Kapitel 1

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Nervös sah ich auf die Küchenuhr. Marcus war schon seit Stunden verschwunden. Keine Nachricht auf dem Handy. So langsam machte ich mir ernsthaft Sorgen. Aber was soll's? Er war ein erwachsener Mann und intelligent genug um hier in Berlin und anderswo zu überleben.

Aber was trieb er nur? Neugier war und ist eine meiner Eigenschaften, auf die ich nicht besonders stolz bin. Ich checkte mein Handy erneut nur um wieder festzustellen, dass ich keine neue Nachricht hatte. Grummel! Als mein Blick zum Fenster glitt, schrammte er am Kalender vorbei. Dieser verkündete, dass heute der 24.12. war: Heiligabend. Wir hatten beide beschlossen es uns gemütlich zu machen. Ohne Geschenke. Ohne Baum. Ohne Blockflöten. Über letzteres war ich sehr dankbar. Dafür mit ein paar Folgen Doctor Who. Doch zuerst würden wir meinen Eltern einen Besuch abstatten und uns mit Kartoffelsalat und Würstchen vollstopfen. Auf das Stückchen Torte, das es bei meinen Eltern zu Weihnachten immer gab, würden wir geflissentlich verzichten. Schon allein beim Gedanken daran musste ich sauer aufstoßen. Ich sah wieder auf die Uhr. Ich brauche sicher nicht zu betonen, dass erst eine Minute vergangen war. Ruckartig stieß ich mich vom Stuhl ab und ging ins Badezimmer.

Die dortige Uhr war auch nicht netter zu mir als die in der Küche. Ich hatte noch reichlich Zeit für ein Bad in dieser Mega-Wanne, die wir noch gar nicht so lange unser eigen nannten, also ließ ich mir eines ein. Um eine Überschwemmung zu vermeiden, schob ich meinen Astralkörper nach Entledigung der Klamotten gleich hinterher. Ich gab etwas Schaum-Stoff hinzu. Als sich die ersten kleinen Bläschen bildeten, entschied ich mich den Rest der Flasche gleich hinterher zukippen. Ich liebte Schaum. Nun umschmeichelte er mich in hohen Bergen bis zur Nasenspitze. Herrlich! Ich angelte nach der bereitgelegten Fernbedienung für die Stereoanlage. Bei mir galt die Devise: Kein Bad ohne Musik. Meine Nachbarn liebten mich dafür. Zu mir wehte die Stimme von Brent Smith herüber, der in Begleitung der Streicher von Apocalyptica „I'm not strong enough" trällerte. Jaaaa! Dabei konnte ich gut entspannen. Auch mein Nachbar über mir schien den Beat zu mögen, klopfte er doch mit dem Besenstil im Takt auf den Boden. Mit einem quietschenden Geräusch glitt ich in der Wanne ein Stück tiefer und schloss die Augen. Die Nasenspitze ließ ich wie einen Schnorchel aus dem Schaum herausragen, während ich alles andere bis zur Unkenntlichkeit darin versenkt hatte. Die Badezimmertür wurde aufgerissen. Mit einem lauten „Oh, mein Gott! Sie ertrinkt!" griffen Marcus starke Arme nach meinen Schultern und zogen mich wieder nach oben an die Luft. Hatte ich mir vor ein paar Minuten noch gewünscht, dass er mal langsam nach Hause kam, hätte er jetzt auch wegbleiben können.

„Watt soll datt?", schnaubte ich mir den Schaum vom Mund.

„Watt soll watt?" Er blickte irritiert drein. „Du wolltest dich gar nicht ertränken?" Er ließ meine Schultern los.

„Nein! Wie kommst du nur immer auf solche Ideen?" Ich drehte Brent den Saft ab. Hörte ich da Jubel und Applaus aus der Wohnung über mir? Contenance! Ich fuhr meine Wut herunter. Betrachtete alles aus seinem Blickwinkel. Es war nur ein besorgter Marcus gewesen, der da eben so gehandelt hatte, wie er gehandelt hatte. Nur ein besorgter Marcus.

„Ich hab mir halt Sorgen gemacht", nuschelte er.

„Ich weiß." Ich versuchte mich an einem Dackelblick, was gar nicht so einfach war mit den Schaumhügeln an meinen Augenbrauen. Marcus brach in schallendes Gelächter aus. „Sorry, aber das... das... hihihi...sieht einfach nur witzig aus."

„Du mich auch", grinste ich und fingerte, von ihm unbemerkt, nach meinem furchtbar nassen Badeschwamm. Platsch! Der Schwamm landete leider nicht auf ihm. Treffsicher war ich heute wohl auch nicht. In der Hoffnung, mein Blick wäre noch von Badeschaum getrübt, wischte ich mir über die Augen und realisiert nun, was er da gerade tat. Ich war so perplex, dass ich doch glatt nachfragen musste: „Ähm, watt machst du da?"

Sein Hemd war schon aus, gerade mussten die Socken dran glauben und schon war die Hose unten, die schwarzen Boxer-Briefs ließ er zum Glück an. „Wonach sieht es denn aus? Wir haben hier eine riesige Wanne und ich komme jetzt mit rein." Schon stand er mit den Füßen drin.

„Du kannst dir nicht vielleicht vorstellen, dass mir das etwas...unangenehm... ist?", brummelte ich.

Er betrachtete mich eingehend. „Doch, das kann ich. Ist mir aber egal. Du musst dir keine Sorgen machen. Wir wahren Anstand und Moral. Die Wanne ist so groß, dass sich noch nicht einmal unsere Zehenspitzen berühren werden. Ich bleibe auf der anderen Seite und ich sehe nichts. Viel zu viel Schaum." Ich schluckte trocken. Wut keimte in mir auf und ich war kurz davor aufzuspringen und davon zu stratzen. Allerdings besann ich mich eines Besseren, denn im Gegensatz zu ihm hatte ich keine Unterwäsche an. Shape-Ware schon mal gar nicht.

Ich schluckte meine Wut hinunter und gab Brent wieder Saft. Marcus musste zuerst aus der Wanne. Das würde ich aussitzen. Und wenn ich Schwimmhäute bekam, war mir das auch egal. Ich schloss die Augen und spielte U-Boot, nur die Nasenspitze ragte wie ein Schnorchel zwischen den Schaumbergen empor.

Irgendwann gab es starken Wellengang und diese eigentümlichen Schnurpsgeräusche in der Wanne. Als meine Nase Wasser anstatt Luft zog, wusste ich,dass es nur eins bedeuten konnte: Marcus war aus der Wanne geklettert. Was für eine scharfe Kombinationsgabe, nicht wahr?! Ich schnappte nach Luft, während das Wasser meine Nase wieder verließ, und tauchte auf. Fröhlich pfeifend und mit einem diabolischen Grinsen auf den Lippen verließ er augenzwinkernd und in ein Handtuch gehüllt das Bad. Nichts wie raus hier! Ich grapschte mein Handtuch, das ich mir vorsorglich vor die Wanne gelegt hatte und verschwand in mein Zimmer. Die Tür fiel etwas lauter ins Schloss, als ich es beabsichtigt hatte.

Schmollend setzte ich mich auf mein Bett. Er war manchmal schon ganz schön dreist. Aber wenn ich ehrlich zu mir war, fand ich das vielleicht auch ein gaaanz klein wenig attraktiv. Ich durchwühlte meinen Kleiderschrank nach einem passenden Outfit für den Besuch bei meinen Eltern. Ich hätte ja auch an den in der Tardis gehen können, aber irgendwie hatte ich ein ungeheures Bedürfnis nach Normalität. Ich entschied mich für eine schwarze 7/8 Culotte und ein gewickeltes schwarzes Oberteil. Für das Oberteil würde ich mir sicherlich einen Kommentar meiner Mutter einfangen, die nicht auf so tiefe Ausschnitte stand. Wobei man lediglich das „Dazwischen" sah und nicht den Busen an sich. Zur Ablenkung legte ich mir eine lange silberne Kette um den Hals, an der ein großes emailliertes Herz baumelte. Sodann schritt ich zwecks Restaurationsarbeiten Richtung Bad.

Ich war fertig, als es Zeit zum Losgehen war. Da sich Marcus sich nicht blicken ließ, klopfte ich an seiner Tür.

„Bist du fertig?", fragte ich.

Die Tür öffnete sich. Er hatte sich in schwarze Röhrenjeans gequetscht und trug ein schwarzes Hemd. Interessant war der Gürtel. Ein schwarzer mit silbernen Nähten. Der Verschluss war wohl eine Sonderanfertigung. In der Mitte eine pinke Tardis, links ein „D"für Doctoress und rechts ein „M" für Marcus. Er hatte wohl bemerkt, wie ich darauf starrte.

„Hab ich heute abgeholt. Eine Sonderanfertigung eines Silberschmieds auf Monturia. Ellis hat ihn mir empfohlen."

„Sehr schick. Wie geht es ihm?", erkundigte ich mich nach Ellis, mit dem wir bereits ein Abenteuer erlebt hatten.

„Oh, sehr gut. Er hat gerade eine Woche Urlaub gemacht und Bad besucht. Auch dort ist alles im grünen Bereich. Schöne Grüße soll ich ausrichten. Bad ist Papa geworden. Drillinge, alles Mädchen. Ich hab Bilder in der Tardis. Können wir uns bei Gelegenheit mal ansehen." Er ging zur Garderobe und schnappte sich eine Jacke. „Wollen wir?" Sein Lächeln war einladend, wie eh und je. Ich seufzte. Anstatt jetzt zu meinen Eltern zu gehen, hätte ich mir lieber die Bilder von den Einhörnern angesehen. Auch ich schnappte mir meine Jacke vom Garderobenhaken und die Hausschlüssel.

„Du warst heute schon mir der Tardis unterwegs? Hab ich gar nicht bemerkt", erkundigte ich mich.

„Ich war sehr früh dran und es hat auch nicht lange gedauert. Ich wollte ja nur was abholen." Er öffnete die Tür und ließ mich zuerst hinausgehen. „Außerdem hast du noch geschlafen."

The Doctoress - Watt?! (8)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt