CALLIDUS

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Judas Quinn war noch nie wirklich ein geselliger Mensch gewesen. Die Anwesenheit anderer machte ihm meistens nur Angst und jede Form von Freundlichkeit bereitete ihm Misstrauen. Deswegen starb er in beklemmender Angst, als sechs Muskelpakete mit voller Kraft auf ihn eintraten. Der Unterschied zwischen Leben und Tod ist äußerst gering, dachte er sich, als er aufstand und seine Leiche betrachtete, die immer noch von den Typen misshandelt wurde. Die Gefängniswände um ihn herum hatten die selbe Farbe wie immer, das Essen und die gestreiften Gefängnisklamotten sahen ebenfalls nicht anders aus. „Interessant." sagte er zu sich selber. „Das ist also der Tod". „Oh mein Gott!" schrie einer aus der Ecke des Raumes. Bis auf Judas drehte sich niemand nach ihm um. Ein Typ mit einem Gesicht, dass dem einer Ratte ähnelte, starrte ihn direkt an. „Du bist auch ein Geist!" „was?" lachte Judas. „Ich denke das hier ist eine letzte Halluzination." „da muss ich dich enttäuschen, Champ. Wir sind tot." „wie soll das funktionieren?" Judas ging zu dem Typen. „Ey Mann seh ich aus wie ein Wissenschaftler? Ich weiß nur, dass ich tot bin. Und du halt auch." Judas nickte langsam. „Hm... wir sind also Geister. Warum gehst du hier nicht raus?" der Typ lächelte schief. „Is leider nicht so einfach Champ. Wir können nicht durch Wände gehen oder so. Und da wir nicht mal was hochheben können, wird ausbrechen noch schwerer als vorher." „ja und? Wir sind auch unsichtbar." „na da probiers mal. Ich würde nicht seit zwei Wochen hier rumhocken wenn ich wüsste wie man hier raus kommt." Judas ging den Raum nachdenkend ab. Die Türen waren logischerweise verschlossen, alles war abgesichert. „Blöd, dass wir auch noch im Hochsicherheitsgefängnis sitzen." sagte Judas. „Jupp. Richtig Scheiße. Was macht so ein dünner Kerl wie du eigentlich hier?" „hab Drogen gekocht." „oh." sagte der Typ. „Deswegen haben dich diese Typen auch zu Tode getreten?" „genau. Sie waren der Meinung, dass meine Drogen ihre Leben ruiniert hätten." „und das haben sie nicht?" Judas schnaubte verächtlich. „Das haben sie selber geschafft." In dem Moment stürmten zwei Wärter mit Tasern in den Raum. „Was ist denn hier los! Auseinander!" brüllte der eine, und die sechs Typen gingen von Judas' Leiche weg. „Fuck." sagte der eine. Sein Kollege kniete sich hin, fand logischerweise keinen Puls und stand wieder auf. „Das wird eure Zeit im Knast nicht unbedingt verkürzen." sagte eine der Wachen. „Also gut, alle zurück auf die Zellen! Mittagspause is früher vorbei wegen diesen Genies."
Als Judas ziellos durch die Gänge streifte, dachte er über sein Leben nach. „Ich hab das ganze ziemlich in den Sand gesetzt." sagte er laut zu sich selber. Das Rattengesicht lachte nur. „Das denkt jeder von sich im Knast." „ach, sei ruhig. Du hast keine Ahnung." schnauzte Judas ihn an. „Mein Vater ist gestorben als ich sieben war. Von da an hat meine Mutter sich nur noch um mich gekümmert, und um nichts anderes. Sie hat ihren Job auf Halbtags verkürzt, war immer da wenn ich zu Hause war und hat mir sogar Freunde „gekauft". Während ich einfach nur alleine sein wollte." Ratte schwieg ein wenig. „Naja, grundsätzlich klingt das Nicht schlimm." Judas drehte sich ruckartig herum. „Es war die Hölle. Ich vertraue heute noch niemandem der behauptet mein Freund zu sein." er schwieg kurz, dann fuhr er fort: „ich habe Biochemie studiert. Ich dachte, wenigstens da würde man mich in Ruhe lassen. Aber auch da schon wieder, nur Palaver und keine Privatsphäre. Und plötzlich war ich alleine, aber nicht auf eine Art die ich haben wollte. Die anderen Studenten waren sehr gut in Chemie, sehr gut in Bio. Sie korrigierten Professoren und mussten nicht einmal ihre Hausaufgaben machen um zu wissen, wie man alles löst. Aber von Beethoven waren sie überfragt, sie sahen keinen Sinn in Fausts Tiraden und Religion hielten sie für Spinnerei. Sie waren die dümmsten Intelligenten Menschen die ich kennen lernen durfte. Da war kein Verständnis für Kunst oder Philosophie, sondern nur eine Verbohrtheit, die meinem Vorbild, Charles Percy Snow, Angst gemacht hätte. Naturwissenschaftler, die sich ebenso für Philosophie oder Kunst interessieren waren sein Traum gewesen. Leider nur ein Wunschtraum, in Arroganz versunken." Ratte sah Judas während der Gesamten Tirade gespannt an. „Okay. Ich hab jemanden abgestochen, falls du dich fragst." Judas starrte Ratte entgeistert an. Dann drehte er sich herum. „Im Tod bin ich also wieder alleine." „Hey, was interessiert es dich überhaupt? Ich dachte du kannst eh niemanden leiden, würdest du mit Menschen über Literatur reden?" „es würde die Menschheit voran bringen. Kreativität heißt das Mögliche überwinden. Und wenn man die unendlichen Weiten des unmöglichen erforscht, kann man womöglich Erkenntnisse für unsere Welt gewinnen. Beispiel I. Wenn Gerolamo Cardano und Rafael Bombelli nicht eben dieses ewige Meer des unmöglichen besegelt hätten, wären sie nie mit I zurückgekommen, das bis heute unsere Mathematik erweitert. I quadriert ist minus eins, das war vor den beiden das unmöglichste was man sich vorstellen konnte." Rattes Blick driftete immer mehr ab. „Wissenschaft wird von der Fantasie beflügelt, nicht vom Tunnelblick. Deshalb war ich auch der, der Experimente am ewigen Leben ge..." „was ist?" „oh Gott!" rief Judas auf ein mal. „Oh mein Gott! Heureka! Die Erkenntnis! Ich muss hier raus!" Ratte schnaubte. „Genie." doch Judas war mit etwas ganz anderem beschäftigt. In seinem Kopf formte sich eine Theorie. „Ratte, mein Kumpane, ich präsentiere dir: die Macht des Unmöglichen." „wie hast du mich genannt?" fragte Ratte, doch Judas überging ihn. Er streckte seine Hand aus, sie glitt in die Wand und letztere fing an zu knirschen. Mit einem gewaltigen, gelben Blitz barst die Wand vor den beiden in tausend Einzelteile. „Whoa! Wie machst du das?!" schrie Ratte gegen die aufheulenden Sirenen an. „Keine Zeit! Später!" schrie Judas zurück und rannte ins Freie.

„Und jetzt sitze ich hier, drei Stunden später mit dir auf einem Dach." schloss Judas die Erzählung. Octavia lächelte leicht. „Was ist mit Ratte?" „keine Ahnung. Der is abgehauen. Wollte ‚zu seinen Leuten'. Keine Ahnung was das heißt." „und was für eine wissenschaftliche Idee hattest du im Gefängnis wegen der du unbedingt los musstest?" „wegen der bin ich hier. Wir müssen eine junge Frau suchen. Ich hoffe mit ihrer Hilfe kann ich unsere Fragen beantworten."

Urban AngelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt