ɴᴇᴡ ɪᴅᴇɴᴛɪᴛʏ ᴀɴᴅ ᴛʜᴇ ʀᴇᴛᴜʀɴ ᴏғ ɴᴀᴘᴏʟᴇᴏɴ

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Die Augen der etwas älteren Frau verschossen Blitze, als ich mich wieder gefangen hatte und feststellte, dass ich es mit meinem Körperbau gar nicht so schlecht erwischt hatte, wie ich immer angenommen hatte.

Sie war ungefähr die Hälfte meiner Größe und das Doppelte meiner Breite.
Dazu trug sie ungünstigerweise eine weiße Schürze und ihre schwarz grauen Haare auf Schulterlänge. Wenn ich sie nicht gerade eben aus Versehen umgerannt hätte, sähe ihr leicht aufgeblähtes Gesicht bestimmt freundlicher aus.

„Bist du Jung Hoseok? Diese Aushilfskraft?", knurrte sie und schlug meine Hand weg mit der ich ihr aufhelfen wollte. Erschrocken vergrub ich sie wieder in meiner Jackentasche und biss ein weiteres Mal zögerlich von meinem Apfel ab.
Wenn man die älteren Leute schon in Ehren halten sollte, konnten sie sich ja wenigstens darum bemühen etwas netter zu sein. Schwachen Charakteren wie mir, machten sie damit einfach nur Angst.

„Glotz nicht so! Ein einfaches Ja reicht", fuhr sie in gleichem Tonfall fort, nachdem sie wieder auf zwei Beinen stand, sich den Mantel zurecht zupfte und die Hände in die Hüften stemmte.
Hinter ihr wurden gerade allerlei Kisten mit Lebensmitteln auf das Kreuzfahrtschiff verfrachtet, das im Hafen lag.

Wer auch immer Jung Hoseok oder diese Frau war, die ich gerade in Gedanken versunken übersehen und umgerannt hatte; sie konnte mich auf dieses Schiff bringen, ohne dass ich gleich als Schwarzfahrer angesehen wurde.

Vielleicht war das ein Entschuldigungsversuch meines Glücks.
Besser wäre es zumindest.

„Ja... ja, ich bin... Hoseok, Miss", brachte ich lächelnd hervor und legte eine Hand an die Träger meines Rucksacks, während die alte Dame mich noch ein letztes Mal von oben bis unten begutachtete, dabei länger an meinem Gesicht hängen blieb und skeptisch eine Augenbraue hochzog.
Ich wusste genau, was sie dachte.

„Du siehst aus, als würdest du seit zwei Wochen auf der Straße leben."
Sechs Stunden. Warum begreift das niemand?
„Aber dein Cousin meinte am Telefon auch so schon, dass du etwas eingeschränkt bist, was manche Bereiche angeht. Mit nem Glasauge hätte ich jetzt allerdings nicht gerechnet."

Die Worte kamen ihr über die Lippen, wie, wenn ich meinen Eltern früher von der Schule erzählt hatte.
Komplett gleichgültig, beinahe gelangweilt.
Als würde sie solche Fälle jeden Tag hier haben.
Irgendwie fühlte es sich seltsam an.

„Ja, ich... also...", versuchte ich irgendetwas zu erwidern, doch da hatte sie schon mit den Augen gerollt und mich am Ärmel gepackt. Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig die Überreste meines angefangenen Apfels in eine der Mülleimer zu entsorgen, die an den Straßenrändern standen in der Hoffnung die Menschen würden sie benutzen.

„Du wirst in der Küche aushelfen, Essen servieren, Betten neu beziehen, Klos putzen und jedem Passagier helfen, der so aussieht, als bräuchte er Hilfe. Den Lohn, hab ich mit deinem Cousin vereinbart. Kriegst du, wenn wir wieder lebend von diesem Kutter runtergekommen sind und du nicht verreckt bist. Das ist ein Knochenjob und du wirst ihn hassen, Kleiner. Damit das mal klar ist."

Als sie mich Kleiner genannt hatte, war sie kurz stehen geblieben und hatte den Kopf in den Nacken gelegt, um zu mir hochsehen zu können.
Warnend, als befürchtete sie, ich könnte darauf etwas erwidern, was nicht in ihren Kram passte.

Irgendwie mochte ich diese Frau. Endlich mal jemand, der mich nicht wie ein rohes Ei behandelte.
Auch wenn ich nach den Aussichten, die mir hier blieben, nur noch halb so wenig Motivation hatte, ein bisschen über fremde Gewässer zu schippern.

„Dein Zimmer ist auf dem selben Deck, wie die Küche. Nummer Vierzehn. Du gehörst zum Personal und potenziell sind alle Menschen, denen du hier begegnest reiche, verwöhnte Arschlöcher, die dich hassen, weil du ihnen schwarze Schokolade auf ihr Kopfkissen gelegt hast, anstatt Weiße."
Sie hörte sich an, als wüsste sie, wovon sie sprach.
Und ich hörte meine Gedanken nur rattern, um dem Ganzen hinterher zu kommen.

El Dorado  ⇢ Yoonmin [pausiert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt