4|| EIS UND MONSTER

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[If we have each other - Alec Benjamin]

Amanda

»Wir sollten vielleicht doch noch mal auf den Teppichklopfer zurückkommen«, murmle ich Kilian zu, der knurrend neben mir sitzt und in Dauerschleife Miss Merlins Fragen beantwortet.
In seinen Augen blitzt es dunkel und ich weiß, dass er kurz davor ist, seine Haltung zu verlieren.
Es ist Freitag und nach zwei Stunden Englisch sitzen wir nun wieder gemeinsam in der ersten Reihe des Geschichtsraums und lassen uns ohne Namensnennung Fragen stellen.
Ich merke, wie auch mir langsam der Geduldsfaden reißt, denn Miss Merlin verhält sich heute wieder einmal besonders respektlos und verhasst.

Mit erhobener Nase sieht sie auf Kilian und mich herab, als seien wir kleine Vierjährige, die nicht wissen, wer Adolf Hitler war, und stellt uns nach jeder korrekten Antwort sofort wieder eine neue Frage.

»Wann wurde Hitler geboren?«
»Wann starb er?«
»Wann wurde er Reichskanzler?«
»Was zeichnete ihn aus?«

Mein Kopf ist gefüllt mit Beleidigungen, die ich am liebsten hinausschreien würde, aber dann wäre ich sicher suspendiert und das kann ich mir nicht leisten. Kilian geht es nicht anders. Seit er vor drei Wochen mitten in der Geschichtsstunde eingeschlafen ist und deshalb nicht mehr in der Lage war, Miss Merlin eine Antwort auf ihre viel zu einfachen Fragen zu geben, setzt sie ihn unter noch mehr Druck. Dabei ist uns allen klar, dass er aus Langeweile eingeschlafen ist, weil ihn in Geschichte nichts mehr herausfordert.

»Miss Vine?«
»1933«
Dabei habe ich die Frage nicht einmal gehört.

Die Art und Weise wie Miss Merlin meinen Namen ausspricht und mich dabei so herausfordernd und hasserfüllt ansieht, kotzt mich an und wieder und wieder kribbelt es in meiner Faust.
Ich bin schon seit langer Zeit in der Versuchung auf etwas einzuschlagen und je öfter ich in diesen dreckigen Geschichtsstunden sitze, desto stärker juckt es mich.

»Richtig, aber das nächste Mal können Sie mich auch ansehen, wenn ich mit Ihnen rede.«
»Über meine Leiche«, brumme ich leise ins Klingeln hinein und stehe gemeinsam mit Kilian auf, um den Raum sofort zu verlassen.
Ich brauche jetzt Kaffee – schwarz – und meinem besten Freund scheint es ähnlich zu gehen.

***

»Ich bin wieder da!«, rufe ich ins Haus und schmeiße meine Converse in den Flur, bevor ich rechts in die Küche abbiege und meiner Mutter in die Arme falle.

»Das Eis steht auf dem Tisch, Baby, und die Streusel findest du über'm Kühlschrank«, flüstert sie mir ins Ohr und streichelt meinen Rücken auf und ab, bis ich mich von ihr löse.

Eis und Streusel sind genau das, was ich nach einer Geschichtsstunde gebrauchen kann und weil ich auch Mum von Miss Merlin, dem Monster, erzählt habe, sorgt sie jeden Freitag dafür, dass genau diese beiden Dinge auf Vorrat vorhanden sind.

Glücklich grinsend schmeiße ich mich auf die Küchenbank und greife nach dem großen Esslöffel, der neben dem gekühlten Amarena-Kirsch-Eis liegt. Die Mühe, nach einer Schüssel zu greifen und das Eis aus dem großen Litereimer umzufüllen, mache ich mir gar nicht erst und so esse ich direkt aus der Verpackung.

Dass Leo kurze Zeit später in die Küche stürmt und sauer ist, weil Mum ihr verbietet Eis zu essen und stattdessen einen brühenden Teller Gemüsesuppe für sie füllt, bekomme ich aus lauter Frust gar nicht mehr mit.

»Aber, Mum! Motti muss auch Rosenkohl essen!«
Ich sehe gelangweilt von meinem Eis auf und über den Tisch hinweg in das runde Gesicht meiner vierjährigen Schwester. Ihre braunen Haare beginnen sich langsam in den Ansätzen zu locken und genau wie ich, bekommt auch sie um die Nase herum kleine Sommersprossen.
Mit geschlossenen Lippen ist sie ein kleiner Engel, aber im Wesentlichen wohl doch eher der Teufel persönlich.

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