Kapitel 6

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Dieses Tier war... Dieses Tier war ekelig und groß und dick. Im Normalfall erreichte so ein Wattwurm ein maximale Länge von ca. 40 cm. Der neulich war schon um einiges länger gewesen. Dieses Exemplar war bestimmt einen Meter lang und... doppelt so dick wie ein normaler Wattwurm. Mich durchlief eine Gänsehaut und ich schüttelte mich.

Dieser Wattwurm war zudem sehr aktiv. Er zischte beinahe wie eine Schlange und ruckte mit dem Kopf in Krügers Richtung. Krüger reagierte sofort und attackierte den Wattwurm mit dem Spaten. Er traf nur leicht, der Wurm taumelte, blieb aber in Angriffsposition.

„Verdammt! Was denken sie, was sie da tun?!", herrschte ich ihn an.

„Der hat mich angegriffen!", blaffte Krüger zurück und behielt dabei den Wurm im Auge, genauso wie der Wurm ihn, obwohl er so ersichtlich gar keine Augen hatte.

„Das rechtfertigt aber nicht seinen Tod. Dieser Wurm ist ein ganz besonderes Exemplar. Ein Wunder der Natur", maßregelte ich Krüger.

Er nuschelte: „Ein Wunder der Natur, dass mich angegriffen hat."

Ich hatte ihn sehr gut verstanden, fragte aber dennoch: „Was haben sie gesagt?" Mein Blick war sehr ernst.

„Nichts", gab er kleinlaut von sich.

„Was?", ich sah ihn mit großen Augen an. Er winkte ab.

Während wir miteinander sprachen, hatte es sich der Wattwurm wohl anders überlegt und war abgetaucht. War vielleicht auch besser so.

„Doctoress? Ich glaube, wir sollten mit schwererem Gerät aufschlagen als mit einer langen Pinzette, einer Plastiktüte und einem Spaten", unterbrach Marcus die Situation und ich war ihm unglaublich dankbar dafür.

„Ja, sollten wir." Ich warf ihm einen liebevollen Blick zu und er errötete. Hmm, das gefiel mir. Der Blick, den ich Krüger zuwarf, sah da schon ganz anders aus.

Wir schickten uns an das Watt zu verlassen. „Herr Krüger, auf ein Wort", lud ich ihn ein das Gespräch fortzusetzen. Widerwillig nickte er.

„Diese Wattwurmgeschichte scheint mir etwas seltsam zu sein. Ich denke, es sind weitere Untersuchungen notwendig und je nachdem, welche Ausmaße es annimmt, sollten wir vielleicht eine Sperrung des Watts für Besucher vornehmen", empfahl ich ihm.

„Wenn sie meinen", antwortete er grummelig. Anscheinend konnte er es wohl nicht vertragen, dass eine Frau gerade das Ruder übernahm.

„Würden sie freundlicherweise alles in die Wege leiten? Sie kennen sich hier ja schließlich am Besten aus." Ich war stehen geblieben und sah ihn wiederum an.

„Ja, gut. Mach ich."

„Stellen sie sich mal vor, so ein mutierter Wattwurm greift ein Kind an. Nicht auszudenken!" Ich machte ein übertrieben sorgenvolles Gesicht, was aber wohl Wirkung zeigte. Er blickte mich an und nickte.

„Sie haben ja recht. Wir müssen etwas tun. Aber vielleicht ohne eine Panik auszulösen."

„Dann sind wir uns einig. Wenn sie meine, unsere Unterstützung wünschen, hier sind meine Kontaktdaten." Ich schob ihm eine Visitenkarte in die Jackentasche. Dann trennten sich unsere Wege – fürs Erste.

Marcus und ich kamen wieder an unserem Ferienhaus an und ich zog es vor zuerst die Sandkrümel von mir zu entfernen und stieg unter die Dusche. Nach Granatapfel duftend mit einem Hauch von Lavendel in den Haaren und selbstverständlich angezogen schob ich meinen Körper wieder auf die Terrasse. Marcus hatte auch eine Dusche hinter sich und saß in schwarzen Bermuda-Shorts mit hautengem schwarzen T-Shirt am großen Tisch und googelte irgendetwas. Mir fiel erst jetzt auf, dass er sich in der letzten Zeit wohl nicht rasiert hatte. Der kernige Dreitagebart stand ihm ausgezeichnet und ich ertappte mich dabei ihn anzustarren, was nicht unbemerkt blieb. Scheel grinste er mich süffisant von der Seite an, sagte aber nichts, sondern blickte wieder auf sein Tablet. Diese Verhaltensweise regte mich doch ein bisschen auf.

„Wie sieht's aus mit Essen?", fragte ich ihn und setzte mich daneben.

„Auf watt hast du denn Appetit? Gegrillten Wattwurm XXL?", witzelte er,was ein Augenrollen meinerseits zur Folge hatte. Aus versehen landete meine Hand mit einem lauten Klatschen auf dem Schenkel des Schenkelbergs. Ich zog sie schnell wieder zurück und räusperte mich.

„Tut mir leid", entschuldigte ich mich für mein Verhalten.

„Dir muss gar nichts leid tun." Er sah mich beunruhigend eindringlich an. „Aber meine Frage hast du leider noch nicht beantwortet."

Ich seufzte. „Was zu essen wäre generell nicht schlecht. Welche Richtung wäre mir egal."

„Gut, dann entscheide ich. Wir werden heute essen gehen. Ab in die Strandoase. Aber so, nehme ich dich nicht mit." Ehe ich mich versah, wurde ich von meinem Stuhl hoch gerissen und in mein Schlafzimmer geschleift, wo wir vor dem Kleiderschrank halt machten. Er riss die Tür auf und suchte die Klamotten ab. Derweil nuschelte er sich in den Bart: „Ich weiß doch ganz genau, dass ich..." Ein Leuchten ereilte seine Augen. „Da haben wir es ja. Miss Candyfloss Arista Gia in Smaragdgrün." Er drehte sich zu mir um. „Bitte anziehen." Dieses Kleid war zum Verstecken von strammen Keulen und Bauchansatz wie geschafften, es hatte einen ab der Taille weit schwingenden Rock. Die Vorderseite des Oberteils war ziemlich unspektakulär, dafür hatte es einen dezent tiefen Ausschnitt hinten, der geradeso den Verschluss des BH's verdeckte. Die Farbe stand mir ausgezeichnet und harmonierte mit meiner Augenfarbe. Da meine Haare in alle Richtungen abstanden, musste ich mich auch noch um selbige kümmern. Ich zog einen Seitenscheitel und steckte meinen langen Pony in einem weichen Bogen über das Gesicht fallend hinter dem Ohr fest. Den Rest der langen Zusen klöppelte ich irgendwie nach oben. Ein wenig Makeup im Stil der Fifties rundete mein Outfit ab. Ich stieg die Treppe hinab und erblickte ihn, wie er telefonierend im Flur stand.

Marcus hatte sich auch umgezogen. Er trug eine lange Stoffhose mit passender Weste in einem Grünton, der mit dem meines Kleides harmonierte. Darunter ein weißes Hemd, dessen Ärmel er leger aufgekrempelt hatte, und eine passende schmale Krawatte, die er nicht sehr festgebunden hatte. Wenn man denkt, ich hätte mich mal langsam an seinen Anblick gewöhnt – Pustekuchen. Ich schluckte trocken und räusperte mich, erst jetzt drehte er sich zu mir um und ein Lächeln huschte ihm durch das Gesicht. „Siehst gut aus", sagte er.

„Selber." Schüchtern blickte ich zu Boden. Ich hatte es immer noch nicht gelernt mit Komplimenten umzugehen.

Mit seinem Zeigefinger drückte er mein Kinn nach oben. „Du hast keinen Grund dich zu schämen oder schüchtern zu sein." „Du weißt aber schon, dass es trotzdem so ist und ich mich manchmal mit meinem Format einfach nicht hübsch fühle." Er hielt einen Augenblick inne und sah mich interessiert an, als ob er überlegte, was er sagen sollte. „Big girl, you are beautiful", zitierte er einen Songtext von Mika. „Fat bottomed girls you mean the Rock n' Roll to me", fuhr er mit einem Zitat von Queen fort.

Ich lachte auf. Gerade jetzt war er so süß, so charmant. Das würde ich nicht ohne Herzensschaden überleben, vor allem, wenn ich es zuließ, dass mein Herz ihn mehr und mehr mochte und er dann gehen musste, vor mir und ohne Hoffnung ihn wiederzusehen. Er sah wohl die Traurigkeit in meinen Augen und zog mich an seine Brust. „Das Beste Mittel gegen Traurigkeit ist ein ordentliches Schnitzel und das holen wir uns jetzt."

„Ja, lass es uns tun!", versuchte ich mich mit fester Stimme selbst zu motivieren.

Er strich mir vorsichtig eines dieser fiesen Dinger von der Wange, die sich aus den Augenwinkeln stehlen, wenn man nicht aufpasst. „Du bist gut, so wie du bist. Vergiss das nie. Und bitte, vergiss nie, dass ich dich genauso mag, wie du bist. Es darf kein Gramm an dir fehlen, sonst wärest du nicht vollständig. Komm, wir gehen."

Wir verließen das Haus, schwangen uns auf die Fahrräder aus der Garage und als uns der Abendwind sanft um die Nase strich, nahm er die traurige Stimmung mit sich. Mann, was freute ich mich aufmein Schnitzel!

The Doctoress - Watt?! (8)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt