Chapter 1

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Ich schloss meine kleine Londoner Wohnung auf, wurde wie jeden Tag von einem leicht fischigen Geruch empfangen. Und wie jeden Tag erinnerte mich dieser Geruch daran, dass ich meine Katze füttern und ihr wichtige Tabletten geben musste.
Danach warteten die ersten 20 Seiten eines Drehbuchs auf mich. Es war kein wirklich langes Stück: Unser Kurs in der Schauspielschule plante 'Frühlings Erwachen' zur Weihnachtsfeier aufzuführen.
Noch immer kam es mir unwirklich vor, wenn ich davon sprach, dass ich zwei strenge Auditions und zwei Workshops bestanden hatte und nun an der 'Royal Acadamy of Dramatic Art' in London studierte. Allerdings muss ich auch dazu sagen, dass ich zunächst zwei Jahre arbeiten musste, um einen solchen Plan überhaupt zu finanzieren, und dann noch ein weiteres Jahr wartete, da ich zunächst nicht unter den 40 Ausgewählten war. Jedes Jahr bewarben sich schließlich drei- bis viertausend Studenten für die rund 40 zu vergebenen Plätze. Aber nach drei Jahren hatte ich es endlich geschafft. Ich konnte meine Sachen packen, von Köln nach London ziehen und war meinem großen Traum einen riesigen Schritt näher gekommen.
Ich mochte es nicht meinen Text ständig laut auszusprechen und einzustudieren. Meiner Meinung nach wirkte das Stück dann nicht mehr spontan und somit nicht mehr echt. Also pflegte ich es die Zeilen einfach immer und immer wieder im Kopf durchzulesen, damit ich den Text zu den Proben konnte. Spätestens dann musste ich das Stück zwar durchspielen, aber meine Art den Text zu lernen führte für mich dazu, dass mir das Stück nicht irgendwann sprichwörtlich aus den Ohren hing.

Ich musste an meinem Schreibtisch eingeschlafen sein, denn gegen 18:00 Uhr riss mich das Klingeln meines Handys aus einem traumlosen Schlaf. Mein Vater rief mich per Facetime an.
Ich wischte den grünen Hörer nach links und richtete die Innenkamera auf mich:
,,Hey Dad!"
,,Na Zuckermaus, wie war dein Tag?", antwortete er fröhlich.
Zuckermaus...
,,Ganz in Ordnung. In der Uni haben wir heute nicht so viel gemacht. Dafür übe ich aber schon seit 16:00 Uhr die ersten 20 Seiten eines Drehbuchs.", genau genommen log ich, weil ich maximal eine dreiviertel Stunde gelernt und dann geschlafen hatte, aber im Moment tat das nicht so viel zur Sache.
,,Wie war euer Tag?", fragte ich zurück.
,,Auch nicht schlecht.", er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lehnte sich gelassen zurück, ,,Auch nicht schlecht."
Ich erinnerte mich, dass meine Eltern heute Jahrestag hatten.
,,Glückwunsch übrigens!", trällerte ich.
Er bedankte sich und in der nächsten halben Stunde war das Gespräch beendet. Wir hatten quasi nur über Belangloses geredet und -wie meine Mutter nach einiger Zeit einwarf- Zeit verschwendet. Ich ärgerte mich über ihre Worte. In meinen Augen war Zeit, die ich mit meinen Eltern verbrachte, nie verschwendete Zeit. Obwohl ich wusste, dass sie es nicht so gemeint hatte, war ich verletzt.
Hätte ich gewusst, dass diese zunächst meine letzte Chance war, mit meinen Eltern zu reden, hätte ich bis Mitternacht nicht aufgelegt. Und vorallem hätte ich ein schöneres Ende gefunden.

Another way [slow updates]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt