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Geschockt starrte Yoongi die Krähe an, die sich bei ihm auf der Schulter niedergelassen hatte. Aus Gründen die er selbst nicht kannte, wehrte er sich nicht dagegen. Es schien ihm irgendwie viel zu selbstverständlich, dass das schwarze Tier ihn als Sitzgelegenheit missbrauchte.

"A... aber wie...", stammelte er. Die Krähe gab ein Geräusch von sich, das sich wie ein Seufzen anhörte.

"Gehen wir ein paar Schritte zur Seite. Da können wir uns dann ungestört unterhalten.", krächzte sie dann leise.

Etwas enttäuscht sah Yoongi zurück zum Feuer. Er hätte gerne länger dem falschen Barkeeper zugesehen. Er zog ihn förmlich an, wie...

"Keine Sorge. Du kannst ihn danach weiter beobachten. Sogar von noch näher...", krächzte es belustigt an seinem Ohr.

Überrascht sah der junge Mann nach links, doch da hatte sich schon die Krähe in die Luft erhoben.

"Folg mir!", forderte sie ihn auf und flog ein Stück in den Wald hinein. Mit einem letzten Blick zum Feuer und somit auch zum Krähenkönig, erhob er sich dann doch und folgte der Krähe wieder in den schwarzen Wald hinein.

Nicht weit von dem Feuer ließ sich die Krähe auf eine alte Eiche nieder, auf deren Ast ein weiterer schwarzer Vogel saß. Verwirrt blieb Yoongi vor den zwei stehen. Der ganze Tag ergab schon keinen Sinn, was genau war der Grund, dass jetzt er hier mit nur zwei Krähen stand und...

"Zeig uns mal dein Gesicht!", forderte plötzlich die zweite Krähe ihn auf und zuckte auffordernd mit ihrem Schnabel.

Zuerst zuckte er erschrocken zurück, tat dann aber wie ihm geheißen. Kurz war es still, bevor die zwei Schwarzgefiederten anerkennend nickten.

"Das erklärt wahrscheinlich wirklich sein Verhalten.", krächzte die erste nachdenklich. Die andere nickte nur bestätigend.

"Kann mir mal jemand erklären, was hier überhaut los ist?", fragte Yoongi verzweifelt.

So langsam verzweifelte er an der Situation. Er wurde von dem schönsten Menschen, dem er je begegnen durfte, entführt, dieser war allerdings gleichzeitig offenbar der Krähenkönig, der in gewisser Weise für die Situation in der Stadt verantwortlich war und jetzt stand er mitten in der Nacht im Wald und sprach mit zwei Krähen?! Er wusste, dass schon so einiges in seinem Leben schief gelaufen ist, aber das übertraf nun alles bei Weitem.

"Na gut.  Wenn das mein Bruder nicht gemacht hat, erkläre ich es dir eben.", seufzte die zweite Krähe.

"Um uns kurz davor vorzustellen: Ich bin Munin und das neben mir ist mein Bruder Hugin. Wir zwei sind die zwei direkten Untergebenen des Königs.", stellte er sich und die erste Krähe vor. Unsicher nickte der junge Mann vor ihnen.

Doch unbeeindruckt fuhr Munin fort. "Du hast bestimmt schon erkannt, dass Jimin kein Barkeeper ist, sondern deutlich mehr."

Zögerlich nickte der Mensch.

"Er ist der König über die Krähen, herrscht über diese und ernährt sich aus diesem Grund nicht wie ein Mensch. Entweder trinkt er Blut, oder frisst die Seelen der Menschen." Wieder nickte der Mensch. Soweit deckten sich die Aussagen von Munin und von Jimin selbst.

"Das Verhalten der Krähen muss ich wohl nicht näher erklären. Wenn sie merken, dass ihr Herrscher in der Nähe ist, rasten sie ähnlich aus, wie irgendwelche Teenys, die ihrem Idol nahe sein wollen. In dieser Hinsicht unterscheiden sich Mensch und Tier so überhaupt nicht.", krächzte Munin etwas belustigt.

"Jedenfalls. Das Verhalten von unserem König ist dagegen etwas... anders dieses Mal. Er hat sich diese Bar organisiert und ist über diese mal selbst auf Beutefang gezogen. Soweit ich weiß, hatte er dir ja schon gesagt, dass der Hunger des Königs unendlich ist." Erneut nickt Yoongi.

"Er war sogar schon erfolgreich und hatte sich nicht nur an einem seiner Gäste bedient, aber du bist etwas Besonderes, Min Yoongi." Verwirrt sah der Angesprochene den schwarzen Vogel an.

"Warum das denn?", fragte er irritiert. Die Tatsache. dass der Vogel seinen Namen kannte, verwirrte ihn nicht einmal mehr.

"Du lebst noch.", mischte sich Hugin auch ein. "Du bist der Erste der im Wald wieder aufwacht. Die anderen waren noch vor Ort tot.", erklärte er trocken.

Yoongi schluckte. Mit so einer Antwort hatte er nicht gerechnet gehabt. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er gemeint, dass die zwei Vögel vor ihm zu grinsen begannen.

"Du bist interessant für ihn.", begann Hugin amüsiert.

"Hast du ihn irgendwann richtig angesehen?", hakte Munin nach.

Yoongi überlegte kurz und nickte dann. "Ja... Hab ich... denke ich..."

Die zwei Vögel warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu. Dann drehten sie sich dem Menschen wieder zu.

"Er hat dich nicht getötet, weil du ihm wohl... attraktiv warst.", krächzte Hugin belustigt. Jetzt war sich Yoongi ziemlich sicher, dass er sich das Grinsen nicht nur einbildete.

Überfordert spürte er wie das Blut in seine Wangen schoss. "Wa... was?", seine Stimme zitterte.

"Was sagst du denn zu unserem schönen König?", hakte Munin frech nach. Sofern das noch möglich war, wurde ihm noch heißer.

"Ich... ich...", sein beschämtes Verhalten, entlockten den zwei Vögeln ein krächzendes Lachen. Beschämt senkte der Mensch den Kopf.

"Als ob irgendjemand mich attraktiv finden würde. Ich bin ein Nichts. Ein Niemand der nicht einmal in seinem verdammten Leben Glück hatte. Warum also, sollte mich so ein edles Wesen wie euer König mich auch nur ansatzweise beachten.", flüsterte er verbittert.

Sofort verstummte das Lachen der zwei Krähenbrüder und sie sahen den Menschen vor sich an. Für einen Moment war es still und man hörte nur das Krächzen der anderen Krähen vom Feuer. Dann löste sich Munin von seinem Ast auf dem er saß und flatterte auf Yoongis rechte Schulter.

"Es tut uns leid, was du alles durchmachen musstest. Aber wenn du wirklich so leidest, werden wir dir helfen. Ich verspreche dir, dass dein bisheriges Leben heute Nacht enden wird! Dafür musst du nur dem König unter die Augen treten. Allerdings nicht so, wie du jetzt aussiehst. Unsere Schwestern werden dich herausputzen, dass du ihm würdig unter die Augen treten kannst. Und dann wird dein bisheriges Leben ein Ende nehmen."

Hoffnungsvoll sah Yoongi ihn an. "Wirklich?"

Die Krähe nickte. "Das versprech ich dir. Aber jetzt müssen wir erst zu unseren Schwestern. Folg uns einfach!"

Damit erhob er sich gefolgt von seinem Bruder in die Luft und führte den Menschen weiter durch den Wald.

"Bist du sicher, dass du dieses Versprechen halten kannst?", krächzte Hugin leise.

Munin nickte vorsichtig. "Das bin ich. Entweder nimmt der König ihn an, oder sein Leben endet endgültig. So oder so, sein altes Leben endet heute Nacht..."

KrayenzeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt