Das Feuer, das wir im Wald immer gemacht hatten, war mir wie ein Freund vorgekommen. Es war ein wärmendes, leicht zu zähmendes Feuer gewesen.
Doch das Feuer, das diese Nacht brennen ließ, war ganz anders. Wild und hoch schlugen die Flammen, brüllend züngelten sie in die Luft, fraßen alles, was ihnen zu nah kam, verwandelten alles in Asche und Ruß.Fassungslos schauten wir zu dem in Feuer stehendem Haus hoch - eine alte, verlassene Fabrik. Greeny blieb nur kurz in dieser Starre, dann schrie er hysterisch: »Da ist noch jemand drin!«
Ich weiß bis heute nicht, woran er das erkannte. Er rannte los, oder wollte es jedenfalls– im letzten Moment packte Hannah ihm beim Ärmel.
»Greeny!«, rief sie gegen das zornige Knistern des Feuers an, »Es bringt uns nichts, wenn du auch noch stirbst!«
»Aber wir müssen ihnen helfen! Es sind Kinder!«
Igel neben mir zuckte heftig zusammen. Er packte mich so heftig an den Schultern und drehte mich zu sich herum, dass ich vor Schreck vergaß zu atmen. Es war sowieso nicht gesund, diese Luft einzuatmen. Schwefel und Hitze.
»Sebastian!«, sagte er leise, aber eindringlich. »Sebastian, hör mir genau zu! Du gehst keinen Schritt weiter!«
Ängstlich nickte ich.
Ein lauter Knall erstickte den Rest seiner Worte, im selben Moment sah ich, wie ein paar dunkle Gestalten über das Gelände zu der brennenden Fabrik huschten. Wie viele waren es? Sechs. Drei blieben draußen stehen, als schwarze, undeutliche Silhouetten zeichneten sie sich vor den Flammen ab, die anderen drei aber rannten in die Fabrik.
»Was machen die denn da?!«
Greeny reagierte nicht. Er sah ihnen kurz zu, dann riss er sich so plötzlich von Hannah los, dass sie nicht reagieren konnte. Entsetzt schaute ich dem Punk nach, wie er über den niedrigen, kaputten Drahtzaun sprang und zu den drei wartenden Gestalten sprintete.
Verdammt - was war hier los?
Als Igel sich dann auch noch von mir abließ und Greeny folgte, war ich heillos verwirrt. »Hannah!«, kreischte ich, so laut ich konnte. Der Rauch hatte sich bis zu mir ausgebreitet. Er war dick und schwarz und brannte in meinen Augen, sodass diese tränten und ich blind umherstolperte. Meine Lunge zog sich zusammen, das Atmen wurde schwerer. Mein Hals war rau und kratzig und ich musste heftig husten.
Wo waren denn alle auf einmal? Hatten sie mich einfach im Stich gelassen?
»Hi...Hilfe!« Ich wollte schreien, so laut ich konnte, doch das, was aus meinem Mund kam, war nur ein heiseres Krächzen. Meine Beine gaben nach, knickten einfach unter mir weg. Ich konnte nicht mehr unterscheiden, ob die Hitze, die ich spürte, von dem Feuer ausging oder in mir war. Meine Lider wurden zu schwer, um sie noch offen zu halten, alles an mir wurde schwer wie Blei.
Nein! Ich durfte nicht einschlafen!
Ich musste dagegen ankämpfen!
»Oh fuck!«
Ich zuckte zusammen, als eine Hand mich an der Schulter rüttelte, und schaffte es unter großer Anstrengung, den Kopf zu heben und die Augen zu öffnen. Über mir erkannte ich verschwommen einen Schatten. Er beugte sich über mich, das Gesicht verrußt und schwarz, ein paar Funken in den Haaren. Kalte, türkisblaue Augen.
»Junge, du darfst nicht einschlafen!«
Ich merkte kaum, wie der Fremde einen Arm unter mich schob und mich einfach auf seine breiten Schultern bugsierte.
Was sollte das?
Wer war das?
Doch dann war ich zu erschöpft, um weiter darüber nachzudenken. Ich schloss die Augen und überließ mich einfach meinem Schicksal. Ich gab mein Leben in die Hände eines anderen.
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NARBEN - SO BLAU WIE DER HIMMEL
Teen Fiction»Was ist dein größter Traum?« »Ich habe keinen Traum.« »Traust du dich nicht, zu träumen?« »Nein. Ich träume nicht, weil Träume eh nie in Erfüllung gehen.« Sebastian ist gerade einmal dreizehn, als er aus dem Heim, in dem er seit seinem siebten Lebe...