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Alles ein bisschen komisch

Eigentlich gehört er zu den Typen von Bahnfahrern, die sich einen Scheißdreck darum kümmern, was um sie herum passiert. Es gibt da diesen Spruch: Kopfhörer rein, Musik an, Welt aus. Genau so tickt er und nicht anders. Zumindest was das Bahnfahren betrifft. Er hat auch kaum andere Möglichkeiten um halb vier in einem fast komplett leeren Waggon. Er freut sich nur darauf, von seinem Job endlich nach Hause zu kommen. Er lässt dabei seine Chuck-Berry-Playlist laufen. Wie immer. Und er lässt die Musik bewusst lauter aus den Kopfhörern schallen, weil niemand in seiner unmittelbaren Nähe sitzt, der sich gestört fühlen könnte. Wie immer eben.

Von der fünfundfünfzigminütigen Fahrt hat er bereits zwei Drittel hinter sich gebracht. Er sieht sich einmal im Abteil um und entdeckt einen älteren Herren in abgewetzten Klamotten am Ende des Waggons, der mit Plastiktüten bepackt die Mülleimer abklappert. Sonst ist keine Menschenseele zu sehen. Ein Blick in die andere Richtung verrät ihm, dass er mit dem vermeintlichen Pfandsammler tatsächlich alleine ist. 'Ein geeigneter Ort für den Dreh eines Horrorfilms', denkt er sich bei dem Anblick der ekelhaft grellen LED-Lichter an der Decke. Sie müssten nur mehr flackern. Dann lehnt er sich an das Fenster zu seiner Rechten und schließt die Augen.

Wenigstens ein paar Minuten lang kann er sich mit der Musik in seinen Ohren entspannen. Zweimal hält die Bahn in dieser Zeit. Beim dritten Stopp jedoch wird ihm die Ruhe in seinen Gedanken genommen. Lautes und tiefes Gelächter bohrt sich unter die Gitarrenklänge und ein Schatten, den er durch die geschlossenen Lider vorbeiziehen sieht, unterbricht die friedliche Einsamkeit. Er öffnet die Augen, wendet sich zuerst nach rechts, um durch das Fenster in die pure Dunkelheit zu sehen, dann bemerkt er die Gestalten, die zu seiner Linken den Gang zwischen den Sitzreihen entlangschleichen. Anders kann man das nicht nennen. Zwar sind die drei jungen Männer dabei nicht gerade leise, aber trotzdem wirken sie, als pirschten sie sich an etwas an. Wie Raubtiere auf der Jagd. Einmal mehr lässt er seinen Blick den gesamten Wagen entlangschweifen und entdeckt dabei gar nicht so weit entfernt ein Mädchen, das sich gerade zu den Typen umdreht. Sogleich pfeift einer der drei durch die Zähne und sie beschleunigt wie auf Kommando ihre Schritte. Doch dabei schwankt sie gefährlich und gibt die Flucht mit einem dezent panischen Blick über die Schulter auf. Wenige Schritte macht sie noch, stützt sich dabei an den Haltestangen zu beiden Seiten, bis sie die nächste Sitzgruppe erreicht und sich schwerfällig hineinfallen lässt. Er zieht den Kopf wieder ein, da er ohnehin nur noch die Spitzen ihrer schwarzen High Heels ausmachen kann, und beobachtet dafür die Kerle, die kurz stehengeblieben sind, um sich nicht gerade leise über ihren Zustand lustig zu machen. Bevor sie die Verfolgung fortsetzen, brechen sie ein weiteres Mal in lautes Gelächter aus. Er behält sie noch kurz im Blick, wendet sich aber im Anschluss wieder ab, schließt die Augen und versucht, sie zu ignorieren. Lediglich für ein paar Sekunden kann er so tun, als sei ihm seine Umgebung tatsächlich gleichgültig, denn Chuck Berry singt ihm gerade "Tight dress and lipstick, she's sportin' high heal shoes" ins Ohr und er muss sich daraufhin fragen, wie sich das junge, unschuldige Mädchen in Sweet Little Sixteen wohl gefühlt hätte, wenn es von diesen stümperhaften Idioten begafft worden wäre.

Seine Lider heben sich vorsichtig und er späht in die Richtung des Mädchens. Die Typen haben sie beinahe erreicht. Bevor sie die letzten Meter aber überwinden können, seufzt er genervt, erhebt sich, setzt dabei die Kopfhörer ab und eilt den Gang entlang. Bei den Dreien angekommen, schiebt er sich unsanft an ihnen vorbei, gibt ein grobes "Sorry" von sich und bleibt schließlich zwischen ihnen und dem Mädchen stehen.

"Hey", sagt er ohne zu zögern. "Hast du mich nicht gesehen?" Auf ihren verwirrten Blick hin setzt er noch nach: "Du bist einfach an mir vorbeigelaufen."

Sie starrt ihn desorientiert an und versucht wahrscheinlich, ihn unter den ihr bekannten Gesichtern einzuordnen, aber mit Sicherheit ohne Erfolg. Sie kennt ihn nicht. Als sie das ebenfalls zu kapieren scheint, wandern ihre Augen zu den Kerlen hinter ihm und sie murmelt: "Ach so...", bevor sie wieder zu ihm schaut.

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