16. eleutheromania

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(n.) ein starker Drang nach Freiheit

Hisao hatte damit gerechnet, dass neben ihnen vielleicht noch ein oder zwei weitere Pärchen da sein würden. Insgeheim hatte er schon Überlegungen angestellt, wie sie Djadi und Pablo aus dem Weg würden gehen können. Scheinbar war seine Sorge aber vollkommen unberechtigt gewesen. Denn als die beiden im Erdgeschoss ankamen, wurde Hisao fast von einer Flutwelle an Menschen überschwemmt. Frauen und Männer jeden Alters tummelten sich in einem luxuriösen Salon, dessen Wände golden schimmerten und dessen teurer Boden blitzblank poliert war.

Keane hielt ganz kurz im Türrahmen inne. Er drehte sich zu Hisao um. Und dann, als er Hisaos Präsenz zur Kenntnis genommen hatte, spazierte er weiter in die Menschenmenge hinein.

Hisao seufzte. Er fand es ja nicht toll, dass sie sich als Ehepaar ausgaben, aber wenn sie sich weiter so verhalten würden, würde ihnen niemand die Nummer abkaufen.

Scheinbar machte er sich wieder unbegründet Sorgen. Denn nachdem Keane den Poker-Tisch umrundet hatte, kam er zu Hisao zurück.
Keane warf einen flüchtigen Blick auf Hisaos Arm. Jedoch verzog er keine Miene, während er seinen eigenen Arm mit Hisaos verschränkte.

„Tu einfach das, was ich dir sage", flüsterte er ihm zu.

Was soll ich auch sonst tun?, dachte sich Hisao im Stillen, doch er nickte.

Keane führte Hisao zu dem großen, halbrunden Poker-Tisch hinüber, der mittig im Salon platziert war.

Statt dem typischen grünen Filz, das Hisao gewohnt war, erstrahlte dieser Tisch in edlem Rot.

Gut zwanzig Menschen hatten sich rund um den Tisch, entweder auf Stühlen oder an Säulen lehnend, versammelt. Sie tuschelten und prosteten sich zu. Frauen in enganliegenden Kleidern hielten halbvolle Champagnergläser, manche Männer rauchten altmodische Pfeifen.

Hisao fiel sofort auf, dass die Leute immer in kleinen Gruppen und immer mindestens zu zweit beisammen standen. Wie er es sich schon gedacht hatte, waren hier gleichgeschlechtliche Paare nicht wirklich eine Ausnahme. Ständig sah er zwei Männer, oft unterschiedlichen Alters, die sich kichernd in irgendeine Ecke verzogen.

Hisao quiekte laut auf. Eine Hand hatte sich um seine Taille gelegt. Wie er jetzt seinen Blick hob, trafen seine Augen die Keanes.

Die hellblauen Augen, die hinter Keanes Brillengläsern hervorsahen, hatten sich noch immer nicht gelichtet. Dafür lag jetzt etwas anderes in ihnen. Ein neuer Ausdruck, den Hisao nicht richtig deuten konnte, denn dafür kannte er Keane noch nicht gut genug. War es Abscheu? War es vielleicht...Angst?

„Versuch nicht zu sehr aufzufallen. Djadi und Pablo tummeln sich da hinten im Garten." Mit ausgestrecktem Finger deutete Keane auf die geöffneten Flügeltüren aus Glas, welche die Sicht auf einen gut gepflegten Garten und eine gläserne Terrasse frei gaben. Auf der Terrasse stand niemand anderes als die zwei Männer, denen sie hierher gefolgt waren.

Das Klirren eines Glases ließ die Besucher des Casinos verstummen.
Auf einem Podest, am Rand des Raumes, stand eine junge Frau mit einem dunkelblauen Afro. In der Hand hielt sie das Glas, das gerade erklungen war und in der anderen den Löffel, mit welchem sie dagegen geschlagen hatte.

„Mögen die Spieler bitte Platz nehmen. Die Attrappen versammeln sich entweder an der Bar oder leisten ihrem Original Gesellschaft."

Hisao sah zu Keane auf. „Was soll ich tun?"

Keane zuckte die Schultern. „Wenn dir nach einem Drink ist, dann bitte schön."

Damit löste er sich von Hisao und gesellte sich, wie viele der anderen Männer und Frauen auch, zu der Poker-Runde. Für einen kurzen Moment musste sich Hisao eingestehen, dass Keane irgendwie cool wirkte, wie er sich so völlig selbstbewusst auf das Spiel einließ. Ohne sich groß Mühe geben zu müssen, startete er Konversationen mit den Leuten um ihn herum. Das brachte Hisao unwillkürlich dazu, sich fragen zu müssen, ob an ihrer vorherigen Konversation überhaupt ein Funken Wahrheit war.

Connected - Die VerbindungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt