16.

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Chat Noir bewegt seine Lippen mit meinen. Als würde er Sorgen um eine Zurückweisung meinerseits haben, sind seine Bewegungen leicht und zärtlich. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und ich habe das Gefühl in ein paar Sekunden wegzusacken, weil meine Beine mich nicht länger tragen können. Unweigerlich knicke ich tatsächlich leicht zur Seite, doch die Reaktion des Superhelden ist blitzschnell und er umfasst mit seinem linken Arm meine Taille. Dadurch drückt er mich noch ein Stück fester an seinen Körper, ehe er sich - sehr zu meiner Enttäuschung - aus unserem letzten Kuss löst. Sein Gesicht entfernt sich nur Millimeter von meinem. Wir sehen uns beide fest in die Augen und ich weiß noch immer nicht, wo mir der Kopf steht.
Ist das hier gerade tatsächlich passiert oder träume ich etwa?
Plötzlich verziehen sich Chat Noirs Gesichtszüge zu einer viel mehr traurigen als erleichterten Miene. Sehr zu meiner Verwunderung, denn ich fühle mich als sei mir ein Stein vom Herz gefallen. "Ist ... alles in Ordnung?", frage ich vorsichtig.
Er hält mich noch immer fest, ehe er seinen Griff allmählich lockert und mich wieder frei gibt. Die Benommenheit, die ich vor wenigen Sekunden noch gespürt habe, weicht nunmehr Besorgnis. Sein Blick haftet weiterhin auf mir, doch er antwortet nicht auf meine Frage. Stattdessen schüttelt er kaum merklich mit dem Kopf und schließt seine Augen, woraufhin ein angestrengtes Seufzen folgt.
"Ich schätze das heißt dann wohl, dass nicht alles in Ordnung ist ..." Meine Stimme klingt deutlich betrübter, als ich sie eigentlich wirken lassen wollte. Dabei bin ich mir nichtmal zu hundert Prozent im Klaren darüber, weshalb meine Stimmung nun derart schlechter geworden ist. Jedoch weiß ich, dass dieser Augenblick vorhin sich ganz besonders angefühlt hat.
"[Dein Name] ...", beginnt er zu antworten, "ich weiß überhaupt nicht, was ich sagen soll. Eigentlich sollte alles in Ordnung sein, ja. Aber das ist es nicht ... Das, was ich gerade getan habe, hätte ich nicht tun dürfen ... Es ... Es tut mir leid."
Noch bevor ich ihm dazu überhaupt meine Ansicht näher bringen kann, dreht er mir den Rücken zu und verschwindet auf die selbe Art und Weise, wie er hierher gekommen ist. Ich laufe hinaus in den prasselnden Regen, doch alles was ich nur noch beeinträchtigt zu sehen bekomme, sind die Dächer Paris'.

Eine Woche vergeht und ich habe Chat Noir außerhalb meines Fernsehbildschirms nicht mehr wiedergesehen. Immer wieder bin ich seine letzten Worte zu mir durchgegangen, doch ich habe nicht den Eindruck, dass ich mittlerweile schlauer als zuvor bin. Aber was noch viel schlimmer ist: Ich kann mit niemandem darüber reden. Natürlich könnte ich Ninos und mein Gespräch um mein allgemeines Gefühlswirrwarr wieder aufgreifen, jedoch sagt mir mein Bauchgefühl, dass ich diesen einen Abend und dessen Geschehnisse nicht in die Welt posaunen sollte. Immerhin dreht es sich hierbei nicht um irgendeinen dahergelaufenen Heiopai, sondern eben um den einzig wahren Superhelden, der gemeinsam mit Ladybug für das Wohl unserer Stadt sorgt.
"Kannst du mal aufhören so eine Trauermiene zu ziehen?!"
Ich drehe mich irritiert in die Richtung aus der die Stimme kam und entdecke schließlich Chloé, wie sie mich genervt anschaut.
Auch das noch.
"Das versprüht schlechte Schwingungen und sowas kann weder meine Haut noch meine gute Laune an sich gebrauchen", ergänzt sie und ignoriert dabei völlig, dass mich das nicht im geringsten interessiert.
"Entschuldige, meine Königin", gebe ich sarkastisch zurück und packe meine Bücher zusammen, die vor mir auf dem Tisch liegen. "Ich setze mich am besten ganz weit weg von dir, sodass du das nicht länger ertragen musst."
Ich höre nur noch, wie sie zufrieden ein kurzes Lachen ausstößt und befolge meine eigene Ansage. Es erscheint mir zwar merkwürdig, dass ihr überhaupt irgendwas außer ihr selbst auffällt, doch ich stelle es nicht weiter in Frage und lasse mich auf der anderen Seite der Klasse in der dritten Reihe nieder. Nathanael ist heute nicht in der Schule und auch viele weitere Mitschüler fehlen, was vermutlich auf die derzeitige Grippewelle zurück zu führen ist. Demnach habe ich freie Platzwahl, allerdings aber auch niemanden wirklich, der mich von meinen Gedanken ablenken könnte.
Ich sehe wie Marinette mit Alya gemeinsam die Klasse betritt.
„Hallo [dein Name]! Alles klar bei dir?" Alya winkt mir zu und sieht äußerst gut gelaunt aus, während sie mich begrüßt.
Marinette hingegen sieht mich eher an, als hätte sie jemand Anderes erwartet, den ihre beste Freundin begrüßt. Noch immer bin ich mir nicht ganz im Klaren darüber, weshalb sie mir gegenüber so skeptisch zu sein scheint. Dabei habe ich schon des Öfteren mitbekommen, wie sie mit dem Rest der Klasse bestens auskommt.
„Ja, alles in Ordnung soweit", antworte ich und lächle ich zu.
Die beiden setzen sich an ihre Plätze und kurz darauf kommt Adrien in die Klasse. Er grüßt die gesamte Klasse, indem er seine Hand hebt und zärtlich lächelt.
Ich weiß auch nicht was es an seiner Ausstrahlung ist, doch er wirkt wie der reinste Sonnenschein, der den Raum erhellt sobald er ihn betritt. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass er seit einer Woche kaum ein Wort mit mir gesprochen hat. Nur das Allernötigste, wie zum Beispiel als er mich vor ein paar Tagen noch gefragt hat, ob wir als Hausaufgabe wirklich nur die Stellungnahme zu einem bestimmten Text hatten. Erst lässt also Chat Noir mich wie bestellt und nicht abgeholt stehen und auch Adrien scheint einen Sinneswandel gegenüber mir entwickelt zu haben. Ich wünschte Nino wäre heute hier ...
Rein intuitiv verdecke ich mein Gesicht mit den Händen. Ich weiß wirklich nicht wo mir der Kopf noch steht.
„Hey ... Geht's dir gut?"
Unglaubwürdig gebe ich mein Gesicht wieder frei, denn es ist Adriens Stimme, die ich vernehme. Er steht direkt neben mir und ich schaue leicht zu ihm rauf. Auf seine Frage fällt mir jedoch keine Antwort ein, obwohl es eine simple „ja" oder „nein" Frage war.
„Darf ich mich neben dich setzen ... ?", ergänzt er vorsichtig und sieht mich fragend an.
Ich nicke und er lässt sich nieder. Stück für Stück packt er seine Sachen für den Unterricht aus, während ich mich weiterhin frage, weshalb er plötzlich neben mir sitzen möchte.
Nach einigen Minuten des Schweigens halte ich es auch nicht mehr aus, ihn nicht darauf anzusprechen: „Wie kommt es, dass du wieder mit mir sprichst?"
Ruckartig sieht er mich an und lächelt schief. „Wie?! Ich weiß gar nicht was du meinst, wir haben doch erst letztens noch miteinander gesprochen ..."
„Oh ja", antworte ich aus Versehen eine Spur zu sarkastisch, „mich etwas wegen einer Hausaufgabe zu fragen - wie konnte ich bloß diese spannende Unterhaltung vergessen?"
Sein Lächeln verschwindet wieder und er wendet seinen Blick von mir ab, stattdessen richtet er ihn auf seinen Collegeblock vor ihm aus.
Sofort fühle ich mich schlecht. Ich möchte meine schlechte Laune gar nicht an ihm rauslassen und doch habe ich soeben genau das getan.
„Entschuldigung", gebe ich kleinlaut von mir. „Ich wollte dich nicht so anmachen."
Er schüttelt den Kopf. „Nein, du hast ja recht. Mir tut es leid."
In so kurzen Zeitabständen haben sich nun schon zwei Menschen bei mir entschuldigt und ich weiß weder bei dem Einen noch bei dem Anderen weshalb.
„Habe ich irgendwas falsch gemacht?", frage ich nach.
Er sieht mich wieder an und sein Gesichtsausdruck zeugt von Verwirrung. „Aber nein! Es ... Es liegt einfach an mir."
„Kann ich dir denn irgendwie helfen?"
Er schüttelt erneut den Kopf.
„Okay ..."
„Ich hoffe du kannst mir das zur Zeit nachsehen ... Aber ich verspreche dir, dass es nicht so bleiben wird." Er legt behutsam seine Hand auf meine und als ich seine Körperwärme spüre, fühlt es sich an als würde mein Blut kochen. Mit großen Augen sehe ich ihn an und er fügt lächelnd hinzu: „Ich muss einfach nur meine Gedanken sortieren, [dein Name]."

Wer auffällt, ist noch kein Held | Adrien Agreste / Chat Noir X LeserWo Geschichten leben. Entdecke jetzt