18. induratize

18 4 0
                                    

(v.) das eigene Herz gegenüber Liebe oder den Emotionen anderer verschließen

Keane spürte zwei warme Hände auf seinen Wangen.

Jemand versuchte mit ihm zu sprechen, jedenfalls glaubte er es, denn über das Rauschen seines Blutes hinweg hörte er sonst überhaupt nichts. Entfernt nahm er wahr, dass er sich seine eigenen Hände auf die Ohren gepresst hatte.

Und...Oh Gott. Oh Gott, nein. Er weinte. Weinte er etwa?

Die Hände auf seinen Wangen begannen sich zu bewegen. Sanfte Finger strichen Tränen fort und wanderten zu seinem Hinterkopf, um sich in seinem Haar zu verankern.

Da war es wieder. Dieses Gefühl von schierer, absoluter Panik.

In letzter Zeit war er doch so gut klargekommen. Er hatte kaum noch an seinen Vater denken müssen.

Verdammt, wenn er nicht mal von so einem planlosen Typen wie Hisao angefasst werden konnte, ohne...

Hisao. Das war es. Die Hände an seinen Wangen, die gehörten zu Hisao.

„Keane, hey. Hey, kannst du die Augen für mich öffnen?" Hisaos Stimme brach durch seine eigenen Gedanken wie die Sonne an einem wolkigen Regentag. „Komm schon, mach die Augen auf, bitte. Ich verspreche dir, es ist alles gut."
Aber was, wenn er die Augen öffnete und sah, dass Hisaos Stimme nur Einbildung war? Was, wenn der eben gefallene Schuss Hisao getroffen hatte?
In einem entfernten Teil seines Hirns wusste Keane, dass er dann selbst nicht mehr leben würde.

Und vielleicht war er deswegen gerade hier, mit Hisaos weichen Händen an seinen Wangen. Ja, vielleicht war er ja bereits tot.

„Keane, du musst das sehen. Komm schon!"

Seine Lider fühlten sich so an, als hätte jemand Gewichte daran geklebt. Es fiel ihm unglaublich schwer sie zu öffnen.

Doch er tat es. Ganz langsam. Und so mühsam, dass sich Keane wirklich kurzzeitig fragte, ob er nicht doch gestorben war.

Hisao saß wirklich vor ihm. Ein quietschlebendiger Hisao saß ihm gegenüber und hatte noch immer seine Hände an Keanes Wangen gelegt. Er schien auch nicht verwundet zu sein. Also wer...?
Keane bekam seine Antwort mit einem Seitenblick.

Anthony Francis lag wenige Meter von ihnen entfernt leblos am Boden.

Der Schrei vorhin hatte scheinbar seiner Frau gegolten, denn dieser kniete gleich neben ihm auf den Boden. Sie hatte die Hände vor den Mund gepresst, stumme Tränen rannen ihr über die blassen Wangen.

„Wir müssen hier weg, Keane."
In seiner Panik spuckte Keane die erste Frage aus, die sein durchgerüttelter Verstand ihm zuwarf: „Hast du ihn erschossen?"
Hisao lachte auf. Das Lachen klang fast hysterisch. „Wo denkst du hin? Das war sie selbst!" Er schob seine Arme unter Keanes Achseln und zerrte ihn vom Boden hoch. „Jetzt komm, wir müssen hier weg!"
Keane wusste irgendwie, dass Hisaos Aussage komisch war. Dass es einen Grund gab, warum er so schwer glauben konnte, dass Anthony Francis' Ehefrau ihn erschossen haben sollte.

Doch selbst als er von Hisao in dessen Hover gedrückt und noch während der Autopilot die beiden durch die Straßen Tokyos kutschierte, fiel ihm nicht ein, warum er diese Aussage so unglaubwürdig fand.

*

Hisaos Wohnung war nicht so weit vom Casino entfernt wie Keanes. Das, und nur das, war wohl auch der einzige Grund, warum Hisao den Autopiloten angewiesen hatte, sie dorthin zu fahren.
Stände Keane nicht offensichtlich unter Schock, hätte sich dieser bestimmt geweigert, mit Hisao gemeinsam in Hisaos Hover zu Hisaos Wohnung zu fahren.

Connected - Die VerbindungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt