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Stille.

Stille war alles, was ich die letzten zwei Stunden gehört hatte.

Stille, und ein „Das ist alles gerade ziemlich viel für mich, ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken, verstehst du?"

Dann eine Tür, die zufiel.

Dann ein Motor, der ansprang.

Dann wieder Stille.

Nach meiner Aussage im Diner war eine Kellnerin zu uns gekommen und hatte uns gefragt, ob wir zahlen möchten.

Theo hatte genickt.

Er hatte gezahlt.

Er war aufgestanden.

Zum Auto gelaufen.

Ich war ihm gefolgt.

Er hatte mich zu Hause abgesetzt, und dann dieser Satz.

Dann eine Tür, die zufiel.

Dann ein Motor, der ansprang.

Und Stille.

Nicht einmal mein Kopf hatte sich gemeldet. Einfach nur Stille.

Ich hätte gedacht, es wäre angenehm, für eine Weile nichts zu denken. Keine Wut, kein Hass, kein Geschrei.

Aber die Stille war noch viel schlimmer als das.

Ich war unfähig auch nur irgendetwas zu tun. Ich lag bewegungslos auf den kalten Fliesen. Für anderthalb Stunden. Ich hatte keinen Hunger, war nicht müde, war nicht traurig, wollte nichts tun – ich war wie betäubt.

Irgendwann muss ich eingeschlafen sein. Alles, was ich mitbekam, war die Klingel, die mich aus meiner Starre löste.

Mein Oberkörper erhob sich, meine Hände stützten sich auf dem Boden ab, meine Füße berührten ihn abwechselnd, bis ich im Flur war, meine eine Hand drückte die Türklinke nach unten und zog daran, und meine Augen nahmen ein vertrautes Gesicht wahr.

„Hey."

„Hey", kam aus mir heraus.

„Ich- kann ich mich kurz setzen?"

Meine Augen nahmen auf, wie er die Schuhe von den Füßen abzog, diese ihn ins Wohnzimmer trugen, wo er sich auf das gelbe Schlafsofa setzte, während mein rechter Zeigefinger den Knopf vom Radio betätigte, weil mein Kopf die Stille, die nur von seinen Worten unterbrochen wurde, nicht ertrug.

„Ich bin in den Park gefahren, gleich nachdem ich dich nach Hause gebracht hatte. Ich saß bestimmt eine Stunde dort, habe nachgedacht, über das, was du mir im Diner erzählt hast." Zwei. Es waren zwei Stunden.

„Ich würde dir gerne helfen, Enna. Du bist mir wichtig, das weißt du." Jetzt kam ein Aber. Das kam immer nach solchen Beginnen.

„Aber ich habe Angst, dass ich dir nicht helfen kann." Wenn er mir nicht helfen konnte, wer dann?

„Ich habe Angst, dass du versuchst, all die schlimmen Gedanken mit deiner Liebe für mich zu kompensieren. Dass ich ein Ausweg für dich bin und du unsere Beziehung idealisierst. Dass du beginnst, alles dafür zu tun, dein Leben nur danach zu richten, weil du dir einredest, es wäre das Einzige, was dich glücklich macht. Dass es dich von diesen Gedanken abhält." Hatte ich nicht schon angefangen, genau das zu tun?

„Diese Beziehung sollte nicht der Mittelpunkt deines Lebens werden. Denn wenn sie endet, wirst du am Ende sein. Ich will das nicht. Ich will das wirklich nicht." Meine Gedanken ließen es nicht zu, darüber nachzudenken, ob er Recht hatte. Sie riefen wild durcheinander, wiederholten seine gesagten Worte, ohne dass mein Kopf sie aufnahm, und es wurden immer mehr, je länger die Pause wurde.

„Ich denke es ist das Beste, wenn wir das hier erstmal pausieren." Pausieren. Pausieren. Pausie- „Wir sollten uns beide darüber klar werden, was wir wollen, und was wir brauchen." Wollen. Brauchen. Wollen. Brauchen. „Als es meinem Bruder so schlecht ging, nach dem Tod von – du weißt schon – da war er in Therapie." Therapie. Therapie. Thera- was?! „Frau Langholz heißt sie. Sie hat ihm viel geholfen. Er hat so schnell Fortschritte gemacht. Das hatten wir alle nicht für möglich gehalten." Holz. Feuer. Brand. Tod. Tot. TOT.

„Ich habe dich wirklich gern, Enna." Aber? Welches Aber kam diesmal? Jede einzelne Stimme schlug ein anderes Aber vor. Welches würde es werden?

„Wir können das zusammen schaffen." And everything is screaming.

„Wir müssen nur stark sein." You tell me to hold on.

„Und zwar getrennt." And what was right is wrong.

„Okay?" Er hatte mich etwas gefragt. Er erwartete eine Antwort. Es war sicher eine Ja-Nein-Frage. Ich müsste einfach nur nicken. Mein Kopf fiel langsam nach vorne und richtete sich wieder auf, während die Stimmen so laut waren, dass ich mich wunderte, dass er sie nicht hörte.

Sein Oberkörper richtete sich auf, seine Augen starrten besorgt in meine. Seine Füße trugen ihn zurück in seine Schuhe und seine Hand zog an der gedrückten Klinke.

Dann eine Tür, die zufiel.

Dann ein Motor, der ansprang.

Dann wieder Stille.

Und im Radio im Wohnzimmer lief Bleeding Out von Imagine Dragons und ich war unendlich froh, als das Lied endlich vorbei war.

EverlongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt