-10- Ein Prozess | Outing bei den Eltern

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Da ich mich vor einigen Monaten bei meinen Eltern geoutet habe, würde ich in diesem Kapitel gerne einige Gedanken loswerden, die mich in letzter Zeit besonders beschäftigt haben und euch natürlich von meinem Outing erzählen. Außerdem würde ich an dieser Stelle gerne nochmal daran erinnern, dass ihr herzlich eingeladen seid mir zu schreiben, wenn ihr jemanden zum reden braucht oder anonym einen Beitrag hier veröffentlichen möchtet (Coming Out Erfahrungen, Ängste, Probleme, was auch immer).

Allem voran - es gibt so viele Dinge, welche ich gerne gewusst hätte, als ich angefangen habe, mich mit meiner Sexualität zu beschäftigen. Angefangen bei der Frage wie bin ich mir sicher? Niemand kann diese Frage besser beantworten, als man selber. Niemand kann dabei helfen. Es ist völlig normal, Zweifel zu haben. Aber alleine die Tatsache, dass wir unsere Sexualität in Frage stellen, ist in der Regel einer der stärksten Wegweiser. Und ist es denn überhaupt notwendig, sich in eine Schublade zu stecken? Auch das ist nämlich eine persönliche Entscheidung; nur weil die Gesellschaft gerne alles labelt, heißt das noch lange nicht, dass ihr euch davon Druck machen lassen müsst. Manchen Menschen hilft es, sich mit oder als etwas identifizieren zu können, anderen macht es Druck.

Für mich ein ebenfalls großes Thema war der Zeitpunkt meines Coming-Outs. Verallgemeinern kann man es sowie nicht, jeder geht anders damit um, aber mir persönlich ist es nicht leicht gefallen mein outing zu planen. Ich habe mich kontinuierlich gefragt, warum ich so lange brauche, ob das normal ist... Warum es mir so schwer fällt, wenn ich mich doch selbst akzeptiert habe. Ich habe mich schlecht gefühlt, wenn andere davon schrieben, es bereits in ihrer Kindheit gewusst zu haben. Warum ich das erzähle? Weil ich selbst gerne mehr Coming Out Geschichten, wie die meine gehört hätte: wie in einem früheren Kapitel schon erwähnt, habe ich so mit 16 angefangen, über meine Sexualität nachzudenken. Ich habe mich dann aber nicht geoutet, bis ich 18 war und meinen Eltern dann weitere 2 Jahre nichts erzählt.
Ich habe mir immer und immer wieder vorgenommen, mich zu outen und es dann doch nicht geschafft. Keins meiner Outings war geplant, sondern lediglich einer von unzähligen Anläufen... nur das es bei diesen dann - beinah zufällig - funktioniert hat.

Ich war frustriert, weil ich so viele Jahre damit verschwendete mich zu verstellen und habe dabei oft vergessen, für wen ich das tue: für mich. Auch wenn es sich manchmal anfühlt, als würde man feststecken, als würde man keinen Schritt voran kommen, schlussendlich heißt das nur, dass man eben doch nicht bereit ist. Natürlich wäre man das gerne, ich persönlich konnte lange nicht dazwischen entscheiden mich selbst akzeptieren zu können und mich selbst akzeptieren zu können, wenn ich dabei anderen Leuten gegenüber trete. Wisst ihr was ich meine? Ich hatte kein Problem damit homosexuell zu sein. Ich war also bereit, oder? Diese Annahme hat mir viel Frust bereitet, denn sobald ich einen Versuch gestartet habe, mich zu outen, ist mein Mut in sich zusammen gefallen und ich habe Wochen damit verbracht, meine Sicherheit zurück zu gewinnen. Und das nur, um den nächsten Anlauf zu starten, ohne das tatsächlich Problem zu beachten. Zu warten und sich selbst zu erlauben, die beste Version von sich selbst zu werden - damit meine ich mit Gefühlen wie Scham und Minderwertig (gegenüber anderen) abzuschließen, die einen so lange begleitet haben. Damit will ich nicht sagen, dass diese Gefühle berechtigt oder richtig sind. Aber wir wachsen nun mal in einer Gesellschaft auf, die andere Erwartungen an uns stellt. Ob das nun fair ist oder nicht, es löst bei vielen Unsicherheit aus. Und die Überwindung dieser Gefühle gehört dazu und kann sich letztendlich doch nur positiv auf euer Outing auswirken. Denn wenn ihr selbstsicher auftretet, vermittelt es euren Mitmenschen, dass es okay ist.

Genau das war ein weiterer Punkt, der mich beschäftigt hat. Wie erzähle ich es meinen Freunden oder Eltern? Was ist - für mich - der richtige Weg? Meiner besten Freundin habe ich es persönlich erzählt und genau das war auch der Plan für meine Eltern. Allerdings habe ich mich nicht wirklich überwinden können, ich habe mich zu sehr auf 'den perfekten Moment' versteift, den es aber nie gab. Ich wollte, dass wir genug Zeit haben darüber zu sprechen, aber immer wenn sich passende Situationen ergeben haben, konnte ich so spontan nicht reagieren. Letztendlich habe ich ihnen einen Brief geschrieben, was mir anfangs garnicht zugesagt hat. Ich fand die Vorstellung komisch, meinen Eltern einen Brief zu schreiben. Aber rückblickend war es (für mich persönlich) die beste Lösung. So hatten sie Zeit es in Ruhe durchzulesen, während ich nicht zuhause war. Ich konnte mich mental auf den Moment vorbereiten und bestimmen, an welchem Tag ich es tue und wer alles zuhause sein würde. Ausserdem wusste ich, dass ich zu dem Zeitpunkt so viel aufgestaute Gefühle zu dem Thema hatte, dass ich, in der Sekunde in der die Worte gesagt sind, wahrscheinlich in Tränen ausgebrochen wäre. Dabei hatte ich so vieles, das ich loswerden wollte und dafür war der Brief perfekt. Ich konnte genau bestimmen, was ich alles dazu sagen möchte und wieviel ich erklären möchte.

Ein weiterer Faktor bei der Frage, wie ich mich "richtig" oute, war die Wirkung, die es haben würde. Ich war mir lange nicht sicher, wie groß das ganze werden sollte. Eigentlich wäre es mir lieber gewesen, es so darzustellen, als sei es kein großes Thema für mich. Denn genau das würde ich der Welt gerne vermitteln. Auf der anderen Seite stehen die vielen Jahre, in denen ich mich damit schwer getan habe mich zu akzeptieren und den Struggle, der einen gewissermaßen zu der Person gemacht hat, die man ist, möchte man auch nicht einfach so unter den Tisch kehren. Ich weiß nicht, ob es nur mir so ging, aber auch das war für mich lange ein Grund, der gegen einen Brief gesprochen hat.

Letztendlich haben meine Eltern auf mein Coming Out genau so gut, wenn nicht sogar besser reagiert, als ich es erwartet habe. Und auch wenn mir vorher schon bewusst war, dass es wahrscheinlich kein Problem sein wird, hat es Jahre gedauert. Damit will ich nur sagen, zu warten ist genau so legitim, wie sich mit 13 zu outen. Oder mit 60. Es geht in erster Linie darum, was für euch am besten ist.

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Habt ihr euch schon bei euren Eltern geoutet? Wenn ja, wie? Und wenn nicht, wisst ihr schon, wie ihr es machen möchtet?

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