»Igel! Da bist du ja!«
Ich hatte gar nicht gemerkt, wie ich weggedriftet war. Hannahs Stimme, die Igels Namen rief, riss mich aus meinen tiefen, dunklen Gedanken, und beinahe erschrocken blickte ich auf.Igel war endlich wieder da, gerade jetzt, wo das letzte Tageslicht schwand. Er sah müder aus, als ich ihn je gesehen hatte; mit zerzaustem, braunem Haar, matten Augen und ohne jegliches Lächeln ließ er sich neben mich in das Laub plumpsen.
»Ja«, sagte er dumpf, »ich bin wieder da.«Dann schwieg er.
Verwirrt suchte ich in seinem Gesicht nach diesem schelmischen Zucken seiner Mundwinkel oder das Funkeln seiner Augen, aber das alles war wie weggewischt. Was war passiert?
»Igel? Hast du den Job?« Hannah warf mir und Greeny, der unbeteiligt am Rand saß und an einer Bierdose nippte, einen besorgten Blick zu. Auch sie hatte Igel wahrscheinlich nicht häufig so trüb gesehen.
»Nein, den hab ich nicht«, gab er so gereizt zurück, dass er gleich danach noch hinterherschob: »Tut mir leid. War nicht so gemeint. Aber ...« Er seufzte. »Es ... Ich habe heute jemanden getroffen. Nicht der Rede wert.« Er schüttelte den Kopf, dass ich seine verspannten Nackenwirbel knacken hören konnte.Nicht der Rede wert? So sah es aber nicht aus.
»Wie auch immer.« Greeny erhob die Stimme, und seine Zunge war schon schwer vom Alkohol. »Ich hab ein Angebot für eine günstige Wohnung gefunden. Die ist aber fast auf der anderen Seite der Stadt.«
Ich hörte, wie Hannah versuchte, so viel Freude wie nur möglich in ihre Worte zu legen: »Das klingt doch schonmal gut!«»Ja«, stimmte ich zu, einfach nur, um irgendetwas zu sagen. Igel hatte diesen leeren Blick ... Es war klar, dass das mit diesem Jemand zusammenhing, den er heute getroffen hatte.
»Morgen sollen wir uns mit dem Vermieter treffen, dann können wir schauen, ob das klappt mit seiner Wohnung. Hab mit ihm telefoniert, weil eine Telefonnummer dabei war«, unterbrach Greeny die Stille.
Morgen ...
Ich hoffte wirklich, dass das mit der Wohnung klappte. Was, wenn es das einzige billige Stellenangebot war? Jedenfalls billig genug für uns.
Mit einem Seufzer legte Igel sich auf den Rücken, einfach in das nasse Laub, und streckte die Arme nach oben, als wollte er den Himmel umarmen. Das sah so albern aus, dass ich leise gluckste.Igel wandte den Kopf zu mir, mit einem Grinsen auf den Lippen, und zog eine Augenbraue hoch. »Was hast du denn, Kleiner?«
Ich war froh, sein Grinsen zu sehen. »Ach nichts!«, antwortete ich und pikste ihn in die Seite, worauf er wie ein Meerschweinchen aufquiekte und sich schnell zur Seite rollte.
»Hilfe! Kaum legt man sich hin, wird man angegriffen!«»Okay, ihr Spaßvögel«, Hannah warf jedem von uns ein Brötchen in den Schoß, »jetzt wird erstmal gegessen.«
Während ich aß, beobachtete ich die anderen, besonders Greeny. Ich hatte mich nicht getraut, ihn nach diesem Mädchen, das mich hatte umbringen wollen, zu fragen, dennoch geisterten sie und die anderen zwei Namen, die gefallen waren, in meinem Kopf herum - Dallas und Two-Almost.
Erst, als ich kurz vor dem Schlafengehen noch eine rauchte, begegnete ich Greeny wieder alleine. Ich blies etwas von dem Rauch aus, und irgendwie gab die Zigarette in meiner Hand mir das Gefühl, so entspannt zu sein, dass mein Gegenüber bemerken müsste, dass ich keine schlechten Gedanken gegen ihn hegte. Na ja, fast keine.
»Greeny?«, sagte ich.
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NARBEN - SO BLAU WIE DER HIMMEL
Teen Fiction»Was ist dein größter Traum?« »Ich habe keinen Traum.« »Traust du dich nicht, zu träumen?« »Nein. Ich träume nicht, weil Träume eh nie in Erfüllung gehen.« Sebastian ist gerade einmal dreizehn, als er aus dem Heim, in dem er seit seinem siebten Lebe...