Kapitel 30 ~ Wenn du liebst

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Crystals Sicht:

Ich wollte die Augen nicht mehr öffnen. Die Tränen wollten nicht aufhören, zu fließen, die Narben wollten nicht aufhören, zu brennen. Langsam zog ich meine Hand von Cardans Arm zurück und ließ ihn so endgültig los. Ich brachte es kaum fertig, stehenzubleiben und nicht zusammenzubrechen. Mir war klar gewesen, was auf mich zukam, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich es so schlecht wegstecken würde. Wie ich feststellen musste, lag ich falsch und dabei hatte ich den für mich grausamsten Part ausgelassen. Und trotzdem bin ich allein durch diese paar Erinnerungen schon zerbrochen. Auf einmal spürte ich etwas. Eine Berührung an meinem Ellenbogen. Nun schlug ich doch die Augen auf. Anfangs konnte ich vor lauter Tränen gar nichts sehen, merkte jedoch, dass Cardan mich überraschend vorsichtig in eine Richtung zog. Ich brachte kein Wort heraus, also wehrte ich mich nicht. Seine Finger legten sich auf meine Schultern und drückten mich nach unten, bis ich auf dem Sofa saß. Die Polster sanken neben mir ein.

Nur sehr zögerlich tat er es, doch von uns beiden war ich eher die Erschrockene, als er die Arme um mich legte und mir fast schon tröstend über den Rücken strich. „Nicht weinen...", flüsterte er und verstärkte seine Umarmung, „Cryssie...bitte hör auf zu weinen. Ich kann das nicht mitansehen." Cryssie? Hat er mich gerade Cryssie genannt? Für mehrere Sekunden konnte ich mich nicht bewegen, erst dann brachte ich es überhaupt fertig, mich wieder zu rühren. Schluchzend presste ich mich an ihn und vergrub mein Gesicht an seiner Schulter. Der Damm war nun gebrochen. Ich konnte nicht mehr verbergen, was passiert war und damit auch nicht mehr, wie tief es mich traf, damals wie heute. Cardan schein es nicht zu kümmern, dass ich ihm die Sachen vollheulte, er hielt mich einfach nur fest.


„Willst du reden?", fragte er nach einer langen Stille und hob nun doch meinem Kopf an, indem er seine Fingerspitzen unter mein Kinn legte und es so leicht hochdrückte. Inzwischen konnte ich wieder etwas sehen und so blinzelte ich ihn schlicht an, bevor ich nickte und tief durchatmete, um mich etwas zu beruhigen. Kurz brauchte ich noch, dann hatte ich mich wieder so weit unter Kontrolle, dass ich sprechen konnte. „Ich weiß, dass es für dich jetzt wahrscheinlich nicht verwirrender war, als mir einfach nur zuzuhören, aber...ich hatte Angst, dass du mir wieder nicht glaubst und...ich wollte eigentlich, dass es niemals jemand erfährt.". Ich öffnete meine Hand und blickte auf die kleine, goldene Eichel, die an dem dünnen Band befestigt war und so perfekt glänzte wie sie es immer getan hatte. Sie war alles, was ich noch von ihr hatte.

„Cardan...ich bin nicht Lockes Freundin, ich war es nie und ich werde es auch nie sein. Ich bin seine Schwester. Wir haben zwar zwei verschiedene Väter, aber die gleiche Mutter: Liriope Staircraí, ehemals die Assistentin des Hofartefaktors und die Geliebte deines Vaters." Cardan starrte mich perplex an und schwieg. Schon bevor er den Mund aufmachte, wusste ich, was er sagen wollte. „Warte...aber, dann bist du doch auch..."

„Oaks ältere Halbschwester, ja. Stimmt." Jetzt wich der verwirrte Ausdruck in seinen Augen einer Art Schock. „Woher heißt du..."

„Erstens", unterbrach ich ihn zum zweiten Mal, nun, wo die Wahrheit nur so aus mir heraussprudelte, „hat mein Vater es mir erzählt, als ich ihm von Mom erzählt habe. Zweitens hat Oriana mich damit zugetextet, dass ich ihre Fehler nicht wiederholen soll, und drittens hatte ich mich damals sehr gefreut, als Mom mir selbst erzählt hat, dass ich ein Geschwisterchen bekomme."

„Oh...du wusstest schon früher..."

„Natürlich wusste ich es schon früher. Mom war bei ihrem Tod schwanger und ich war dabei. Außerdem war sie miserabel darin, Geheimnisse für sich zu behalten." Ich warf einen Blick zur Kommode, wo das Fläschchen noch immer stand. Ein nicht im Träger gespeicherter Teil meiner Erinnerungen flammte vor meinem inneren Auge auf. Augenblicklich lächelte ich ein freudloses Lächeln. „Sie hat uns manchmal Sachen mitgebracht, die sie nicht mehr gebraucht hat und deswegen mit nach Hause nehmen konnte. Natürlich nichts Gefährliches, sonst hätte sie es niemals aus dem Palast bekommen."

ElfenkussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt