11. dépaysement

15 3 0
                                    

dépaysement

(n.) wenn Jemand aus seiner bekannten Umgebung in eine neue versetzt wird


Die Autofahrt mit Hisao war eine der absolut unangenehmsten Situationen in Keanes gesamtem Leben gewesen. Nicht nur, dass die beiden sich fast konstant angeschwiegen hatten, Keane hatte auch die stechenden Seitenblicke Hisaos über sich ergehen lassen müssen. Und irgendwie war er das Gefühl nicht losgeworden, dass in den Augen seines Verbindungspartners eine gewisse Art Triumph lag. Hisaos „Ich hab's dir doch gesagt" hing unausgesprochen in der Luft.

Als sie endlich an dem hohen Bürogebäude, welches Hisaos Abteilung beinhaltete, angekommen waren, war Keane förmlich aus dem Wagen gestürzt. Er hatte es kaum erwarten können, dieser schrecklichen Situation zu entkommen. Zudem hatten sie sich noch immer nicht über das unterhalten, was da gerade passiert war. Sie hatten sich nicht geküsst und ihnen war auch nicht urplötzlich offenbart worden, dass sie lange verschollene Geschwister waren - aber warum zum Geier konnte Hisao plötzlich seine Gedanken lesen? Und konnte er das überhaupt? Hisao hatte gesagt, es wäre „nur so ein Gefühl" gewesen. Was auch immer das heißen mochte.

Jedenfalls war Keane noch nie zuvor in seinem Leben so schnell fünf Stockwerke gelaufen. Seine Schnelligkeit hatte ihm nichts gebracht, denn oben angekommen musste er sowieso noch auf Hisao warten, der den Schlüssel zum Büro besaß.

Er hätte ihn erwürgen können, als er sah, wie gemächlich sein Verbindungspartner aus dem Aufzug schlenderte. Hisao ließ den Schlüssel um seinen Finger kreisen und er summte ein Lied vor sich her.

„Kommst du jetzt endlich?", fuhr Keane ihn an, „Das hier ist wichtig."

„Jetzt beruhig dich. Die Welt wird schon nicht untergehen."

Der rationale Teil von Keanes Gehirn wusste, dass Hisao damit durchaus recht hatte, aber der andere Teil, der gerade die Überhand hatte, wollte es schlicht nicht weis haben. Und so warf Keane, in einer theatralischen Geste, die Hände in die Luft und lehnte sich gegen den Türrahmen.

Während Hisao aufschloss, blickte er Keane lange an. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus und Keane fühlte sich gedemütigt.

„Was?", fragte er patzig.

Hisao stieß Luft zwischen den Zähnen hervor und schüttelte den Kopf. „Süß."

Das brachte das Fass zwar zum Überlaufen, doch Keane kam gar nicht dazu, seinem Verbindungspartner irgendetwas an den Kopf zu werfen, denn da entdeckte er Andrew, Hisaos Kollegen. Er hatte lässig am Schreibtisch platzgenommen und die Füße irgendwo zwischen Hisaos unzähligen Kaffeetassen und ungeordneten Aktenordnern abgelegt. Andrew empfing die beiden mit einer wedelnden Dokumentenhülle. „Das ist das, was du ihm unbedingt zeigen wolltest?"

Es klang weniger nach einer Frage, als vielmehr nach einer Aufforderung. Doch als Keane zu Hisao hinübersah, nickte dieser. Stumm nahm er die Papiere entgegen.

„Willst du mich gar nichts fragen?", sagte Keane jetzt, sowie Hisao sich in seinen Bürosessel fallen ließ.

Hisao würdigte ihn keines Blickes. „Was denn zum Beispiel?"

„Wie der Test verlaufen ist?" Keane bemühte sich darum, nicht hysterisch zu klingen.

„Der Test, der gar keiner war?", konterte Hisao.

Keane nickte. „Ja. Wobei, könnte schon einer gewesen sein." Er warf dem freien Stuhl einen fragenden Blick zu. Als weder Andrew, noch Hisao, irgendetwas einwarfen, nahm er darauf Platz und fuhr fort: „Jedenfalls war alles ganz anders. Diesmal hat Ana mir kein Blut abgenommen. Sie hat mir was gespritzt. Keine Ahnung, was, aber..."

Connected - Die VerbindungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt