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"Du wirst sehen, es wird dir gefallen", lacht Nino und rückt seine Cap zurecht.
Heute nimmt er mich mit zur Schule. Ich soll diese sowie meine neue Klasse kennenlernen, bevor ich in zwei Wochen täglich dorthin muss.
"Wenn du meinst ...", murmle ich.
Ich hocke mich hin, um meine Schnürsenkel zu zubinden.
"Wie kommen wir denn dahin?"
"Zu Fuß natürlich!", antwortet er als sei es das selbstverständlichste auf der ganzen Welt.
"Und das dauert wie lange?"
"Knapp zehn Minuten. Das wirst du wohl schaffen, oder?"
Ich sehe gespielt skeptisch zu ihm auf, ehe ich mich wieder aufrecht erhebe. "Vielleicht."
Ich lache hinterher, um ihm zu Verstehen zu geben, dass das nur ein Scherz war.
"Endlich lachst du mal!"
Ich verdrehe die Augen. "Versuch du mal zu lachen, wenn du dein gewohntes Umfeld und all deine Freunde hinter dir lassen musst."
"Stimmt", gibt er nickend zu, "dann würde ich wohl auch so reagieren. Ich habe hier nämlich ganz tolle Freunde."
Ich bezweifle irgendwie, dass ich dem genauso empfinden werde. Wobei das auch der pure Pessimismus aus mir heraus sprechen mag. Ich mag Nino, er ist mein Lieblingscousin. Trotzdem bin ich einfach voreingenommen ... Ich will nämlich eigentlich gar nicht umziehen ...

Auf dem Weg zur Schule sehe ich mich aufmerksam um.
"Wenn man dort lang geht kommt man zum Zoo", erklärt Nino und zeigt in die eine Richtung bevor er in die nächste zeigt, "und da gibt es das beste Eis der ganzen Welt! Und hier ..."
Ich blende seine Stimme aus, denn ich entdecke etwas weiter weg den Eiffelturm. Beachtlich! Ich würde gerade am liebsten dorthin gehen anstatt zur Schule. Wenn ich nochmal genauer darüber nachdenke ... Bald kann ich jeden Tag dahin. Das ist schon cool.
"Hier solltest du besser nicht abbiegen", weist er mich hin und zeigt mit dem Daumen auf eine Straße zu seiner Rechten. Ich folge seinem Finger.
"Und warum nicht?"
"Da trifft man auf ganz eigenartige Menschen, auch auf welche mit weniger guten Absichten."
"Okay, ich verstehe." Das sollte ich mir dann wohl besser merken.
"Auch in Paris musst du immer gut auf dich aufpassen!"
"Klar, wo auch nicht?"
"Naja, wir haben hier schon Superhelden, die die Stadt sicherer machen. Die können sich aber ja auch nicht verdoppeln oder verdreifa-"
"Superhelden?!", entgegne ich lauter als ich ursprünglich wollte.
"Ja!"
"Wie?!"
"Du hast noch nicht davon gehört?!"
Völlig entgeistert sieht er mich an. Verunsichert grinse ich und antworte verlegen: "Nein ..."
"Tzzz ... Oh, [dein Name]. Du musst noch viel lernen. Ich rede hier von Ladybug und Chat Noir!"
Lady- ... Was?!
"Gesundheit?", lache ich.
Er verdreht die Augen und hält mich an, indem er sich direkt vor mich hinstellt, mich an den Schultern packt und rüttelt.
"Hallo?! Sie sind die Allercoolsten und haben schon oft den Hintern von uns Parisern gerettet!"
„Okay?" Ich drücke ihn leicht von mir weg. „Hört sich irgendwie schräg an."
„Glaubst du mir etwa nicht?!"
„Doch, doch ... Schon aber reicht die Polizei denn nicht aus?"
Er schlägt sich mit der flachen Hand auf die Stirn und schüttelt dann lachend mit dem Kopf bevor er erklärt: "Die haben doch nicht so krasse Kräfte wie die beiden!"
"Und welche sollen das sein, Nino?"
"Ähm ... Die genauen Bezeichnungen kenne ich nicht aber sie sind der Hammer!"
Er scheint wirklich maßlos begeistert von diesen Superhelden zu sein. Meine skeptischen Reaktionen sind an ihm abgeprallt als hätte er selten was unnötigeres gehört.
Wir setzen unseren Weg in die Richtung der Schule weiter fort. Was für eine seltsame Stadt, die irgendwelche selbsternannten Retter braucht ... Sowas skurriles habe ich jedenfalls noch nie zuvor gehört.
Plötzlich fällt mir eine riesige Werbeanzeige auf. Im Vorbeigehen starre ich diese an. Es ist das Seitenprofil eines blonden Jungen zu sehen, neben ihm eine Parfümflasche in Übergröße. Gabriel, lese ich mir innerlich vor. Das Parfüm selbst und die Gestaltung des Plakats wirken edel und teuer. Der blonde Junge, mit deutlich erkennbar grüner Augenfarbe, passt wie die Faust aufs Auge dazu ... Ich habe trotzdem weder die Marke noch ihn jemals zuvor gesehen.
Vielleicht ist er bloß hierzulande eine Berühmtheit? Genauso wie Ladybug und Chat Noir?
Er sieht jedenfalls nicht schlecht aus ... Kein Wunder, dass er modelt.

Wer auffällt, ist noch kein Held | Adrien Agreste / Chat Noir X LeserWo Geschichten leben. Entdecke jetzt