Ich soll was tun?

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"Ich soll was tun?" frage ich meine Mutter am nächsten Morgen entgeistert, als wir beide allein beim Frühstück sitzen. "Bitte lass es mich nicht noch einmal wiederholen." erwidert sie sanft und sieht mich aus ihren traurigen Augen an. Seit der Dunkle Lord zurückgekehrt ist und unserer Manor mehr oder weniger übernommen hat, sieht sie von Tag zu Tag immer müder aus. Als würde man sämtliche Stärke und Lebensenergie aus ihr heraussaugen. "Aber ich kann doch niemanden Foltern!" stelle ich energisch fest und sie seufzt. Jemanden für den dunklen Lord auszuspionieren, abzuholen oder gar Mal jemanden verschwinden zu lassen, war das eine. Doch jemandem von Angesicht zu Angesicht gegenüber zutreten, war dann doch eine andere. Das hatte mir mein vermasselter Auftrag mit Dumbledore letztes Jahr bewiesen, ich war schwach gewesen, zu schwach ihn zu töten, denn irgendwas in den Augen des alten Mannes hatte mich zurückgehalten.

"Bitte Draco." ist alles was meine Mutter sagt, während sie ihre kühlen Finger sanft um meine schließt. "Wenn du den Jungen nicht folterst, dann wird der dunkle Lord uns alle leiden lassen." fährt sie fort und ich nicke mechanisch, als würde er uns nicht schon genug leiden lassen.

Trotzdem mache ich mich mit den Worten meiner Mutter im Ohr auf den Weg in den Keller. Die Tür fällt mit einem leisen Knall hinter mir ins Schloss und ich sehe zu dem verängstigten Jungen hinüber. Tiefdurchatmend ziehe ich meinen Zauberstab und richte ihn auf den Jungen. "Es wird schnell vorbei sein, ich verspreche es." murmle ich leise und stelle über mich selbst erstaunt fest, dass meiner Stimme mittlerweile sämtliche Arroganz fehlt.

Doch als ich in die großen braunen Augen meines Gegenübers gucke, zittert der Zauberstab in meiner Hand und ich lasse ihn wieder sinken, nur um ihn wieder zu heben. Doch ich bringe es nicht übers Herz und sinke gegen die Innenseite der Kellertür nieder. "Ich kann das nicht." murmle ich leise und fahre mir mit der Hand durch die hellen blonden Haare, die ich von meinem Vater geerbt habe. "Aber ich muss es tun, sonst wird uns der Dunkle Lord beide töten." fahre ich nervös fort.

Leise Schritte tappen über den kalten Steinboden und ich sehe auf, nur um zu sehen, wie sich der Junge neben mir zu Boden gleiten lässt. "Dann tu es." murmelt er und legt den Kopf schief. "Ich kann das nicht..." erwidere ich und er lacht. "In den sechs Jahren die ich in Hogwarts zur Schule gehe, habe ich noch nie gesehen, dass du den Schwanz einziehst. Jetzt benimmst du dich gerade wie ein Wiesel." sagt er und lacht. Erst starre ich ihn entgeistert an und dann lache ich auch. "Nein, du musst es wirklich tun, sonst werden wir beide nicht überleben und ich würde schon gerne wieder aus diesem Loch rauskommen." meint er plötzlich ernst und ich nicke unsicher. "Okay." murmle ich und erhebe mich, während ich meinen Zauberstab hebe.

Er legt den Kopf schief, ein spöttisches Lächeln auf den blassen Lippen, dass ich ihm vor wenigen Jahren noch von denselben geschlagen hätte. Innerlich lache ich über mich, hier stehe ich und der Zauberstab zittert in meiner Hand, nur weil ich doch in den letzten Monaten sowas wie ein Gewissen gefunden habe, aber warum fällt es mir gerade jetzt so schwer. "Tu es." murmelt er und beiße mir auf die Lippen, bis ich den eisenhaltigen Geschmack meines Bluts im Mund habe.

Dann hole ich in einer peitschenden Bewegung aus und murmle 'Sectumsempra'. Gerade noch rechtzeitig, als meine Tante mit einem lauten Knall die Tür auffliegen lässt und schrill lacht. "Super Draco." ruft sie freudig und deutet auf den sich windenden Jungen am Boden, an dessen Körper überall Schnittwunden erscheinen. "Heil ihn und komm dann hoch, morgen könntest du ja Mal was stärkeres ausprobieren." keift sie mit schriller Stimme, bevor sie mit fliegender Tür aus dem Raum läuft und ich mich sofort neben den Jungen knie, um ihn zu heilen.

"Die Tusse verpasst einem echte Kopfschmerzen." murmelt der Junge und fährt sich durch die kurzen braunen Haare. "Ja, aber geht es dir sonst gut?" frage ich und lege ihm eine Hand auf den Arm. "Ja, alles gut. Mir ist nur etwas kalt." flüstert er müde und rollt sich gegen die Wand gelehnt zusammen. "Schon okay ruh dich etwas aus." erwidere ich, bevor ich aufstehe und aus dem Raum stolpere.

Glücklicherweise schaffe ich es unbemerkt bis in mein Zimmer. Auf nichts hätte ich gerade weniger Lust, als auf ein Gespräch mit meinem Vater oder gar meiner durchgeknallten Tante. Seufzend lasse ich mich rücklings auf mein Himmelbett fallen und reibe mir die Stirn. Warum war das mit einem Mal so kompliziert?

Ein leises Klicken an der Scheibe lässt mich aufschrecken und ich setze mich auf. Eine Eule sitzt auf dem verschneiten Sims und ich stehe auf, um den Brief an ihrem Bein abzunehmen und ihr ein paar Eulenkekse zu geben, bevor sie sich auf den Rückflug zu meiner Freundin Hannah macht, die vermutlich grade mit ihrer Familie beisammensitzt und heile Welt spielt. Heile Welt spielen, Dinge die unsere beiden Familien sehr gut können, allerdings ist ihre Familie nicht ganz so kaputt, wie ich es meiner Zuschreiben würde. Doch was kann ich schon tun?

Ich öffne den Briefe und überfliege die paar Zeilen, sie wünscht mir 'Frohe Weihnachten' und erzählt, dass die Carrows jagt auf Blutverräter und Muggelstämmige machen. Ihrer Wortwahl im Schreiben kann ich entnehmen, dass auch ihr langsam die Zweifel kommen, was unsere Handlungen angehen. Ich kann mich noch an den Tag erinnern, an dem wir uns Stolz unsere Dunklen Male gezeigt haben, aber die Dinge haben sich seit dem geändert. In Friedenszeiten kann man leicht Überheblich werden, vor allem wenn man in solch privilegierten Elternhäusern wie den unsrigen aufwächst. Was allerdings nicht entschuldigt, dass wir nie unseren eigenen Kopf zum Denken angestrengt haben und niemals hinterfragt haben, was das was wir tun für andere bedeutet.

Seufzend nehme ich meinen dunkelgrünen Federkiel zur Hand, der vermutlich mehr gekostet hat, als ein einfach Angestellter des Ministeriums in einem Jahr verdient. Ich schüttle energisch meinen Kopf, um meine Gedanken zu sortieren, was allerdings nur in noch stärkeren Kopfschmerzen resultieret, die ich aber ignoriere, da ich meine Antwort schreiben will, denn wenn jemand Rat weiß, dann Hannah. Also schreibe ich ihr alles von meinen Zweifeln, über meine Machtlosigkeit, bis zu dem Jungen in unserem Keller. Luna Lovegood erwähne ich nicht, je weniger sie weiß, desto sicherer ist sie.

Nachdem ich den Brief abgeschickt habe, lege ich mich auf mein Bett und hoffe, dass mich die erlösende Dunkelheit des Schlafes von den Wirren in meinem Kopf befreit, wenn auch nur für ein paar Stunden.

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