"Dad? Ist dir aufgefallen, dass du mich schon wieder in ein Internat abschiebst? Das geht jetzt schon mein ganzes Leben so! Du wohnst doch in Reykjavik, da gibt's auch Schulen, dafür muss ich nicht in die Pampa fahren!", protestiere ich ein weiteres Mal, während ich den Kopf an die Scheibe von Dads blauem Landrover gelehnt habe. Ich habe das Gefühl wir fahren im Kreis. "Quinn, das hatten wir schon mal! Schon tausend Mal!", seufzt mein Vater vor sich hin. Ja, ich muss gestehen wir haben das wirklich schon tausend mal durchgekaut. Und doch möchte ich nicht in diese "Sonderschule", wie Dad sie nennt. "Du stecktest mich in ein Heim für schwer erziehbare Kinder und erwartest, dass
ich brav dazu nicke?! Nicht dein Ernst oder?", versuche ich es nochmal. "Quinn! Jetzt reicht es! Es ist eine Sonderschule, kein Heim für schwer Erziehbare!", versucht er mich zu beruhigen. Hallo?! schon allein, dass er mich in ein Internat in den schottischen Highlands steckt, während er ein Jahr in Reykjavik arbeitet, sagt doch alles oder?! Ich stöpsle meine Kopfhörer ein und lasse lautstark TNT spielen. Der kann mich mal! Ich schliesse die Augen.
Als ich das nächste mal die Augen öffne, fahren wir an einem hohen, geschwungenem Eisenzaun vorbei. Dahinter erstreckt sich ein weites, parkähnliches Gelände mit zwei großen weiss getünchten Gebäuden in der Mitte. Eines muss man ihm lassen, in hässliche Schulen steckt er mich nie. "Sehr gut, du bist wach", meint mein Vater. "Ja, sind wir bald da?", frage ich ein wenig netter als vorhin. "Ja, da vorne ist schon das Eingangstor!" Er zeigt nach vorne. Genau vor dem Tor halten wir an und melden uns beim Pförtner an. Das kann ja super werden, wenn die hier sogar jemanden haben, der das Gelände bewacht.
Mein Dad fährt bis vor das linke weiße Gebäude wo uns schon ein älterer Herr im Frack erwartet. Ich stopfe meinen iPod in die Tasche meiner Jeans und steige aus. Mein Vater hieft meinen froschgrünen Koffer aus dem Kofferraum, während ich mir meine Sporttasche und meine Umhängetasche über die Schulter werfe, die beide ebenfalls Grün sind, und den Koffer mit meiner Klarinette in die Hand nehme. "Machs gut meine Kleine!", sagt mein Vater beim Abschied und setzt sich zurück ins Auto. Als er davon fährt, rufe ich so laut ich kann hinterher: "Wir sehen uns in 365 Tagen wieder!"
Als ich mich anschließend umdrehe und auf den Eingang zustapfe, setzt sich endlich der komische Mann in Bewegung, der bis jetzt wie eine Saltzsäule dastand. Er kommt die Treppe runter, nimmt meine Sporttasche und meinen Koffer und trägt sie wortlos die Treppe hoch. Ich stapfe missmutig hinterher.
In der Eingangshalle sieht es genau so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte: groß, museumsreif & steif. Überall stehen hohe Ohrensessel und antike Tischchen herum und von der Decke hängt ein versilberter Kronleuchter. Der Mann lädt mein Gepäck auf einen Wagen und dreht sich schließlich zu mir um. "Guten Tag, mein Name ist Mister White. Sie müssen Miss Quinn sein. Ich werde Ihr Gepäck aufs Zimmer bringen. Sie sollen sich nun zu Mrs. Thomson begeben, Sie muss ihnen etwas wichtiges Mitteilen. Es hat leider ein kleines Missverständnis gegeben. Miss Lorena wird Sie hinbringen." Als er seine Rede beendet hat, steht wie aus dem nichts ein Mädchen in meinem Alter vor mir. Sie ist größer als ich und trägt ihre blonden Haare in einem Hüftlangem Zopf. Freundlich hält sie mir ihre Hand entgegen. "Hi, ich bin Lorena! Und für heute deine Patin. Ich soll dir helfen alles zu finden und dir alles zu zeigen. Es hat leider wirklich ein kleines Missverständnis gegeben und deshalb müssen wir zur Direktorin in den Schultrackt. Folge mir bitte!" Kaum hat sie zuende gesprochen, läuft sie auch schon strammen Schrittes los. Ich muss ein Stück joggen, um sie wieder einzuholen. O Gott, die sind hier alle so steif und höflich. Igitt. Und was ist das für ein Missverständnis von dem alle reden? Vielleicht bin ich ja an der
falschen Schule und sie wollen mich gar nicht! Als ich Lorena danach frage, schweigt sie allerdings. Tja die werden es mir schon sagen.
Unser Weg führt uns durch lange Gänge, die mit Marmorplatten ausgelegt sind und an deren Wände Gemälde hängen, die alle sehr teuer aussehen. In so einer noblen Schule war ich doch noch nie, obwohl ich schon in 9 verschieden war. Obwohl ich erst 15 bin! Ob diese Lorena wohl meine Zimmergenossin ist? Hoffentlich ist sie nicht so eine Zicke wie meine letzten Zimmergenossinen! Die haben sich nur über Kleider und Schuhe unterhalten, ein Buch haben sie auch nie gelesen, sondern sich gegenseitig die Fingernägel lackiert. Schrecklich! An der letzten Schule war es allgemein schrecklich. Alle Mädchen waren Zicken und die Jungs wollten nicht mit mir reden, weil ich ein Mädchen bin. Alle, außer Linus haben mich verachtet oder ignoriert! Linus war mein bester Freund, bis er vor einem halben Jahr nach Frankreich zu seiner Mutter zog. Nun gehen wir wieder getrennte Wege. Er schreibt mir manchmal Briefe. Das letzte halbe Jahr war wirklich hart, so ganz ohne Freunde.