespräch auf ein anderes Thema. „Richtig", dankbar nahm Steve diesen Themenwechsel an, bedeutete Danny ihm zu folgen und lief zu Max. Der hatte sich bereits bei der Leiche postiert und wartete auf die Beiden.
„Also, wie sieht's aus, Max?", Steve verschränkte die Arme und versuchte sich wieder auf den Fall zu konzentrieren. Was nicht gerade leicht war, wenn man neben dem Mann stand, den man mehr liebte als alles andere auf der Welt. Kaum sichtbar schüttelte Steve den Kopf, seine Gedanken wurden mit der Zeit immer kitschiger.
„Wie schon bei den anderen Frauen, wurde ihr das Zeichen Ihres Killer intra vitam zugefügt. Die Wunde wurde gründlich gereinigt, keine verwertbaren Spuren waren zu finden. An ihren Armen und Beinen sind viele kleine Schnitte, Ihr Opfer hat sich gegen seinen Angreifer gewehrt. Sonst wurden ebenfalls keine Spuren gefunden."
„Wenn sie sich gewehrt hat, gab es dann keine Spuren unter den Fingernägeln?", fragte Danny verwirrt. „Das hatte ich auch als erstes im Kopf, Detective, doch Ihr Killer hat ganze Arbeit geleistet und die Hände des Opfers penibel gereinigt. Der Killer wusste genau, was für uns verwertbar wäre und was nicht."
„Max, gehen Sie davon aus, dass unser Mörder Gerichtsmediziner oder Polizist war?", hakte Steve nach. „Nun, der Vorgehensweise nach, ist es nicht auszuschließen, dass wir es mit einem Mörder zu tun haben, der die Abläufe ihrer Arbeit genau kennt."
„Danke, Max."
„Ich wünschte, ich hätte Ihnen erfreulicheres mitteilen können", Max deckte das Gesicht des Opfers zu. Auch ihm ging dieser Fall nahe. Der Mörder war ein Profi und schien kein Ende finden zu wollen.
Als sich die Beiden zum gehen wandten, hielt er sie auf: „Commander? Detective?"
Die Beiden schauten sich zu ihm um. „Ich freue mich für sie Beide."
„Mahalo, Max", Steve begann zu strahlen, während Danny nur wieder rot im Gesicht wurde, sich jedoch auch leise bedankte. Zusammen verließen die Beiden den Raum und schließlich das Gebäude.
Erst als sie im Auto saßen, atmete Danny auf. Er hatte es sich noch viel schlimmer vorgestellt, von jemandem erwischt zu werden, doch sie hatten Glück gehabt, dass es bloß Max war und dieser so gelassen darauf reagiert hatte.
„Lief doch ganz gut", meinte Steve leise und blickte vorsichtig zu Danny. Dieser schaute auf, seufzte und nickte ergeben. Vielleicht hatte Steve recht und sie mussten sich nicht mehr so sehr vor jedem verstecken. Irgendwann sollten sie es offiziell machen, vielleicht erleichterte ihnen das ihr Leben.
„Jetzt mach ich mir nur noch Sorgen um Mel", gab Danny zu Bedenken. „Sie hat uns doch praktisch zusammengebracht", erwiderte Steve sofort. „Nicht deshalb, Babe. Seit ich bei dir schlafe, weiß ich, wie wenig Ruhe Mel bekommt. Sie hat fast jede Nacht Albträume und wenn sie mal keine hat, schläft sie einfach nicht, damit sie keine bekommt." Steve schmunzelte. Es freute ihn, dass Danny sich Gedanken darüber machte, hielt es doch auch Steve desöfteren wach. Seine Schwester war ihm wichtig und sie leiden zu sehen, war noch nie leicht für ihn. „Ich weiß nicht, was wir für sie tun können", seufzte er, „schließlich geht sie schon zu einem Therapeuten."
„Ich hoffe immer noch, dass ihre Geburtstagsüberraschung sie wieder auf den Damm bringt, aber eine Garantie gibt's da auch nicht."
„Sollte das nicht den gewünschten Effekt haben, können wir uns immer noch Gedanken machen, Danno. Jetzt müssen wir uns erstmal auf den Fall konzentrieren, okay?" Danny nickte und versuchte Melanie aus seinen Gedanken zu verbannen, doch so ganz bekam er das nicht hin. Steves Schwester war ihm viel zu sehr ans Herz gewachsen. Irgendwann würden sie das Strahlen in ihre Augen zurück holen, das schwor er sich.

Leicht genervt lief Melanie über die Straße und schloss sich wieder mit Tyrell zusammen. „Keiner will was gesehen oder gehört haben", murrte sie. „Bei mir genauso", seufzend fuhr Tyrell sich durch die Haare und folgte Melanie, die sich trotz schwindender Hoffnung zum weitermachen quälte. Gut 20 Meter von ihnen entfernt, riss jemand eine Ladentür auf, preschte hinaus und schwang sich auf ein Motorrad. Aus seinem Rucksack flogen Geldscheine. Der Inhaber des Ladens kam hinaus gestürzt und Melanie merkte, dass der Tag immer beschissener wurde. „Beweg deinen Arsch", meinte sie zu ihrer Partnerin und rannte los. Diese hielt locker mit, doch sie erreichten das Motorrad nicht schnell genug, um den Dieb aufzuhalten und eine Schießerei inmitten von Passanten, war selbst für Melanie keine Option. „Kümmer dich um den Ladeninhaber, ich geb das Kennzeichen ans HPD weiter", befahl Melanie. Ohne Widerworte begab Tyrell sich zu dem Mann und versuchte ihn zu beruhigen. „Ist Ihnen etwas passiert? Sind sie verletzt?"
„Nein ... nein, aber das waren meine Monatseinnahmen, was soll ich denn ohne mein Geld machen? Ich muss meine Familie ernähren", er raufte sich die Haare und blickte die Straße hinunter. „Sobald er gefasst ist, bekommen sie Ihr Geld wieder."
Ein paar Minuten später gesellte sich Melanie zu den Beiden. „Gute Nachrichten, eine Streife befand sich zwei Straßen weiter und konnte den Dieb abfangen. Die Kollegen sind hierher unterwegs und sie bekommen ihr Geld wieder."
„Oh mein Gott, danke. Sie hat der Himmel geschickt."
„Leider nein, ich nehm nur Befehle von meinem Bruder an", sie lächelte ihn an, doch Tyrell merkte, dass auch dieses Lächeln nicht echt war. Auch wenn es deutlich ehrlicher wirkte. „Auch gut. Zur Not hätte ich noch die Überwachungskamera gehabt, die filmt die Straße. Da hätte ich wenigstens das Kennzeichen gehabt."
„Kamera?", sprachen Tyrell und Melanie unisono aus. Sie blickten einander an. Wenn die Kamera die Straße filmte und es keinen anderen Weg zum Fabrikgelände gab, musste auch ihr Mörder darauf sein. „Denkst du, was ich denke?", fragte Melanie. Tyrell grinste. „Wir haben unsere erste Spur, liebste Partnerin."
„Wir brauchen das Videomaterial", setzte Melanie den Mann in Kenntnis und freute sich innerlich wie noch nie zuvor. Ihre allererste Spur. Und Tyrell bemerkte, dass Melanie erstmals ein aufrichtiges Lächeln zeigte, voller Freude und Ehrgeiz. Sie würden den Serienmörder finden und dem ganzen Albtraum ein Ende setzen. Ein für alle Mal.

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