Kapitel 6: gestohlene Zeit

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Ich rannte. Mein Atem ging in Stößen, immer unregelmäßiger. Es war, als würde ich gejagt von ihnen. Ich spürte bildlich, wie sie ihre Arme nach mir ausstreckten und ihre Finger an mir vergriffen, doch mich nicht halten konnten. Würde ich nicht mehr so hetzten, würden sie mich packen, mich wieder wegsperren, mich wieder benutzen, mich quälen,foltern, mich zum morden zwingen, mich bestrafen, wenn ich scheiterte, mich demütigen und missbrauchen zu ihrem Vergnügen.Bild nach Bild, wie in einem alten Film zog an meinem inneren Auge vorbei und führte mir die vergangenen Jahrzehnte vor, die mich ummeinen Verstand, meine Lebensfreude, meine Freiheit und Gesundheit gebracht hatten. Meine Beine schrien und bettelten, dass ich aufhören sollte. Ich war völlig erschöpft gewesen nach diesem Tag.Eigentlich war ich das bereits, als ich in meiner Wohnung wieder zu mir gekommen war, doch auf der Arbeit musste ich das ausblenden und mich körperlich nun eh nicht so verausgaben, wie ich es jetzt gerade tat. Bei dem nächsten Schritt machte mein Bein bereits nicht mehr mit und ich stürzte. Bei meinem Tempo schürfte ich mir dazu noch Bein, Arm und Schulter auf, bevor es wirklich zum stehen kam. Eher lag ich, doch ich konnte keine Sekunde Ruhe bewahren und so verweilen, denn ich musste weiter! Als ich aufstand, sackte ich wieder zusammen und schluchzte. Mein Körper bebte und protestierte weiter zu machen. Viel schneller als ich es gewohnt war, konnte ich einfach nicht mehr. Hydra trieb mich regelmäßig an die Grenzen meiner Kräfte, doch das hier war seltsam. Ich hatte doch nichts getan. Meine Hand griff nach der Wunde. Sie war nicht offen, blutete nicht, doch tat sie noch immer weh und ich wusste nicht woher sie kam! ,,Ganz ruhig Bucky,, lag mir auf der Zunge, doch es kam nur ein Wimmern und die ersten Tränen nahmen ihren Lauf. So oft wie ich die letzten Tage dieses Wasser der Trauer frei gegeben hatte, hatte ich in meiner ganzen Hydra Zeit nicht. Unter ihnen durfte ich auch nicht.Nicht fühlen, nicht lachen, nicht schreien, nicht weinen. Das was mich damals beherrschte war Angst, aber das hier ist neu. Es ist Trauer, Frust... Was hier passierte, war nichts womit ich mich abfinden konnte. Ich war doch endlich frei und sollte das Leben haben, von dem ich immer träumte, nur fiel mir meine Welt auseinander! Steve war tot, jetzt kam alles von damals wieder hoch und ich hatte diese verkackte Wunde! Wenn es nicht Hydra war, woher sollte es sonst kommen. Für mein Umfeld war ich doch bloß ein gewöhnlicher Mensch, wie jeder andere. Meine Metallhand bekam noch niemand zu sehen, ich habe niemanden verletzt und ob ich nun mit anderen spreche, Freunde habe, oder oft draußen bin, steht mir doch nicht auf der Stirn geschrieben. . . Ich beruhigte meinen Atem langsam wieder und sah einfach nur auf den Boden, auf dem ich hockte.Ich hatte eindeutig ein Problem am Hals. ,,Ich muss hier weg... ,,murmelte ich. Ich hatte mich hier in Sicherheit wissen wollen.Rumänien! Wie konnten sie mich hier finden? Hatten sie mich geschnappt und ich bin geflohen? Es müsste ihre Schuld sein,immerhin erinnerte ich mich an nichts außer ... an Steve. Ja, Steve sah ich ganz eindeutig Aber das passte alles doch nicht. Drehte ich nun komplett durch? Jahre der Gefangenschaft haben ja einiges mit meinem Kopf gemacht, aber wie paranoid soll ich denn noch werden? Ich finde ja jetzt schon keinen Schlaf mehr, solange draußen ein seichter Wind weht. Ich musste mir wohl einfach eingestehen überfordert zu sein, aber ich war alleine ... Ich hätte in diesem Fall Steve suchen können. GOTT VERDAMMT! Alleine der Gedanke daran,dass ich meine Chance vertan hatte und ich ihn nie wieder sehen würde, ließ mich ausrasten. Es brannte in meiner Brust und nahm mir die Luft zum atmen. Völlig neben mir ging ich mir einmal durch die Haare und hob meinen Blick gen Himmel. ,,Steve ... ,, murmelte ich und kam mir bereits völlig dumm vor. Wie musste das bitte aussehen?Zwar war ich gerade alleine hier auf dem Bürgersteig gewesen und nur ab und an streifte ein Auto an mir vorbei, nur war das hier selbst für mich schon lächerlich. Es konnte mir auch egal sein eigentlich.In dieser Sekunde sehnte ich mich nach ihm so wie noch nie zuvor. ,,ich vermisse dich so sehr ... es tut mir so unendlich Leid was ich getan habe. Ich war einfach nicht ich selbst und selbst wenn ich dafür jetzt zu spät bin ... brauche ich einfach deine Hilfe. Das hier schafft ein Mensch nicht alleine! Sie sind hinter mir her. Ich weiß es ... Jahre lang haben sie mich trainiert. Wenn nicht ich dahinter komme, welche Spiele sie wieder mit mir treiben, wer dann?Bitte gib mir einfach Kraft das hier durchzustehen, egal wo du auch gerade sein magst, mein Freund,, sprach ich weiter, aber ... waren wir wirklich noch Freunde? Nachdem ich ihm sein Leben nahm? Nein,schämen sollte ich mich viel eher. Steve würde mich nach all dem verdammen. Die Hölle müsste er mir wünschen. Hydra würde er sich für mich wünschen. Ich wusste nicht, dass sich meine Frustration noch steigern konnte, doch sie tat es gerade und ich gestand mir ein,welches Debakel vor mir lag. Wie ein geschlagener Hund kehrte ich mit eingezogenem Schwanz zurück in mein nicht all zu trautes Heim. Der Weg erschien mir ewig lang. Ich war erschöpft und hätte nach Meinung meines Körpers auch gleich auf dem Asphalt schlafen können,doch wollte ich das wirklich riskieren auf offener Straße zu nächtigen? Was würden sie mich finden? Es wäre ihnen ein Leichtes mich zu verschleppen. Nein, ich musste zurück in meine Wohnung.Vielleicht wussten sie ja noch nicht genau wo ich hauste und selbst wenn, hätte ich Zuhause mehr Möglichkeit mich zu bewaffnen. An meiner Haustür angekommen schloss ich diese abwesend auf. Der Schlüssel in meiner Hand war bereits leicht verschwommen. Lange hätte ich mich eh nicht mehr wachhalten können. Die Erleichterung in einem scheinbar geschütztem Rahmen zu sein, war gering, doch man musste sich auch über die kleinen Dinge freuen. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und selbst dieses erwartete Geräusch erschreckte mich. ,,Reiß dich zusammen,, murrte ich mich selbst an und wurde bei der eigenartigen Atmosphäre im Raum gleich etwas wacher.,,Irgendetwas stimmt nicht,, sagte ich mir und schlich auf Samtpfoten über den Boden. Mein Blick musterte jedes Objekt im Zimmer missmutig, bis er an der Kommode hängen blieb. Es waren Flecken an der Kante. Angespannt blieb ich vor ihr stehen. Auf dem Boden waren Kratzer, als hätte man sie verschoben. Während ich in meinen Gedanken bereits einen Sprengsatz hinter dem Holz sah, rückte ich es wieder bei Seite und fand Blut vor. ,,Was zum?,, schreckte ich auf.Als ich hier einzog, war dies noch nicht vorhanden. Die plötzliche Wunde an meinem Körper, verschwindende Erinnerungen, Blut in meiner Wohnung? Wenn Hydra nichts hiermit zu tun hat, dann fresse ich einen Besen und wie aus dem Nichts erklang ein schwerer Schritt in meine Richtung, direkt hinter mir...

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