Chapter 4

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Erst nach zwei Tagen kam ich wieder frei. Der Tatverdacht war keineswegs dringend, zudem lag kein wirklicher Haftgrund vor.
,,Die Beamten haben viel zu überstürzt gehandelt.", erklärte man mir, ,,Wir bitten um Entschuldigung." Doch ich wollte von all dem nichts hören. Mir brauchte man schließlich nicht zu erklären, dass ich es nicht war. Das einzige, was ich wollte, war wieder nach Hause zu gehen und mich an einen Alltag zu gewöhnen.

Zuhause angekommen, hätte mich der Schlag treffen müssen, wie mir später bewusst wurde. Aber er traf mich nicht. Er verfehlte mich, wie ich beim Tennis den Ball verfehlen würde. Stattdessen streifte ich meine Kleidung ab und nahm es ausgiebiges Bad. Es war das erste, woran ich -auch wenn es irrational erschien- denken konnte.
Danach wollte ich meine Eltern anrufen, doch keiner von beiden ging ans Telefon. Sie arbeiteten.
Ich ging ins Wohnzimmer und nun traf er mich doch. Es war ein harter Schlag, mitten in die Fresse.
Meine Katze lag auf dem Boden vor der Balkontür. Reglos. Ich konnte nicht so dumm gewesen sein! In der Zeit, in der ich fort von zu Hause war, war niemand für sie da. Niemand, der sie streichelte, niemand der ihr Medikamente gab. Plötzlich fühlte es sich so an, als wäre ich nicht zwei Tage, sondern zweihundert Jahre weg gewesen. Alles um mich herum kam mir unglaublich fremd vor. Meine Lippen begannen zu zittern, meine Augen brannten, als ich versuchte die salzigen Tränen zurückzuhalten. Mit ihnen überkam mich der Gedanke an 'Friedhof der Kuscheltiere' von Stephen King. Zu gern hätte ich meine Katze ebenfalls auf einem indianischen Begräbnisplatz vergraben und sie noch am selben Abend wieder in meinen Armen gehalten. Stattdessen musste ich sie zum Sondermüll bringen. Es war keine ihr würdige Bestattung, aber es war das einzige, was ich mir im Moment leisten konnte.

Ich schloss die Wohnungstür auf und hörte das Haustelefon bereits läuten. Mein Vater rief an.
,,Dad!", schluchzte ich in den Hörer.
,,Valeria, was ist denn los?", erkundigte sich seine liebevolle Stimme.
,,Eine Freundin aus der Uni ist tot.", brachte ich hervor, bevor ich endgültig in Tränen ausbrach.
Ich erklärte ihm, dass man mich verdächtigt hätte, ich in Untersuchungshaft gekommen war und nicht für meine Katze sorgen konnte.
,,Wir fahren zu dir.", bestimmte mein Vater, ,,Jetzt gleich. Ich buche die Tickets."
Doch meine Mutter bremste ihn aus. Sie warf ein, beide würden ihren Job verlieren, wenn sie Hals über Kopf einige Tage in London verweilten. Auch wenn ich es nicht hören wollte, hatte sie Recht.
,,Ich kläre das.", damit legte er den Hörer auf.

Ich nahm mir einige Tage frei. Auch wenn meine Eltern es nicht schafften, nach London zu kommen, würde ich es die nächsten Tage nicht schaffen zur Uni zu gehen, geschweige denn mich zu konzentrieren. Vermutlich hatte man bereits Wind davon bekommen, dass ich des Mordes an einer meiner Freundinnen beschuldigt wurde.
Und so war es. Am späten Abend erhielt ich einen Anruf.
,,Miss Scholl? Hier ist Dawn Randall.", es dauerte eine Weile, bis ich realisierte, mit wem ich sprach. Ich kannte niemanden names Dawn, doch nach einiger Zeit dämmerte mir, dass Mrs. Randall -eine meiner Dozentinnen- sich nach mir erkundigte.
,,Bitte verzeihen Sie, dass ich Sie einfach anrufe, aber es erschien mir wichtig mich zu vergewissern, dass bei Ihnen alles in Ordnung ist."
,,Den Umständen entsprechend geht es mir gut.", erwiderte ich, ,,Zumindest physisch."
Mir war klar, dass diese nicht die Antwort war, die sich Mrs. Randall erhofft hatte, aber sie anzulügen brachte mir auch nichts. Sie erklärte, ich könne sie zurückrufen, falls ich reden wollte. Ich war mehr darüber erfreut, als ich es selbst erwartete. Wahrscheinlich, weil ich -unterbewusst- nicht sicher war, welcher meiner Freunde tatsächlich an meine Unschuld glaubte. Allerdings bat Mrs. Randall mich ebenfalls schnellstmöglich wiederzukommen, um die Proben bald wieder in Angriff nehmen zu können.

Zwei Tage später hatten es meine Eltern doch noch einrichten können, nach London zu kommen. Am Flughafen nahmen sie mich fest in den Arm, als ich sie abholte.
,,Alles wird gut.", es waren ungewohnt liebevolle Worte, die meine Mutter von sich gab.
Sie war immer der strenge, kühlere Part in der Erziehung, aber dennoch wussten wir, dass sie mich bedingungslos liebte und ich tat das gleichermaßen.

Another way [slow updates]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt