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Beautiful Creature - T W O

Harry rutschte an der cremefarbenen Wand hinunter, bis er den kalten, harten Boden unter sich spürte. Er zog seine Knie an die Brust und bettete seinen Kopf darauf. Für lange Zeit saß er nur da, unwissend was er tun sollte. Er konnte sicherlich nicht so zur Schule gehen. Das war keine Möglichkeit.

Vielleicht ließen sich die schwarzen Male ja wirklich abwaschen. Harry stand auf und eilte ins Badezimmer.

Sein Bad war extravaganter als das anderer Jugendlicher. Es gab einen Leuchter - ja, einen Leuchter - der den mittelgroßen Raum erhellte. Der Boden war mit schönen, blauen Fliesen bedeckt und die Dusche hatte einige ausgefallene Funktionen, so dass das Wasser wie Regen fließen konnte. Harry liebte es, von seiner Mutter verwöhnt zu werden.

Er drehte heißes Wasser auf und wartete bis es warm wurde. Während sich das Wasser aufwärmte, zog Harry sich aus. Er seufzte als der warme Dampf ihn umgab. Dann stieg er in die Dusche, in das prasselnde, heiße Wasser.

Harry schrubbte über seine Arme im Versuch, die Male abzuwaschen. Er rieb so stark, dass seine Haut fast riss. Er konnte sehen, wie seine Arme sich verfärbten, aber die Tinte ließ sich nicht entfernen. Harry entschloss das Rosentattoo auf seinem Handgelenk zu waschen. Es war ein bisschen - nein, es war viel zu weiblich für ihn.

Er rieb Shampoo auf sein Handgelenk und wusch es so lange, bis sich die Haut lösen zu drohte. Nichts funktionierte. Harry stoppte seine Versuche und fluchte leise. Was sollte er nur tun?

Er trat aus der Dusche und zog sich wieder an. Harry ging zum Spiegel und starrte auf die große, rote Narbe und das schwarze Tattoo in seinem Gesicht. Es wiederte ihn an, sich selbst so zu sehen.

Er lehnte sich an das Waschbecken und ließ Wasser in seine Hände laufen. Er spritzte das Wasser in sein Gesicht und verwendete sogar Seife bei dem Versuch, die Male zu entfernen. Wieder half nichts und Harry began seine Hoffnung zu verlieren.

Seine Augen waren hellrot und er vermisste seine Grünen. Was sollte er tun? Er konnte auf gar keinen Fall so in die Öffentlichkeit gehen. Er schaute kurz auf seine Uhr und bemerkte, dass es schon fast Zeit für ihn war, in die Schule zu gehen.

Er ging zurück in sein gemütliches Schlafzimmer und brach auf seinem Bett zusammen. Es gab keine Chance, dass er so zur Schule gehen konnte. Harry überlegte, ob er das Make-Up seiner Mutter zum Überdecken verwenden sollte, verwarf diese Idee aber gleich wieder, da das Make-Up am Ende des Tages sowieso verblassen würde.

Ein Klopfen unterbrach Harrys Gedanken. Sein Herz schlug schnell und er zog seine Decke über den Körper und das Gesicht. Wer auch immer an der Tür war, egal ob ein Butler oder seine Mutter, niemand durfte ihn so sehen.

Die Person kam in den Raum, ohne auf eine Erlaubnis zu warten. Durch die lauten, klackernden Schritte wurde Harry bewusst, dass es tatsächlich seine Mutter war. Er stöhnte und blieb unter der Decke liegen.

Harry konnte spüren, wie sich seine Mutter Anne neben ihn auf das Bett setzte. Sie schüttelte ihn leicht an der Schulter.

"Es ist Zeit für die Schule. Bist du fertig? Cecilia kann dich hinfahren.", sagte Anne.

"Nein, ich bin krank.", erwiderte Harry. Er hustete und versuchte seiner Stimme einen heiseren Klang zu geben.

"Ich kaufe dir das nicht ab, Harry. Jetzt steh endlich auf!", befahl sie.

Harry schluckte. "Ich kann nicht."

"Warum nicht?"

"Weil... weil ich einfach nicht kann.", knurrte Harry.

Anne verdrehte die Augen und zog leicht an seiner Decke, da sie wissen wollte, was los war. Harry schluckte stark und drehte sich auf den Bauch, als Anne die Decke ruckartig wegzerrte. Er war froh, dass sein T-Shirt die Narben verdeckte.

"Bitte darf ich heute zuhause bleiben. Ich fühle mich nicht wohl.", bat Harry, den Kopf im Kissen vergraben. Seine Worte wurden durch den Stoff gedämpft, aber Anne verstand ihren Sohn.

"Auf keinen Fall. Und jetzt steh auf, Mister.", sagte sie finster. Sie packte Harrys Schulter und drehte ihn um, so dass er auf dem Rücken lag. Anne atmete scharf ein, stand vom Bett auf und ging vor Schock einen Schritt zurück. Sie bedeckte ihren Mund mit der Hand und starrte ihren Sohn an.

"Was ist mit dir passiert?", fragte sie. Anne bemerkte die verschiedenen Male, Verbrennungen und Narben, überall auf seine Armen, Beinen und im Gesicht. Sie fragte sich, ob da noch mehr Makel unter seinem Gewand waren.

Harry fühlte Tränen aufsteigen. "Mum, bitte - "

"Was, in aller Welt ist mit dir passiert? Antworte mir, verdammt nochmal!", befahl sie.

Harry began zu weinen. Er starrte zu seiner Mutter hinauf, die so angewiedert von seiner neuen Erscheinung war und er fühlte die Tränen über seine Wangen laufen.

"Antworte mir, Harry!"

Harry schüttelte den Kopf. "I-Ich weiß nicht, was geschehen ist! Ich bin so aufgewacht!", erklärte er. Annes Augen glitten über seinen Körper.

"Komm mit", sagte sie und schnappte seine Hand.

"Wohin gehen wir?"

"Komm einfach mit, Harry!" Harry beschloss keine Fragen mehr zu stellen und folgte seiner Mutter durch das abnormal große Haus. Sie forderte ihn auf, einen Kapuzenpulli anzuziehen, in der Hoffnung, dass er Harrys Gesicht abschirmen würde. Harry tat, was ihm gesagt wurde.

Danach folgte er seiner Mutter ins Auto. Sie gab Gas und fuhr in Richtung Stadt. Harry lehnte seinen Kopf gegen das Fenster und sah dem Regen beim Fallen zu, bis er lauter Pfützen in der Straße bildete. Die graue Wolken passte perfekt zu seiner Stimmung.

"Wohin fahren wir?", fragte Harry plötzlich. Annes Griff um das Lenkrad verkrampfte sich und sie vermied Augenkotakt mit ihrem einzigen Kind.

"Wir fahren zu einem Arzt."

-

"Was meinen Sie mit, da gibt es nichts, was wir tun können?", fragte Anne, Antworten fordernd.

Harrys Arzt schaute ihn an. Er fokussierte seinen Blick auf die Tattoos auf Harrys Brust und Armen, und auf die Brandwunden und Narben in seinem Gesicht. Er nahm eine kleine Taschenlampe und besah sich die Vergrößerungen von Harrys rubinroten Augen. Dr Ralph war seit dreißig Jahren Arzt und hatte noch nie etwas vergleichbares gesehen.

"Diese Male werden bleiben. Tattooentfernung wäre eine Möglichkeit, aber das ist sehr schmerzvoll und es sind zu viele, um sie auf einmal zu entfernen... das würde Monate, vielleicht sogar Jahre brauchen. Und die Augen, farbige Kontaktlinsen sind das Einzige, das hilft. Es tut mir Leid. Es gibt nichts, was wir tun könnten.", seufzte er.

Anne sagte nichts mehr und stürmte aus der Praxis hinaus. Harry grollte, zog sein T-Shirt wieder an und folgte ihr. Er ging hinter ihr her zum Parkplatz. Ohne auf ihren Sohn zu schauen, sagte Anne: "Steig ins Auto."

Harry stieg ein. Anne startete den Motor und fuhr vom Parkplatz, Bremsspuren hinterlassend. Als sie auf die Autobahn fuhren, drehte sich Harry zu seiner Mutter.

"Wohin fahren wir jetzt?", fragte er sanft. Der wilde Blick seiner Mutter sagte Bleib-weg-ich-bin-sauer und Harry erschrak, sie so zu sehen.

"Ich habe eine letzte Idee.", flüsterte sie. Harry entschloss sich, keine Fragen mehr zu stellen und sank in seinem Sitz zurück. Er schlief gegen das Autofenster gelehnt ein und hoffte, dass, wenn er aufwachte, alles nur ein Traum sein würde.

Unglücklicherweise war das nicht geschehen.

Beautiful Creature (Larry)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt